Missing Link: Die wichtigste Sitzung in der BMW-Geschichte

Seite 2: Der ungeliebte Retter – BMW 700

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Dabei wurde vollkommen ignoriert, dass BMW erst im September 1959 mit einem überwältigenden Echo und unterschriebenen Kaufverträgen für die gesamte Jahresproduktion eines neuen Modells von der IAA in Frankfurt zurückgekommen war. Der BMW 700 begeisterte die Fachpresse und das Publikum gleichermaßen. Er war ein formschöner Kleinwagen mit italienischen Michelotti-Formen, der herausragenden Fahrwerkstechnik des 600 und selbsttragender Karosserie. Klar ist, dass die Herren von Daimler und der Deutschen Bank den zu erwartenden Erfolg des 700 ignorierten. Schließlich gefährdete er die Übernahme.

Unglaublich erscheint heute aber, dass der 700 zunächst auch bei BMW auf Ablehnung stieß. Das lag daran, dass er nicht bei BMW selbst unter dem technischen Vorstand Wilhelm Black entwickelt worden war. Der 700 war das Werk von Wolfgang Denzel, eines Dilettanten aus Wien. Zumindest sahen ihn so die Ingenieure und technischen Vorstände von BMW. Sie wollten nicht gelten lassen, dass der österreichische BMW-Importeur, Autokonstrukteur und Rennfahrer schon mit Eigenkonstruktionen auf Volkswagenbasis großen Respekt geerntet und Knowhow bewiesen hatte..

Die Aufgabe, ein kleines formschönes Auto mit selbsttragender Karosserie auf der Plattform des 600 herzustellen, hatte der Vorstandsvorsitzende Heinrich Richter-Brohm dem Wiener Denzel als letzten Ausweg aus der Verzweiflung gegeben. Die eigenen Ingenieure und Vorstände glaubten, Richter-Brohm, der erst zwei Jahre vorher als Sanierer zu BMW gekommen war, habe keine Ahnung von Autos. Jedoch war es dieser angeblich ahnungslose Richter-Brohm gewesen, der innerhalb eines Jahres im Alleingang das Projekt "Mittelwagen“ ausarbeitete.

Er nutzte seine engen familiären Kontakte zu Fiat in Turin, die nach dem Krieg als erste Marktforschung in der Automobilindustrie etablierten. Der Kaufmann Richter-Brohm entwarf in einem halben Jahr ziemlich konkrete Züge des rettenden Fahrzeugs, das die stolzen Ingenieure von BMW in fast zehn Jahren nicht einmal anzudenken in der Lage waren. Die schlichte Limousine sollte einen extrem kurzhubigen 1,6-Liter-Motor mit 80 PS haben. Es sollte ein leistbarer Familienwagen mit dynamischen Fahreigenschaften werden. Durch seine Kurzhubigkeit waren Hubraumerweiterungen und der Ausbau zu einer ganzen Motorenfamilie bei Bedarf kostengünstig und schnell zu realisieren.

Doch die internen Reibereien mit hochmütigen Entwicklungsexperten einerseits und einem ebenso überheblich auftretenden "Generaldirektor“ Richter-Brohm bremsten das Projekt stark ein. Hinzu kam die Geldknappheit und die Unmöglichkeit, Kredite für den "Mittelwagen“ aufzutreiben. Das mag einerseits an dem teils ungeschickt auftretenden Richter-Brohm gelegen haben. Andererseits wurde ihm mit Hans Feith von der Deutschen Bank ein geschäftsführender Aufsichtsratschef vor die Nase gesetzt, der in dem Mittelwagen nur ein Hirngespinst sah und deshalb tunlichst zu verhindern wusste, dass Geld in diese weitere Totgeburt, wie er sie sah, gesteckt werden sollte. Wahrscheinlich hatte nicht einmal Richter-Brohm selbst daran geglaubt, wie glücklich sich seine Entscheidung erweisen sollte, Wolfgang Denzel mit dem kleinen Auto mit 600er-Technik zu betrauen.

Bereits vier Monate später, im Juni 1959, stellte Denzel in Feldafing am Starnberger See dem BMW-Vorstand und den größten Händlern das 700 Coupé vor, das die Anwesenden voll überzeugte. Nur eine Limousine mit vier Sitzplätzen wurde neben dem Coupé gefordert. Sie wurde ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Turiner Karosserieschmiede Vignale und dem Designer Giovanni Michelotti noch bis zur IAA im September verwirklicht.

Generaldirektor Heinrich Richter-Brohm (links) beauftragte den Wiener Importeur und talentierten Konstrukteur Denzel damit, auf Basis des 600 ein kleines, richtiges Auto zu bauen. Das Ergebnis mit Vignale-Karosserie stellte Denzel im Juni 1959 in Feldafing am Starnberger See vor. Das 700 Coupé begeisterte alle Anwesenden. Sie hatten den richtigen Riecher: der kleine 700er wurde vom Stand weg ein Riesenerfolg.

(Bild: BMW Group)

Doch am Morgen des 9. Dezember 1959 war das anscheinend alles nichts mehr wert. Den Kleinaktionären war bewusst, dass die Deutsche Bank als Mehrheitsaktionär die Abstimmung für sich entscheiden konnte. Damit war die Übernahme durch Mercedes eine beschlossene Sache, BMW würde untergehen und München-Milbertshofen ein Zulieferwerk für Mercedes-Benz werden. Allerdings sollten sich die hohen Herren aus Vorstand und Aufsichtsrat auf eine Welle der Empörung gefasst machen. Man würde ihnen zumindest noch einmal die Meinung sagen, und zwar in aller Ausführlichkeit, da jeder Aktionär unbegrenztes Rederecht auf der Hauptversammlung hat. Die Herren an den langen Tischen auf der Bühne des Saales, allen voran Friedrich Richter-Brohm und Dr. Hans Feith, dürften mit einer unangenehmen Sitzung gerechnet haben.

Der damals 31-jährige Darmstädter Kohlenhändler Erich Nold hatte sich bereits eine gewisse Berühmtheit erarbeitet. Er nutzte seinen weit gestreuten Aktienbesitz, um lautstark für die Rechte der Kleinaktionäre einzutreten. Deshalb wurden ihm immer öfter auch Stimmrechte von anderen Kleinaktionären überschrieben. So auch bei BMW, wo ihm von einer großen Menge Kleinaktionäre das Stimmrecht über insgesamt 800.000 Mark Aktienkapital übertragen worden war.

Der Vorwurf lag im Raum, dass sich die BMW-Führung nicht wirklich um Alternativen zur jetzt als "einzigen Ausweg“ präsentierten Daimler-Übernahme mit Aktienschnitt bemüht hatte. Zumal der BMW-Triebwerksbau in Allach völlig außen vor gelassen wurde. Die Sparte hatte nach dem Krieg tatsächlich nur Geld gekostet, da die alliierten Siegermächte eine Produktion von Flugzeugtriebwerken zunächst in Deutschland nicht haben wollten.

Das noch recht junge Verteidigungsministerium, das mit dem Bayern Franz-Josef Strauß schon seinen zweiten Minister an der Spitze hatte, stellte jedoch einen 300-Millionen-DM-Auftrag für Starfighter-Triebwerke für das Allacher Werk in Aussicht. Bedingung sei aber die rechtliche und wirtschaftliche Abspaltung des Triebwerksbaus vom Rest der BMW AG. Es handelte sich dabei um eine Forderung der Alliierten. Mit der MAN wäre ein Käufer nicht weit. Schließlich hatte sie bereits Teile des Allacher Werks übernommen. Es schien unglaublich, dass BMW selbst auf diese Idee noch gar nicht gekommen war.

Da erkannte Nold den damals 52-jährigen Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Friedrich Mathern in der Menschenansammlung vor der Messehalle. Er hatte den Aktienrechtsexperten schon in eigener Sache engagiert und war sehr zufrieden gewesen. Mathern war im Auftrag eines Zusammenschlusses von BMW-Händlern, die gleichzeitig Anteilseigner waren, nach München gereist.