Missing Link: Ist das Universum ein Donut?
Mit verschiedenen Herangehensweisen wird versucht, die Form unseres Universums herauszufinden. Die Antwort ist noch offen, die Zwischenergebnisse faszinierend.
Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. Die neue Artikelreihe skizziert den derzeitigen Stand des Wissens und legt dar, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie von leerem Raum mit abstoßender Gravitation, der Entstehung des Universums aus dem Nichts und dem unsichtbaren Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen. In der heutigen Folge geht es um Form und Größe des Universums.
- Das Rätsel Dunkle Materie – der unsichtbare Elefant der Kosmologie
- Das Rätsel Dunkle Materie – auf der Jagd nach einem Gespenst
- Das Rätsel Dunkle Materie – und wenn es sie gar nicht gibt?
- Dunkle Energie – die unverhoffte Schwergewichtigkeit des Nichts
- Die kosmische Inflation – der Knall des Urknalls
- Urknalltheorie – wie ein Priester die Kosmologie revolutionierte
- Urknalltheorie – warum uns die Dunkle Energie das Licht abdreht
Die erste Vermessung der Welt
Dass die Erde eine Kugel ist, wussten die alten Griechen schon seit dem 6. Jahrhundert vor der Zeitenwende – diese Erkenntnis wird (unter anderem) keinem geringerem als Pythagoras von Samos zugeschrieben (dem mit den rechtwinkligen Dreiecken). Entgegen der weitverbreiteten Meinung, die Gelehrten hätten zu Lebzeiten Galileos noch an eine flache Erde geglaubt, hatten schon die alten Griechen erkannt, dass die dunkle Fläche, die den Mond bei einer Mondfinsternis verdunkelt, der Schatten der Erde sein muss, denn Mondfinsternisse ereignen sich stets exakt bei Vollmond, wenn der Mond der Sonne am Himmel gegenübersteht. Und dass dieser Schatten stets kreisrund ist, egal ob die Finsternis bei Mondaufgang, -kulmination oder ‑untergang stattfindet. Außerdem wussten sie, dass die Sternbilder im Süden höher über dem Horizont stehen, je weiter man sich nach Süden bewegt (beziehungsweise umgekehrt steht der Polarstern höher über dem Horizont, je weiter man nach Norden zieht). Und dass bei heimkehrenden Schiffen am Horizont zuerst die Segel auftauchen, bevor der Rumpf über den Horizont kommt.
Aber erst Ende des dritten Jahrhunderts v.u.Z. gelang es Eratosthenes von Kyrene, den Erdumfang mit für damalige Verhältnisse hervorragender Präzision zu messen. Er musste dafür nicht um die Welt reisen. Eratosthenes lebte in der ägyptischen Stadt Alexandria, die an der Mittelmeerküste liegt. Von Landvermessern wusste er, dass die Stadt Syene (heute Assuan) 5000 Stadien (das sind knapp 790 km) entfernt im Süden und ungefähr auf demselben Längengrad lag. Zur Sommersonnenwende stand die Sonne dort fast senkrecht am Himmel. In Alexandria warf ein Obelisk oder ein Gnomon (senkrechter Stab zur Messung der Sonnenhöhe) zur selben Zeit hingegen einen Schatten. Die Messung der Schattenlänge ergab, dass die Sonne dort gute 7° vom Zenit entfernt war.
Das heißt, dass der Erdboden dort aufgrund der Erdkrümmung um 7° gegenüber demjenigen in Syene geneigt war. 7° ist ein knappes Fünfzigstel des Vollkreises von 360°. So folgerte Eratosthenes, dass der Erdumfang 50-mal der Entfernung von Alexandria nach Syene entsprach: 250.000 Stadien oder 39.425 km. Verglichen mit dem heutigen Wert von 40.008 km ein beeindruckendes Ergebnis. Und dies zu einer Zeit, in der sich die ihm bekannte Welt auf den Mittelmeerraum und den Mittleren Osten beschränkte. Sein damals beobachtbarer Teil der Welt war somit viel kleiner als die Abmessungen der Erde insgesamt.
Das kurzsichtige Licht
Heute stellt sich der Kosmologie ein ähnliches Problem wie Eratosthenes. Wenn unsere Teleskope Objekte in der Tiefe des Raumes beobachten, geht der Blick unvermeidbar auch zurück in die Vergangenheit, da das Licht für wachsende Entfernungen zunehmend mehr Zeit bis zur Ankunft bei uns benötigt. Dies gilt umso mehr in einem beschleunigt wachsenden Universum. Daher ist unser Blick in die Ferne begrenzt: Wir können nicht weiter zurückschauen als bis zum Urknall (oder genauer gesagt, bis zu dem den gesamten Raum erfüllenden, leuchtenden Plasma 380.000 Jahre nach dem Urknall, der Quelle der kosmischen Hintergrundstrahlung). Der Blick ans Ende der Welt endet ironischerweise am Anfang derselben – Licht ist im Urknall-Universum kurzsichtig.
Dieses Volumen bezeichnen wir als das "beobachtbare Universum". Seine Abmessungen (ein Radius von ca. 46,2 Milliarden Lichtjahren in Eigendistanz) sind bekannt, aber wie geht es dahinter weiter? Ist das Universum auch eine Art Kugel mit einem begrenzten Volumen? Oder hat es kein Ende? Können wir darüber überhaupt eine Aussage machen?
Soweit der Blick reicht, ist das Universum großräumig homogen und isotrop – wir haben das kosmologische Prinzip in dieser Reihe bereits kennengelernt. Anders ausgedrückt sieht das Universum, soweit wir blicken können, überall gleich aus, wenn man seine zeitliche Fortentwicklung mitberücksichtigt. Dies gilt insbesondere für die räumliche Struktur der Materieverteilung, die sich aus den Baryonischen Akustischen Oszillationen bis zu den heutigen Filamenten und Leerräumen (Voids) weiterentwickelt hat. Außerdem ist es im Rahmen der Messgenauigkeit flach, wie wir mit Hilfe der Feinstruktur der kosmischen Hintergrundstrahlung ermitteln konnten, die als Standardlineal verwendet werden kann, also als Struktur mit bekannten (errechenbaren) Abmessungen.
Die Homogenität und Isotropie ist eine Voraussetzung dafür, dass wir mit den Friedmannschen Gleichungen, die eine Lösung der Allgemeinen Relativitätstheorie für ein solches Universum sind, Aussagen über seine Entwicklung machen können. Allerdings geben sie nur die lokale Krümmung in Abhängigkeit von Dichte und Expansionsrate an. Die Gleichungen verraten uns nichts über die großräumige Topologie des Universums.
Die Topologie ist eine Disziplin der Mathematik, die sich mit den Eigenschaften geometrischer Objekte im Raum – und dem Raum selbst – beschäftigt. Topologen reden bei der "Form" eines Raums, das heißt einer Menge von Orten, die lokal der euklidischen (=Schul-)Geometrie genügt, von einer "Mannigfaltigkeit". Mannigfaltigkeiten gibt es in beliebigen Dimensionen – ein unendlich langer Strich oder ein endlich langer Kreisumfang sind ebenso welche, wie die genannte Kugeloberfläche, der dreidimensionale euklidische Raum, oder die Strukturen der String- und M-Theorien mit 10 oder mehr Dimensionen. In der Topologie unterscheidet man grundsätzlich geschlossene und offene Mannigfaltigkeiten: Eine offene Mannigfaltigkeit hat eine unendliche Ausdehnung (Länge, Fläche, Volumen, …), wie etwa der unendlich lange Strich oder der euklidische Raum; eine geschlossene Mannigfaltigkeit hat hingegen eine endliche Ausdehnung, wie der Kreisumfang oder die Kugeloberfläche.
Mathematisch betrachtet ist die Ausdehnung einer Mannigfaltigkeit genau dann unendlich, wenn zwei Punkte in ihr beliebig große Entfernungen haben können. In einer geschlossenen Mannigfaltigkeit gibt es hingegen einen maximal möglichen Abstand zweier Punkte, etwa bei der Kugel den zweier Antipoden (zum Beispiel Nord- und Südpol). Diesen Abstand nennt man den Durchmesser der Mannigfaltigkeit.
"Offen" und "geschlossen" sind uns in der Kosmologie-Reihe schon begegnet. Ein offenes Universum hat eine Krümmung kleiner oder gleich 0 und expandiert ewig, während ein geschlossenes Universum mit einer Krümmung größer als 0 nach Erreichen eines maximalen Volumens wieder schrumpft und kollabiert. Leider verwenden Topologen und Kosmologen die Wörter "geschlossen" und "offen" in abweichender Bedeutung, was leicht zu Verwirrung führt. Bei den Kosmologen dreht es sich hierbei um die zeitliche Entwicklung (Kollaps vs. ewige Expansion), während es bei den Topologen ausschließlich um die räumliche Ausdehnung zu einem festen Zeitpunkt geht (endlich vs. unendlich)
Ein geschlossenes Universum, welches aus einer Singularität entsteht und wieder als Singularität endet, hat einen endlichen Rauminhalt und ist damit stets eine geschlossene Mannigfaltigkeit. Ein offenes Universum kann hingegen entweder eine geschlossene oder eine offene Mannigfaltigkeit sein, also entweder mit endlicher räumlicher Ausdehnung (aber ewig expandierend) oder unendlich ausgedehnt (sowohl räumlich als auch zeitlich). Daher sprechen Kosmologen anstatt von geschlossenen lieber von "kompakten" Mannigfaltigkeiten, wenn sie sich allein auf den räumlichen Aspekt beziehen.
Setzt man dem kosmologischen Prinzip folgend voraus, dass die Geometrie im Weltall überall dieselbe sein soll und Objekte, dadurch nicht verzerrt werden, dass man sie durch die Gegend schiebt, dann muss die Krümmung im Universum überall gleich sein. In dem Fall gibt es nur genau drei mögliche Varianten: eine sphärische Form, eine flache und eine hyperbolische Form.
Die flache Form ist einfach der uns gewohnte euklidische Raum mit drei Dimensionen, in denen die Gesetze der Schulgeometrie gelten: Die Winkelsumme im Dreieck ist 180°, der Kreisumfang 2πr. Wie jetzt, gilt das denn nicht überall? Nein…!
Im dreidimensionalen Raum kennen wir die Entsprechung der sphärischen Form als Kugel. Auf der Kugel gelten die Formeln der sphärischen Trigonometrie: Dreiecke haben eine Winkelsumme stets größer als 180°. Kleine Dreiecke liegen noch nahe bei 180°, weil der Raum im kleinen Maßstab annähernd flach ist, aber ein Dreieck vom Nordpol entlang eines Längengrads zum Äquator, diesem eine Vierteldrehung entlang nach Osten und dann wieder dem dortigen Längengrad folgend zum Nordpol hat drei rechte Winkel - 270° Winkelsumme! Betrachtet man die Breitengrade als konzentrische Kreise um den Nordpol, so ist ihr Radius r vom Pol entlang eines Längengrads auf der Kugeloberfläche gemessen deutlich länger als der Radius R als dreidimensionaler Abstand des Breitengrades zur Erdachse, durch die Erde hindurch gemessen. Daher ist der Umfang des Breitengrades 2πR (mit R durch die Erde hindurch gemessen) kleiner als 2πr (r entlang der Längengrade auf der Oberfläche gemessen).
Die hyperbolische Form ist als Sattelfläche bekannt; man findet sie aber auch als Grundform von Kartoffelchips. Man erhält sie, wenn man eine Ebene entlang einer Hauptrichtung nach oben krümmt und entlang der dazu rechtwinkligen zweiten Hauptrichtung nach unten. Auf der Sattelfläche haben Dreiecke eine Winkelsumme, die stets kleiner als 180° ist und Kreise einen Umfang von mehr als 2πr (der Beweis sei dem Leser zur Übung überlassen).
Heben wir uns die kompakte Sphäre für später auf. Betrachten wir zunächst den Fall, dass das Universum flach und unendlich ausgedehnt sei. Tatsächlich ist das die Standardannahme der Kosmologie. Für die hyperbolische Form gilt Folgendes jedoch analog.