Mash-ups für Professoren

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Literatur zum Leben erwecken

Die Schwierigkeiten beim Umdenken gelten für alle, doch je nach Land zeigen sich deutliche Unterschiede darin, wie schnell es vorankommt. Die Niederlande etwa unterhalten ein landesweites Netz aus drei Artikel-Repositorien, in denen insgesamt an die 200000 Forschungsarbeiten abgelegt sind. An deutschen Hochschulen dagegen finden sich zwar 112 Repositorien – beim genaueren Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die wenigsten davon häufig aktualisiert werden. So unterhält die Universität Bielefeld seit September 2002 ein Archiv, aber es umfasste Ende April 2007 gerade einmal 823 Dokumente; im Archiv der Universität Potsdam, das gut zwei Jahre alt ist, befinden sich rund 1400 Dokumente. Im Gegensatz zu Einrichtungen in Australien, Portugal und Großbritannien schreibt bislang keine einzige deutsche Universität die Selbstarchivierung zwingend vor.

Trotzdem haben viele Verlage schon auf den Ruf nach mehr Offenheit reagiert. Einer der Wendepunkte war die Budapest Open Access Initiative, die das Open Society Institute des Multimilliardärs und Mäzens George Soros im Jahr 2000 anschob. Ihr folgten weitere Konferenzen und Deklarationen – sowie die Entscheidung von bislang knapp zwei Dutzend Verlagen, darunter Springer und Oxford University Press, ihren Autoren zumindest ein Hybrid-Modell anzubieten, das bestimmte Formen der Selbstarchivierung erlaubt: Wer vorweg eine Gebühr zahlt, kann seinen Aufsatz in vielen Fällen offen zugänglich machen oder schneller online stellen. Die Regeln variieren jedoch von Zeitschrift zu Zeitschrift, sodass unter Akademikern weiterhin Verwirrung herrscht, was wo erlaubt ist; die Vorabgebühren liegen zwischen 795 und 3100 Dollar pro eingereichtem Aufsatz.

Die Verfechter der reinen Lehre sehen bei solchen Misch-modellen ohnehin reichlich Probleme. Ihnen schwebt eine Welt von nach allen Richtungen offenem wissenschaftlichem Arbeiten nach dem Vorbild moderner Web-2.0-Angebote vor: Webdienste sollen ganz ohne verlagseigene Grenzzäune automatisch Zusammenfassungen und Volltext-Dateien mit Leserkommentaren und anderen interaktiven Komponenten bündeln und für jeden Nutzer dynamisch darstellen können – Mash-ups für Professoren sozusagen. "Wir wollen akademische Literatur zum Leben erwecken", sagt PLoS-Redakteurin Cohen. In ihrer alle Disziplinen umfassenden Web-Publikation PLoS One können Leser Artikel bereits mit Randnotizen versehen und kommentieren. Da die Software dafür Open Source ist, hofft Cohen, dass andere Programmierer zusätzliche Funktionen basteln werden. Und weil alle Artikel in PLoS unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht werden, könnten Dritte auf dieser Grundlage sogar neue, gewinnorientierte Produkte entwickeln und vertreiben.

Vordenker Hey propagiert sogar ein noch umfassenderes Modell – nicht nur die Ergebnisse in Artikelform sollen frei verfügbar werden, sondern auch die Basisdaten wissenschaftlicher Arbeit. "In ein paar Jahren werden Fachaufsätze keine toten PDFs mehr sein, sondern Links besitzen, mit denen man auf die Datensätze zugreifen, eigene Berechnungen anstellen und Daten vermessen kann. Wissenschaftler werden sich über Blogs, Wikis, Tagging austauschen – all das geht aber nur, wenn Open Access allgemein akzeptiert ist", sagt er. Die Hochschulwelt brauche dazu neben Archiven bessere Suchmaschinen. Dabei könnten die großen kommerziellen Anbieter wie Google, Microsoft und Yahoo helfen, sowie Suchwerkzeuge, mit denen Unternehmen heute ihre eigenen Daten und die der Konkurrenz analysieren.

In Ansätzen ist die Welt der akademischen Mash-ups bereits vorhanden. Connotea etwa ist eine Webseite, die das Auszeichnen ("tagging") von Fachaufsätzen mit selbst gewählten Stichworten wie beim Online-Bookmark-Dienst del.icio.us erlaubt; Faculty of 1000 ist die akademische Version von kollaborativen Filterseiten wie Digg, bei der sich beachtenswerte Forschungsergebnisse in einem Fachgebiet per Abstimmung hervorheben lassen. Einzelne Disziplinen experimentieren mit Blogs, Wikis oder Online-Labor-Logbüchern wie Useful Chemistry oder AstroGrid, um ungeklärte Fragen in die globale Runde zu werfen. "Manchmal sind es nur Beobachtungen, die zu nichts führten, oder ein Experiment, das gescheitert ist", erklärt Hey, "für eine förmliche Veröffentlichung kämen solche Dinge nicht in Frage, aber sie können anderen Forschern enorm weiterhelfen, wenn sie nur davon wüssten."

Mittlerweile hat sich mancherorts auch die Politik eingeschaltet, um das Thema Open Access voranzutreiben. Im US-Kongress steht eine Gesetzesinitiative namens Federal Research Public Access Act (FRPAA) zur Debatte, nach der alle mit Steuergeldern geförderten Arbeiten öffentlich zugänglich gemacht werden müssten; Unterstützung kommt von großen Universitäten. In Europa ist es noch nicht so weit, aber eine Petition an die Europäische Union gewinnt rapide an Zulauf: Bislang etwa 20000 Einzelpersonen und rund 1000 namhafte Institutionen haben sich der Forderung an die Europäische Kommission angeschlossen, der Öffentlichkeit Zugang zu mit öffentlichen Mitteln geförderter Forschung "kurz nach Veröffentlichung" zu gewähren.

In Deutschland allerdings geht die Entwicklung derzeit eher in die andere Richtung: Es steht zu befürchten, "dass der für Forschung und Lehre unabdingbare Zugriff auf das publizierte und mit öffentlichen Mitteln erstellte Wissen durch neue Vorschriften erheblich behindert wird", sagt Rainer Kuhlen von der Universität Konstanz.