Wasserkraft: Es geht auch fisch-freundlich
Wasserkraft spielt in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Forscher suchen nun neue Wege, um schonend und verlässlich Strom aus Strömung zu produzieren.
- Manuel Heckel
In der Isar schwimmen in wenigen Wochen ein paar neue Fische. Zwei Meter dreißig breit, drei Meter lang, knapp 90 Kilogramm schwer, am Flussgrund verankert – und künftig unter besonderer Beobachtung. Diese "Energyfische" des Start-ups Energyminer sollen helfen, eine neue Generation an Wasserkraftanlagen in der Praxis zu erproben, wie das Magazin MIT Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 3/2023 berichtet. Ökologisch erwartet Gründer Georg Walder keinerlei Probleme: "Die Anlagen fügen sich unscheinbar in das Bild der Natur ein."
Im Vergleich zur Schweiz oder zu Norwegen, wo 60 oder gar 90 Prozent des produzierten Stroms aus Wasserkraft entstehen, ist das Potenzial in Deutschland begrenzt – zu gering das Gefälle in den Gebirgen, zu stark genutzt die Wasserwege im Binnenland. Die Wasserkraft hat hierzulande einen Anteil von gerade einmal etwa drei bis vier Prozent am Bruttostromverbrauch. Dennoch: "Wir könnten in Deutschland technisch ohne größere Schwierigkeiten die Wasserkraft verdoppeln, grundsätzlich sogar verdreifachen", sagt Christian Seidel, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Statik und Dynamik der TU Braunschweig.
Potenzial von Wasserkraft in Deutschland
Das gelingt nur mit einem Mix an Maßnahmen: Erstens: zusätzliche Anlagen bauen – historisch liegen noch einige Pläne für den Rhein oder den Main vor, die nie umgesetzt wurden. Zweitens: alte Standorte mit neuer Technologie reaktivieren. Drittens: Modernisierung bestehender Kraftwerke. Der Energieversorger Verbund hat beispielsweise im vergangenen Jahr das Kraftwerk Jettenbach-Töging am Inn erweitert und erneuert, das 1924 ans Netz gegangen war. Es erzeugt nun 25 Prozent mehr Strom.
Nicht nur der Klimawandel und die damit einhergehenden Dürren bremsen die Wasserkraft – die Genehmigungsprozesse in Deutschland sind kompliziert und langwierig, denn Umweltschützende und -behörden leisten Widerstand. Ihre Sorge ist groß, dass Fische in den Turbinen zu Tode kommen. Oder dass Fließgewässer zu Tümpeln werden, weil ein Damm die Strömung ausbremst. Wasserkraftwerke machten "Flüsse zu Stehgewässern. Sie verändern das ganze Ökosystem", kritisierte etwa BUND-Vorsitzender Olaf Brandt im vergangenen Sommer.
Nach langen Verhandlungen ist letztes Jahr entschieden worden, dass auch kleinere Wasserkraftanlagen weiter durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert werden. Aber gerade an diesen kleineren Anlagen gibt es große Kritik. Das Bundesamt für Naturschutz hält größere Anlagen zwar für durchaus nützlich. Bei weniger als einem Megawatt seien im Vergleich zum energetischen Ertrag jedoch "hohe ökologische Verluste" zu erwarten.
Wasserkraft fisch-freundlich gewinnen
Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, Fluss-Kraftwerke fisch-freundlich zu bauen. Hier eine Übersicht aktueller Projekte:
- Energyfish wirbt damit, keine zusätzlichen Stauwerke zu brauchen. Sechs Kilowatt leistet eine der Turbinen, die optisch getarnt als Baumstämme kurz unter der Wasseroberfläche treiben. Das würde für drei Haushalte reichen. Doch es gäbe bereits Anfragen für einen Standort mit bis zu 160 Anlagen, berichtet Walder. "Damit hat man schon fast ein Megawatt, genug für ganze Ortschaften." Engmaschige Gitter vor dem Wassereinlass sollen Fische schützen.
- Im Rhein bei St. Goar hat eine lokale Initiative bereits erste treibende Strombojen zum Schwimmen gebracht. Auch hier sollen Rechen verhindern, dass Fische zu Schaden kommen.
- Doro Turbinen aus Graz hat ein Kleinwasserkraftwerk entwickelt, das in einem Standardcontainer in Flüsse gesetzt werden kann, mit einer Leistung von 35 KW. Große Schaufelkammern und eine geringe Drehgeschwindigkeit sollen Fische zumindest flussabwärts ungehindert passieren lassen.
- An der TH Köln arbeiten Forschende am Projekt Rheinsharing. Sie setzen für ihre Turbine auf die Form eines Diabolos, mit einer verengten Mittelstelle, um eine möglichst hohe Durchflussgeschwindigkeit zu erreichen. In den kommenden Monaten wird eine knapp drei Meter lange Testturbine unter einem am Rheinufer ankernden Forschungsschiff installiert. Ein Stahlkäfig soll Fische von der Öffnung fernhalten. Irgendwann soll dann eine etwa sieben Meter lange Anlage mit einem Durchmesser von ungefähr dreieinhalb Metern in "strömungsstarken Randbereichen" von Flüssen 35 Kilowatt liefern.
- 2025 soll das Forschungskraftwerk Bannetze in der Aller in Betrieb gehen. Es hat enorme Ausmaße: elf Meter lang, zwölf Meter breit, insgesamt 60 Schaufeln. Die Testanlage in der Lüneburger Heide soll ein physikalisches Dilemma auflösen: Herkömmliche Turbinen, die in Dämmen eingebaut sind, brauchen eine Fallhöhe von mindestens zwei Metern, um effizient zu arbeiten. Wasserräder wiederum können nur eine geringe Wassermenge verarbeiten. "Wir brauchen Wasserräder mit dem Schluckvermögen einer Turbine", sagt Seidel.
- Der Trick: Statt auf maximale Leistung, ist es auf möglichst stetiges Arbeiten getrimmt. Die einzelnen Kammern laufen voll und werden von der Schwerkraft nach unten gezogen, mit nur 1 bis 4 Umdrehungen pro Minute. Bei gerade einmal 1,6 Metern Fallhöhe soll es im Jahr bis zu 2,5 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen. Hecht, Flussbarsch oder Karpfen könnten sich von dem Rad verletzungsfrei nach oben oder unten transportieren lassen, sagt Seidel: "Das ist für die Fische gewissermaßen ein Paternoster."
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(grh)