Missing Link: Die wichtigste Sitzung in der BMW-Geschichte

Seite 3: Das MAN-Angebot

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Mathern stand, wie es ein Teil der Quellen berichtet, in Verhandlungen mit Hermann Reusch, dem Generaldirektor der Gutehoffnungshütte in Oberhausen, der Muttergesellschaft der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN). Reusch, erklärter Gegner von Flick und damit des Übernahmedeals von Mercedes, sollte ein Angebot für den Triebwerksbau in Allach machen. Käme dies zustande, könnte dies die Rettung für BMW sein und die Mercedes-Übernahme obsolet machen.

Nold konnte Mathern im Gegenzug die Zeit für die Verhandlungen verschaffen, in dem er sein Rederecht rigoros ausnützen wolle. Er könne stundenlang reden, wenn es sein müsste. Das Aktienrecht gebe ihm dazu das Recht. Er habe keine Probleme damit, sich notfalls zum Affen zu machen. Schließlich sei alles zu einem guten Zweck. Unklar ist heute, ob Nold tatsächlich für Matherns Verhandlungen mit MAN Zeit gewinnen wollte, es diese überhaupt gab oder ob er auf den Ablauf des Daimler-Ultimatums um 24 Uhr spekulierte.

Der damals 31-jährige Darmstädter Kohlenhändler Erich Nold war ein nicht gern, aber oft gesehener Gast auf Aktionärshauptversammlungen, der sein Wort stellvertretend für die kleinen Aktionäre ergriff. Er war bekannt für seine gute Vorbereitung und dafür, Vorstände und Aufsichtsräte mit unerbittlichen Fragen ins Schwitzen bringen zu können.

(Bild: Felicitas Timpe)

Mathern war bestens vorbereitet auf der Hauptversammlung erschienen. Er war im Auftrag der BMW-Händler drei Tage zuvor in London beim Rootes-Konzern gewesen, hatte mit der American Motors Corporation (AMC) und Ford Kontakt aufgenommen. Dabei musste Mathern feststellen, dass Hans Feith mit all diesen Partnern, deren Übernahmeangebote angeblich geplatzt waren, gar nicht richtig in Verhandlungen eingestiegen war. Lord Rootes vom englischen Rootes-Konzern war noch nicht einmal ein Besichtigungstermin in Milbertshofen ermöglicht worden. Offensichtlich hatte Feith nur als Alibi mit anderen Autoherstellern verhandelt, während er mit aller Kraft den Mercedes-Deal vorantrieb.

Die Zeit, die Mathern Nolds Redemarathon verschaffte, war für ihn aber Gold wert. Tatsache ist, dass sich hier ein Gespann fand, das BMW retten konnte. Erich Nold verlas Briefe von Aktionären und einen ganzen Spiegel-Artikel zur Causa BMW. Im Zuge der immer heftiger werdenden Veranstaltung war zur Sprache gekommen, dass Hans Feith als geschäftsführender Aufsichtsratsvorsitzender der BMW gleichzeitig im Vorstand der Deutschen Bank saß.

Inzwischen war Mittag vorbei und Erich Nold hatte sich geradezu verausgabt. Er war heiser, psychisch angegriffen von den immer feindseliger werdenden Zwischenrufen. Er bat Feith um eine Pause, der Saal hatte sich sowieso schon stark geleert. Einige Aktionäre hatten um eine Benachrichtigung in der Vorhalle gebeten, wenn Nold endlich geendet habe. Dann wollten sich alle wieder einfinden. Die Sache schien ohnehin entschieden, man sollte sie jetzt zu Ende bringen. Schon am frühen Vormittag hatte ein Dr. Wills von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz vergeblich für eine Vertagung der Versammlung gekämpft. Seine Argumente, dass die BMW-Führung sich zu wenig um Alternativen zum Mercedes-Deal bemüht habe, leuchtete zwar den Aktionären ein, aber sie hatten einfach keine Mehrheit.

Jetzt, als endgültig alles verloren schien und Nold die letzten Kräfte zu verlassen drohten, trat Dr. Friedrich Mathern an das Rednerpult. Er fragte zunächst, ob es richtig sei, dass 30.000 unterschriebene Bestellungen für den BMW 700 vorlagen. Ernst Kämpfer, stellvertretender Vorstand und Einkaufs- und Finanzchef der BMW AG, bestätigte die Zahlen, wies allerdings darauf hin, dass diese Vorbestellungen keine Abnahmeverpflichtung begründeten. Mathern fragte weiter, ob der Preis des 700 (4900 DM für die Limousine, 5200 DM für das Coupé) so kalkuliert sei, dass pro Fahrzeug ein branchenüblicher Gewinn erzielt werde. Feith bejahte das diesmal selbst. Man müsse jedoch mit hohen Mehrkosten bis zum Produktionsanlauf im nächsten Jahr rechnen.

Mathern ignorierte diesen Einwand und fragte, ob man mit der MAN wegen des Triebwerksbaus in Kontakt getreten sei. Sei es richtig, dass im Oktober der englische Rootes-Konzern Interesse an einem Eintritt bei BMW signalisiert habe. Zudem führte Mathern aus, in der Bilanz seien die Immobilien und Produktionsstätten von BMW mit einem Wert von 13 Millionen Mark angegeben. Sie seien aber mit über 44 Millionen Mark versichert. Zudem tauche der Facharbeiter-Stamm und der Wert der Marke BMW überhaupt nicht in den Bilanzen und den Preisabsprachen mit Daimler-Benz auf.

Außerdem sei die Aufstockung des Aktienkapitals zum alleinigen Gunsten Dritter, also wie hier von Daimler-Benz und den Banken unter Ausschluss der Altaktionäre in Reichsgerichtsentscheidungen als unsittlich verworfen worden. Zu guter Letzt könne er schließlich ein Angebot der MAN für den Triebwerksbau in Allach für 30 Millionen DM auf den Tisch legen, das er innerhalb weniger Stunden aushandeln habe können. Wobei das nicht das richtige Wort sei, vielmehr habe er offene Türen eingerannt. Damit sei BMW nicht nur aus eigener Kraft überlebensfähig, sondern könne sogar mit einem guten Polster in das nächste Betriebsjahr starten.

Dr. Mathern legte ein Kaufangebot der MAN für den Triebwerksbau in Allach für 30 Millionen DM auf den Tisch und focht die Bilanz wegen der Abschreibung aller Entwicklungskosten des 700 als Verlust für das Geschäftsjahr 1958 an. Damit gelang ihm die Vertagung der HV gegen die Stimmenmehrheit der Deutschen Bank. Bei Bilanzanfechtungen reichen nämlich laut Aktiengesetz nur 10 Prozent aller Stimmanteile, um eine Vertagung herbeizuführen.

(Bild: Der Spiegel, gemeinfrei)