Seite 3: Otto Li­li­ent­hal und die Luft­schiff­fahrt

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Wo­her nimmt ein 25-jäh­ri­ger die Cou­ra­ge, sich mit dem Rest der flie­ge­ri­schen Welt an­zu­le­gen? Gleich in sei­nem er­sten öf­fent­li­chen Vor­trag im De­zem­ber 1873 be­zeich­ne­te er die Bal­lon­flie­ge­rei – bis dato die ein­zi­ge rea­li­sier­te Form des Men­schen­flu­ges – als Fehl­ent­wick­lung. Die Eng­län­der, de­ren ae­ro­nau­ti­schem Ver­ein er im glei­chen Jahr bei­ge­tre­ten war, be­zeich­ne­te er als zu prak­tisch ori­en­tiert, um den Men­schen nach dem Prin­zip des Vo­gel­flu­ges in die Luft zu brin­gen, die eher hier­für prä­de­sti­nier­ten theo­re­tisch ar­bei­ten­den Deut­schen wür­den erst gar kei­ne An­stal­ten in die­se Rich­tung un­ter­neh­men.

An die­sen Bei­spie­len wird be­reits Li­li­ent­hals Um­gang mit von ihm kri­tisch ge­se­he­nen Po­si­tio­nen deut­lich, wie er ihn in sei­nen ge­sam­ten pu­bli­zi­sti­schen Ar­bei­ten bei­be­hielt: Sach­ver­hal­te und Per­so­nen, mit de­nen er sich aus­ein­an­der­setz­te, wur­den in der Re­gel in­di­rekt und sehr pau­schal zi­tiert, sel­ten nann­te er Ross und Rei­ter, an­de­re An­sich­ten wur­den ab­ge­wer­tet.

Li­li­ent­hals gewichtigster Ein­wand ge­gen die Luftschifferei war, dass der Bal­lon der Will­kür des Win­des aus­ge­lie­fert sei und er sich da­durch nicht ziel­ge­rich­tet steu­ern las­se. In sei­ner Kri­tik am Bal­lon­flug ver­nach­läs­sig­te Li­li­ent­hal aber an­de­re Aspek­te, die bis heu­te dem Bal­lon­flug An­hän­ger be­schert: Das wert­freie Ge­fühl der Schwe­re­lo­sig­keit und das Ge­fühl, der Zeit und der ir­di­schen Hek­tik ent­flie­hen zu kön­nen.

In Otto Li­li­ent­hals Vor­trag aus dem Jahr 1873 ging es nicht um eine theo­re­ti­sche Dis­kus­si­on, ob das Flie­gen mit Bal­lon oder Flug­zeug leich­ter zu rea­li­sie­ren sei. Flie­gen nach dem Prin­zip „leich­ter als Luft“ wur­de seit 100 Jah­ren prak­ti­ziert, Flie­gen nach dem Prin­zip „schwe­rer als Luft“ war rei­ne Theo­rie. Schlim­mer noch: All die­je­ni­gen, die sich wie ein Vo­gel in die Luft er­he­ben woll­ten, wa­ren ge­schei­tert. Auch Li­li­ent­hal selbst hat­te bis dato nur we­ni­ge er­folg­ver­spre­chen­de Schlag­flü­ge­lex­pe­ri­men­te durch­ge­führt. Über wel­ches Selbst­ver­trau­en muss­te der Mann ver­fü­gen, den­noch zu sa­gen, Flie­gen nach dem Bal­lon­prin­zip sei der fal­sche Weg, das ein­zig Rich­ti­ge sei es, es den Vö­geln gleich zu tun!

• Anlässlich seines Todestags am 10. August 1896 beleuchten wir in einer Artikelserie die künstlerisch-visionäre Seite von Otto Lilienthal. Der zweite Teil erscheint am 13. August und der dritte und letzte Artikel am 16. August.
  

(hch)