Mash-ups für Professoren

Wissenschaftliche Fachverlage geraten zunehmend unter Druck durch Akademiker und Hochschulen, die ihre Forschungsergebnisse frei zur Verfügung stellen wollen. Der Kampf um alte und neue Geschäftsmodelle tobt.

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Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Steffan Heuer
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Digitale Formate und der Siegeszug des Internets stellen das Geschäftsmodell einer Branche mit Umsätzen in Milliardenhöhe und zweistelligen Gewinnspannen in Frage. Gefahr ist im Verzug, rechtliche Fragen sind ungeklärt. Politiker scharren mit den Füßen, Nutzer organisieren sich in Gruppen und sammeln Unterschriften, neue Geschäftsmodelle mit radikalen Konzepten sprießen auf dem umkämpften Feld. Eine Gruppe von entschlossenen Vordenkern propagiert gar offenen Zugang für die ganze Welt.

All das klingt nach einer Neuauflage der Schlacht von Internet-Tauschbörsen wie Napster gegen die Musikindustrie. Doch diesmal geht es nicht um Hits, sondern um so trockene Themen wie kristalline Chemie, Teilchenphysik, Molekularbiologie und Medizin. In der ansonsten eher zurückhaltenden akademischen Welt braut sich ein Sturm zusammen über "Open Access", also den weitgehend ungehinderten Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln und den ihnen zugrunde liegenden Daten: "Wir stehen vor einer Revolution in der wissenschaftlichen Kommunikation. Die heutigen Geschäftsmodelle sind nicht haltbar und werden von einer Ära der wissenschaftlichen Mash-ups abgelöst werden", sagt Tony Hey, Doktor der Physik und derzeit verantwortlich für den Bereich Technical Computing bei Microsoft Research.

Als ehemaliger Dekan einer Fakultät an der Universität Southampton erlebte Hey aus erster Hand, in welcher Zwickmühle sich Wissenschaftler tagtäglich befinden, wenn es um ihre Fachliteratur geht: Wer seine Karriere vorantreiben will, muss forschen und seine Ergebnisse in möglichst renommierten Journalen veröffentlichen – von "Nature" und "Science" bis zu einschlägigen Spezialtiteln wie "Stroke". So weit, so schwierig. Doch wer Fachbeiträge nicht nur veröffentlichen, sondern auch lesen will, muss kräftig zahlen – selbst Hochschulen, aus deren Reihen die Autoren eines Artikels stammen, oder Stiftungen, die eine Studie finanziert haben, müssen die oft teuren Journale in gedruckter oder elektronischer Form abonnieren. "Ich war regelmäßig in der Situation, dass ich nicht einsehen konnte, was die Mitglieder meiner eigenen Arbeitsgruppe geschrieben hatten, weil wir uns das Abonnement nicht leisten konnten", erinnert sich Hey.

Die weltweit rund 24000 Fachzeitschriften, die pro Jahr geschätzte 2,5 Millionen von Fachkollegen überprüfte ("peer reviewed") Artikel veröffentlichen, sind ein einträgliches Geschäft. Verlage lassen sich das Dienstleistungsbündel aus Redigieren, Kommentieren und Veröffentlichen reichlich vergüten, obwohl sie weder den Autoren noch den Rezensenten Honorare zahlen. Dank Konsolidierung teilen sich die zehn größten Fachverlage im Bereich wissenschaftlicher, technischer und medizinischer (STM) Fachzeitschriften etwas weniger als die Hälfte eines Marktes, der 2005 weltweit für rund 19 Milliarden Dollar Umsatz gut war (siehe Grafik Seite 31). Und die Gewinne sprudeln: John Wiley & Sons etwa vermeldete für das vergangene Geschäftsjahr eine operative Marge von 14,5 Prozent, die britische Reed-Elsevier-Gruppe 16 Prozent.

Gleichzeitig aber klagen Universitäten über astronomische Abonnement-Preise. Die Kostenzuwächse für Fachzeitschriften liegen seit Jahren deutlich über der Inflationsrate in allen Industrienationen – die Preise für Abonnements haben sich zwischen 1986 und 2000 verdoppelt und sind allein im vergangenen Jahr um knapp acht Prozent gestiegen. Und hier geht es nicht, wie bei Publikumszeitschriften, nur um ein paar Euro: Das durchschnittliche Chemiejournal kostet im Jahresabo inzwischen umgerechnet 2522 Euro, ein Ingenieurblatt um die 1523 Euro, so eine aktuelle Erhebung des "Library Journal". Dabei bewegen sich deutsche Fachzeitschriften mit jährlichen Abonnementkosten von 788 Euro recht genau im Durchschnitt, die Niederlande liegen mit 2473 Euro einsam an der Spitze. Bibliothekare sehen sich deshalb seit einiger Zeit gezwungen, Zeitschriften-Abos abzubestellen.