Wie die Kreislaufwirtschaft mehr Nachhaltigkeit bringen kann

In der EU soll das Recht auf Reparatur kommen. Das fördert die Kreislaufwirtschaft. Sie bietet Potenzial, Ressourcen nachhaltiger zu nutzen.

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Inhaltsverzeichnis

"Wir können es uns nicht mehr leisten, in einer Wegwerfgesellschaft zu leben", sagte René Repasi (SPD), Verhandlungsführer des Europaparlaments, als sich in der vergangenen Nacht Unterhändlicher und EU-Staaten auf ein sogenanntes Recht auf Reparatur für Verbraucherinnen und Verbraucher einigten. Hersteller von sogenannter weißer Ware, worunter Haushaltsgeräte fallen, aber auch elektronische Alltagsgeräte wie Smartphones sollen ihre Produkte künftig auf Wunsch reparieren. So soll Müll reduziert werden und Geräte sollen länger benutzbar sein. Das dient nicht nur dem Verbraucherschutz, sondern hat auch weniger Ressourcenverbrauch bei der Herstellung von Produkten zur Folge, wie die EU-Kommission bereits in ihrem Vorschlag aus dem vorherigen Jahr argumentierte.

Ressourcen zu schonen, Rohstoffe wieder zu verwenden und insgesamt den Lebensweg eine Produktes zu optimieren beinhaltet die Kreislaufwirtschaft. Dieses Konzept erfordert mitunter ein völlig neues Denken.

Wiederveröffentlichung

Dieser Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel "Den Kreis schließen" in Ausgabe 2/2022 der MIT Technology Review. Anlässlich der Einigung auf EU-Ebene zum Recht auf Reparatur veröffentlichen wir ihn hier erneut.

Ein Denken, das sich etwa in der "NochMall" in Berlin-Reinickendorf manifestiert. Jede Gitterbox, jede Europalette, jede Holzfaserplatte in der Einrichtung verbreitet die gleiche Botschaft: Kreislaufwirtschaft ist hip. Das Gebrauchtwarenhaus will mehr sein als ein gewöhnliches Second-Hand-Kaufhaus – nämlich ein Schaufenster für alles, was mit Wiederverwendung zu tun hat. "Wir wollen die Mitte der Gesellschaft erreichen", sagt Geschäftsführer Frieder Söling. Dazu beitragen sollen viel Licht, viel Platz und viel Holz sowie regelmäßige Workshops, Repaircafés, Lesungen, Auktionen und Ausstellungen.

Dieser Text stammt aus: Technology Review 2/2022

(Bild: 

Technology Review 2/2022 im heise shop

)

Wir schauen auf unsere Wirtschaft und wie wichtig das Konzept der Kreislaufwirtschaft ist, um die bisherigen Verfahren und Prozesse zu überwinden. Das und mehr lesen Sie im neuen Heft, das ab dem 17.2. im Handel liegt und ab dem 16.2. bequem im heise shop zu bestellen ist. Highlights aus dem Heft:

Im ehemaligen Teppichlager im Berliner Norden findet man nicht nur frischen Cappuccino aus nachhaltigem Kaffee, sondern auch kubikmeterweise Stofftiere für einen Euro pro Stück, museumsreife Kinderwagen für moderate zweistellige Beträge oder ein modernes Cembalo für 900 Euro. Und eine Ecke ist ganz den Berliner Upcycling-Start-ups gewidmet: Hüte und Mützen aus ehemaligen Kaffeesäcken oder Hemden aus Jersey-Bettwäsche.

Ebenso ungewöhnlich wie das Sortiment ist auch der Träger dieses 2020 eröffneten Anti-Konsumtempels: die Berliner Stadtreinigung (BSR). Dass diese es nicht mehr als ihre alleinige Aufgabe betrachtet, den Bürgern ihren Abfall möglichst geräuschlos vom Hals zu schaffen, ist symptomatisch für das neu erwachte Interesse an der Kreislaufwirtschaft. Erstmals taucht der Begriff nun auch in einem Koalitionsvertrag auf: "Wir fördern die Kreislaufwirtschaft als effektiven Klima- und Ressourcenschutz, Chance für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsplätze", heißt es dort. Dazu wollen die Koalitionäre unter anderem abfallrechtliche Vorgaben überprüfen, digitale Produktpässe einführen, Qualitätsstandards und Mindestquoten für Rezyklate festsetzen. Die EU hat im Rahmen ihres Green Deal Ähnliches angekündigt.

Die alte "Linear"-Wirtschaft (Rohstoffe rein, Abfälle raus) wird derzeit von zwei Seiten in die Zange genommen: Zum einen wird immer deutlicher, wie stark der Rohstoffverbrauch die Umwelt und das Klima belastet. Zum anderen wird die Versorgung mit Rohstoffen immer fragiler.

Viel Platz, viel Holz und viel Licht verbreiten in der Berliner „NochMall“ die Botschaft: Kreislaufwirtschaft ist hip.

(Bild: Nils Schirmer / Nochmall)

Laut Circularity Gap Report 2021 verursacht der Umgang mit Material rund 70 Prozent aller Treibhausgase, weit mehr als die reine Energieversorgung. Dieser hohe Anteil erklärt sich dadurch, dass eine große Menge der erzeugten Energie direkt oder indirekt in die Herstellung materieller Güter fließe – etwa für den Betrieb von Containerschiffen, Kühlhäusern, Stahlwerken oder Aluminiumhütten. Entsprechend groß sei auch der Hebel einer Kreislaufwirtschaft. Derzeit fließen laut Gap Report nur 8,6 Prozent des von Menschen in Umlauf gebrachten Materials zurück in die Wirtschaft. Eine Verdoppelung dieser Quote würde reichen, den Temperaturanstieg der Welt bis 2032 unter zwei Grad zu drücken.

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Zudem sorgt die Corona-Pandemie zum Teil für erhebliche Engpässe auf den Weltmärkten. Für Cobalt, Magnesium oder Seltene Erden erwartet die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft laut aktueller Studie für dieses Jahr Versorgungslücken. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sieht sogar die Beschaffung von über 40 Prozent aller gängigen Rohstoffe und Zwischenprodukte gefährdet. Um sich den Nachschub zu sichern, hat sich die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) bereits ein eigenes Recycling-Unternehmen gekauft.

Die Kreislaufwirtschaft oder "Circular Economy" will auf solche Fragen aber eine weitaus umfassendere Antwort geben als das altbekannte Recycling, denn das konnte trotz eifriger Mülltrennung in deutschen Haushalten bisher wenig zur Lösung des Problems beitragen. "Zwar ist die Gesamtrohstoffproduktivität zwischen 2000 und 2016 um 35 Prozent gestiegen", heißt es in der Roadmap der Circular Economy Initiative Deutschland (CEID). "Diese Steigerung ging allerdings nicht auf eine Reduktion des absoluten Ressourcenverbrauchs, sondern auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts zurück." Das bedeutet: "In Deutschland wird der Ressourcenverbrauch bisher nicht vom Wirtschaftswachstum entkoppelt."

Und selbst diese Daten sind noch geschönt, denn die Recyclingquote erzählt nur die halbe Geschichte, nämlich die des Mülls. Das Umweltbundesamt fordert deshalb die Einführung einer verbindlichen "Substitutionsquote". Sie gibt den Anteil von wiederverwendeten Rohstoffen am fertigen Produkt an und ist deshalb aussagekräftiger. "Die heutige Substitutionsquote wird für Deutschland auf durchschnittlich 15 Prozent über alle Stoffströme geschätzt und ist zwangsläufig noch sehr niedrig, misst den Recyclingerfolg aber absolut und damit ehrlich", schreibt der Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020.

Mehr über Recycling und Kreislaufwirtschaft

Ein weiteres Problem ist das sogenannte "Downcycling": Recycelte Stoffe haben fast immer eine schlechtere Qualität als das Ausgangsmaterial. Besonders deutlich wird das im Gebäudebereich, denn in Deutschland braucht man zwar eine Bau-, aber keine Abrissgenehmigung. Das, sind sich Experten einig, sei einer der Gründe, weshalb Gebäude häufig nicht saniert, sondern abgerissen werden. 2018 sind 218,8 Millionen Tonnen mineralische Bauabfälle angefallen. Damit zählt die Baubranche – neben der Kunststoff- und Elektronikindustrie – nach Einschätzung der CEID zu einer der drei Industriezweige mit dem größten Potenzial für ein zirkuläres Wirtschaftskarussell, da sie die größten Massen bewegen.

Die Baubranche kann zwar hohe Recyclingquoten von 78 Prozent des Bauschutts und 93 Prozent des Straßenaufbruchs aufweisen. Allerdings bedeutet das vor allem deren Wiederverwendung im Straßen-, Erd- und Deponiebau. Wichtiger wäre allerdings der Erhalt von Gebäuden oder die gezielte Weiterverwertung von Fenstern, Mauerwerk oder Türen – ein in den Niederlanden bereits etabliertes Verfahren. Dort bestehen bereits 24 Prozent des gesamten Baumaterials aus recycelten Stoffen. In Deutschland und im europäischen Mittel sind es etwa 12 Prozent.

Dem Downcycling haben der deutsche Chemiker Michael Braungart und der amerikanische Architekt William McDonough in den 1990er-Jahren das Konzept des "Cradle to Cradle" ("Wiege zur Wiege") entgegengesetzt. Es besagt unter anderem, dass Produkte so gestaltet werden sollen, dass ihre Rohstoffe praktisch in einem unendlichen Kreislauf in gleichbleibender Qualität immer wieder verwendet werden können. Doch das derzeit diskutierte Konzept der Kreislaufwirtschaft geht noch weiter. Sie nimmt den gesamten Lebenszyklus eines Produkts in den Blick und damit auch die Frage, wie man es länger nutzen kann. Die Unternehmensberatung PWC hat das Prinzip mit zehn Stufen zusammengefasst:

  1. Einsatz von recyceltem Material bei der Produktion
  2. nachhaltiges Design für längere Haltbarkeit, einfachere Reparatur oder bessere Wiederverwertbarkeit
  3. ressourcensparende Produktion
  4. "Product as a Service" (etwa Vermietung statt Verkauf)
  5. Teilen oder Digitalisieren eines Produkts
  6. optimierte Nutzung oder längere Lebensdauer durch bessere Wartung
  7. Weiterverwendung
  8. Refurbishing / Remanufacturing (Aufbereitung von ganzen Produkten oder Teilen)
  9. industrielle Symbiose (Nutzung von Abfallstoffen eines Unternehmens als Rohstoffe eines anderen)
  10. Recycling

Die CEID hat 22 Geschäftsmodelle aufgelistet, mit denen man innerhalb der Kreislaufwirtschaft Geld verdienen kann – von Aufbereitung, Verkauf, Vermietung über Reparatur- und Wartungsdienste bis hin zu Informationsplattformen und Logistik-Dienste für Ersatzteile. Beispiele dafür gibt es quer durch alle Branchen: Hewlett-Packard Enterprise (HPE) etwa bietet seinen Kunden IT-Infrastruktur als Dienstleistung an ("as a Service"). Zudem kauft HPE alte Server, Computer und Drucker von Kunden zurück, um sie aufzubereiten und weiterzuverkaufen. Der Energieversorger EWE bietet ganze Heizungen zur Miete an. Und in der Modewelt gibt es zahlreiche Start-ups wie Fjong, Unown oder Y:closet, die Kleidung vermieten, zum Teil auch als Abo-Modell.

Was die Konfektionsgröße für Kleidung, sind Normen für industrielle Rohstoffe: eine Art Schmiermittel für den reibungslosen Austausch. Der DIN e.V. hat deshalb die Normungsroadmap Circular Economy ins Leben gerufen. Seit Januar 2022 treffen sich Arbeitsgruppen für die Themen IT, Batterien, Verpackungen, Kunststoffe, Textilien, Bauwerke & Kommunen sowie Digitalisierung/Geschäftsmodelle/Management, um zu erfassen, welchen Normungsbedarf es in welchen Branchen gibt. Ende 2022 wollen sie ihre Ergebnisse vorstellen.

"Hersteller und Recycler müssen eine Kommunikation miteinander aufbauen", sagt DIN-Mitarbeiter Benjamin Hein, der das Projekt betreut. So müsse ein Entwickler einerseits beispielsweise wissen, wie sich Recyclingmaterial für sein Produkt am besten einsetzen lässt, und andererseits, wie sich sein Produkt recyclingfreundlich designen lässt. "Dabei helfen Normen", sagt Hein.

Der Bedarf ist groß. "Für die Recyclingfähigkeit von Verpackungen gibt es zum Beispiel noch keine Standards", sagt Hein. Mehr als 1.000 Menschen haben sich bereits für die Normungsroadmap angemeldet. "Für uns ist das ein echter Superlativ."

Unabhängig von der Roadmap ist bereits eine Norm in Kraft getreten, welche die Kreislaufwirtschaft in Schwung bringen soll: die DIN SPEC 91446. Sie schafft einen Standard für die Datenqualität von Kunststoff – also darüber, wie detailliert seine Eigenschaften beschrieben werden. Bei vielen Chargen gibt es bisher nicht einmal eine Angabe darüber, welchen Anteil an recyceltem Material sie enthalten.

Initiiert und vorangetrieben hat diesen Standard Christian Schiller, CEO des Start-ups Cirplus. In der Branche wird er nun dafür gefeiert. Cirplus betreibt eine Plattform für Recycling-Kunststoff, die Anbieter und Produzenten zueinander bringt. "Bisher waren das völlig fragmentierte Märkte, die miteinander nichts zu tun hatten", sagt Schiller – und die häufig noch per Fax miteinander kommunizierten.

"Der Flaschenhals", so Schiller, "sind dabei die Recycling-Firmen." 1.000 Recycling-Unternehmen stehen in Europa rund 50 000 Kunststoffverarbeitern gegenüber. Das bedeutet: Wenn ein großer Konsumgüterproduzent alle seine Shampoo-Flaschen aus wiederverwertetem Material herstellen will, wird er keinen Anbieter finden, der ihm die komplette Charge aus einer Hand bieten kann. Doch einfach mehrere Chargen bündeln kann er auch nicht, solange er nicht genau weiß, was darin steckt. "Dafür braucht man Standards", sagt Schiller. "Sonst können Sie nichts skalieren."

Rund 1.300 Nutzer sind derzeit bei Cirplus angemeldet, das Handelsvolumen beträgt 500.000 Tonnen – und die Nachfrage nach hochwertigem Rezyklat nimmt zu. Der steigende Ölpreis macht Neuware teurer, und die politischen Vorgaben für höhere Recyclingquoten beginnen zu greifen.

Ein funktionierender Markt könnte auch das Angebot an hochwertigem Rezyklat erhöhen. "Die Sortierbetriebe können grundsätzlich extrem fein sortieren", sagt Schiller. "Das lohnt sich aber nur, wenn sie dafür Abnehmer finden. Das wollen wir mit unserer Plattform erreichen."

Doch die mechanische Sortierung hat Grenzen. Die Basis-Kunststoffe erkennen Sortiermaschinen zwar recht zuverlässig. Allerdings läuft das, was wir von Kunststoffen inzwischen erwarten, diametral den Anforderungen an ein Kreislaufsystem entgegen. Jede Verpackung hat beispielsweise ihre eigenen Additive. Sie sorgen etwa dafür, dass Käse-Folien sich leicht trennen lassen, oder beeinflussen Elastizität, Transparenz und Glanz.

In die Verpackung eingearbeitete digitale Produktpässe können hier helfen, indem sie automatisch Sortieranlagen ansteuern. Dass solche unsichtbaren Wasserzeichen selbst für normale Wurstfolie günstig genug sein können, das will die Initiative Holy Grail 2.0 zeigen. Dahinter steckt unter anderem der europäische Markenverband, in dem sich das Who’s who der Anbieter von Abinbev bis Unilever zusammengeschlossen haben. Das Verfahren wird derzeit in einer halbindustriellen Testanlage in Kopenhagen erprobt.

Das Berliner Start-up circular.fashion hat einen Produktpass für Textilien entwickelt. Die circularity.ID kann aus einem QR-Code, einem NFC- oder RFID-Funkchip bestehen. Nach Angaben des Start-ups sind inzwischen Tausende Produkte mit so einer ID ausgestattet, beispielsweise Otto, Zalando, Armedangels, Besonnen, Vretena, Silfir und The Slow Label.

Aussortierte Kleidungsstücke türmen sich in der Atacama-Wüste in Chile zu ganzen Bergen auf.

(Bild: picture alliance/dpa)

Kunden können über diese ID mit ihrem Smartphone etwa Pflegehinweise oder Rückgabemöglichkeiten abrufen. Bei diversen Textilsammlern in ganz Deutschland wurden bereits intelligente Sortier-Stationen installiert, welche die Chips auslesen können. Zudem erforscht circular.fashion gemeinsam mit TU und FU Berlin, wie sich Altkleider auch ohne Chips automatisch sortieren lassen – und zwar mithilfe von KI, Spektroskopie und Bildanalyse.

Doch trotz ausgeklügelter Sortierung werden wohl auch in Zukunft immer wieder "Sortierreste" übrig bleiben – etwa weil unterschiedliche Kunststoffe untrennbar miteinander verklebt oder vernetzt sind. Derzeit werden sie verbrannt. "Wenn man sie stofflich nutzen möchte, gibt es zurzeit keinen anderen Weg als das chemische Recycling", sagt Hartmut Pflaum, Leiter der Geschäftsstelle des Fraunhofer-Cluster Circular Plastics Economy.

Chemisches Recycling – also das Herunterbrechen der Kunststoffe auf ihre einzelnen Bausteine – ist eine typische End-of-Pipe-Lösung am Ende der Prozesskette. Und sie ist je nach Variante sehr chemikalien- und energieaufwendig. Dafür lassen sich recycelte Kohlenstoff-Moleküle einfacher wieder in eine Wertschöpfungskette einspeisen als Kunststoffgranulat aus dem konventionellen Recycling.

"Wir sehen im Moment Investitionen im dreistelligen Millionenbereich – keine kleinen Laboranlagen, sondern echte Pilotanlagen", sagt Jörg Rothermel, Abteilungsleiter Energie, Klimaschutz und Rohstoffe beim Verband der Chemischen Industrie. Die meisten solcher Technologien werden allerdings erst Ende dieses Jahrzehnts großtechnisch einsetzbar sein, erwartet er, denn beim Schritt vom Pilot- auf den Industriemaßstab lauern noch viele technische Hürden.

Das Kernproblem: Bei der thermischen Zersetzung der Kunststoffe entsteht eine Mischung unterschiedlicher Kohlenwasserstoffe. Daraus ließe sich zwar ein homogenes, weiterverarbeitbares Öl herstellen, aber das scheitere noch "an verfügbaren Mengen und der Wirtschaftlichkeit im Vergleich zur Neuware", sagt Fraunhofer-Forscher Pflaum.

Vor allem für Lebensmittelreste hat das Züricher Start-up RethinkResource eine Plattform namens Circado entwickelt. "Sie soll den Markt für Nebenströme transparenter machen", sagt CEO Linda Grieder. Derzeit verhandelt das Start-up mit Partnern für die Plattform. Als Kerngeschäft berät es Unternehmen, wie sich mit Materialien, die sonst teuer entsorgt werden müssten, noch etwas anfangen lässt.

Ein Beispiel sind die zigtausend Erdbeer-Kernchen, die bei der Marmeladenherstellung anfallen. "Sie werden in den Ländern, in denen sie verarbeitet werden, oft in den Gully gekippt", sagt Grieder. Dabei seien sie unter anderem als mikroplastikfreie Peeling-Granulate in der Kosmetikindustrie gefragt. "Allerdings sind solche Nebenströme finanziell oft nicht wertvoll genug, um sie über weite Strecken zu transportieren. Wir errechnen aus den Lebenszykluskosten im Vergleich zu einem herkömmlichen Produkt, wie weit sich der Transport lohnt."

Lukrativer wird die Sache, wenn die Reststoffe lokal genutzt oder vorverarbeitet werden. Allerdings müssen dazu oft die Lieferungen mehrerer Anbieter gebündelt und weitere Partner ins Boot geholt werden. "So entstehen oft multilaterale Projekte mit vielen Parteien. Das bringt für viele oft auch ganz neue Arbeitsweisen mit sich", sagt Grieder – etwa Spritzgusstechnik aus der Autoindustrie zur Aufbereitung von Resten aus der Sojamilchherstellung. "Wir bringen die Parteien an einen Tisch und sind als Übersetzer tätig", sagt Grieder.

Ein Trommelsieb trennt in einer Sortieranlage Verpackungen nach ihrer Größe.

(Bild: Veolia Deutschland GmbH, Ahrens+Steinbach Projekte)

Gerade im Biotech-Bereich ist die zirkuläre Wirtschaft geprägt von kleinen Initiativen und Start-ups. Da werden Orangenschalen und Kaffeereste gesammelt, um daraus Tierfutter, ätherische Öle, Pilzsubstrate oder Tassen herzustellen. In das große Industriegefüge der linearen Wirtschaft kommen diese kleinen Initiativen nicht hinein. "Aber die Innovationen aus diesen Initiativen sind das, was wir brauchen", sagt Susanne Kadner von der CEID. "Und vielleicht werden diese Innovationen von großen Unternehmen eingekauft. Richtig in Schwung kommt das Ganze nur, wenn da eine Art Ökosystem aus Kooperationspartnern entsteht."

Es solches Ökosystem will die deutsche Autobranche mit Catena-X aufbauen. Die namentliche Ähnlichkeit mit der europäischen Cloud-Initiative Gaia-X ist kein Zufall. "Weil es den Automobilherstellern dabei nicht schnell genug ging, haben sie schon einmal vorgelegt", schreibt die Wirtschaftswoche. Über Catena-X teilen Hersteller und Zulieferer die Daten ihrer Lieferkette, vom Rohstoff bis zum fertigen Auto. So könnten Verwerter beispielsweise sehen, wie viele Akkus benötigt werden, und sich für Recycling oder Wiederaufbereitung entscheiden.

Neben der damit einhergehenden Komplexität stehen auch rechtliche Aspekte einer Wiederverwendung oft im Weg. "Sobald in der Lebensmittelindustrie etwas als Abfall deklariert wird, muss es auf bestimmte Art und Weise entsorgt werden. Einmal Abfall, immer Abfall. Es wäre viel einfacher, wenn es ein Rohstoff bleiben würde", sagt Linda Grieder von RethinkResource.

Diese Regularien gelten auch für die Berliner Stadtreinigung. Sie darf sich nicht einfach bei den eigenen Recyclingcontainern bedienen, um die NochMall mit Nachschub zu versorgen, sondern musste eigene Abgabestellen einrichten. Doch obwohl derzeit nur an 3 der 14 BSR-Recyclinghöfen (und bei der NochMall selbst) ausgediente Dinge abgegeben werden können, fließen die Spenden reichlich. Schon bei einem fünfwöchigen Pilotversuch 2018 mit einer einzigen Abgabestelle "haben wir riesige Mengen bekommen", erinnert sich Frieder Söling. "Was uns auch überrascht hat: Etwa 90 Prozent waren wiederverwendbar." Besonders gut laufen Haushaltswaren, Möbel, Bücher, Textilien und – warum auch immer – Golfschläger.

Die größten Kostenfaktoren im Second-Hand-Geschäft sind vor allem zwei Dinge, zählt Söling auf: "Fläche und Personal". Mit der BSR im Hintergrund ist die NochMall immerhin in der Lage, eine mehr als 2.000 Quadratmeter große Halle sowie ein weiteres Lager anzumieten und ihre rund 20 Beschäftigten nach Einzelhandelstarif zu bezahlen. Sie sichten, sortieren und bepreisen die Ware. Die Sicherheit der elektronischen Geräte überprüft ein externer Sozialbetrieb. Aber für eine Reinigung der Textilien oder eine Reparatur der Fahrräder wären die Personalkosten im Verhältnis zum möglichen Verkaufspreis zu hoch.

Das Beispiel zeigt: Zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft gehört auch ein Umbau des Steuersystems. Rohstoffe sind oft so billig und menschliche Arbeitskraft so teuer, dass sich eine aufwendige Aufbereitung kaum lohnt. Die CEID fordert deshalb, "Unternehmen stärker relativ zur Höhe ihrer Ressourcenverbräuche und Umwelteffekte zu belasten und gleichzeitig den Faktor Arbeit, der für die arbeitsintensiven Prozesse in der Circular Economy vermehrt benötigt wird, steuerlich zu entlasten".

Als Königsweg dorthin sieht Vincent Ackenhausen, Experte bei der Unternehmensberatung PWC, die "Internalisierung externer Kosten". Soll heißen: Alle Folgeschäden, die ein Produkt etwa für die Umwelt oder die Menschen verursacht, sollen auf dessen Preis umgelegt werden, statt sie von der Gesellschaft begleichen zu lassen. "Das würde Unternehmen belohnen, die bereits heute nachhaltig wirtschaften", sagt Ackenhausen. "Viele Unternehmen wollen zirkuläre Geschäftsmodelle umsetzen, finden sich aber in einem Markt wieder, der dies nicht incentiviert."

Dies ist auch der Gedanke hinter der CO2-Bepreisung. Doch Probleme wie zerstörte Landschaften, Kinderarbeit, Verlust an Biodiversität oder Mikroplastik in den Meeren lassen sich nicht auf CO2-Äquivalente umrechnen – oder mit einem Preisschild versehen. Wie also sollen diese gesellschaftlichen Kosten "internalisiert" werden?

"Das ist nicht nur ein politisches Thema, sondern wird auch schon von den Unternehmen vorangetrieben", meint Ackenhausen. "Es gibt dabei einen natürlichen Anreiz: Statt Abfall sollte man lieber von 'verloren gegangenem Wert' sprechen. Und je tiefer man in die eigene Wertschöpfungskette herabsteigt, desto mehr Möglichkeiten werden sich finden, Wert im eigenen Kreislauf zu halten."

Ließen sich damit Ökonomie und Ökologie versöhnen? Schön wär’s. Selbst wenn die Kreislaufwirtschaft alle Register zieht: Völlig ohne Ressourcenverbrauch wird es nicht gehen. Kunststoffe lassen sich im Prinzip, allerdings nur grob geschätzt, zu etwa zwei Dritteln in den Kreislauf zurückholen, nimmt der Verband der Chemischen Industrie an. "Eine hundertprozentige Wiedergewinnung der in den Abfällen enthaltenen Wertstoffe ist weder technisch möglich noch wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll", bestätigt auch der Statusbericht Kreislaufwirtschaft.

Und dann ist da noch der "Rebound"-Effekt. Er besagt, dass Menschen oft dazu neigen, das an einem Ende Eingesparte am anderen Ende wieder zusätzlich auszugeben. Etwa indem sie das durch Second-Hand-Kleidung gesparte Geld in eine Flugreise investieren.

Die gleiche Logik gilt auch für Unternehmen und Volkswirtschaften: Sagenhafte 1,8 Billionen Euro an wirtschaftlichen Vorteilen, schätzt die Ellen MacArthur Foundation, könne eine Circular Economy allein in Europa bis 2030 bringen. Das klingt gut, aber was geschieht mit dem Geld? Wird es investiert, um das Wachstum anzukurbeln, könnte es den Ressourcenverbrauch unter dem Strich erhöhen statt senken.

Die Höhe der Balken stellt die Kosten der CO2-Vermeidung dar. Negative Werte bedeuten: Mit den Maßnahmen lässt sich Geld sparen. Bei Autos zählt Car-Sharing zu den günstigsten Maßnahmen, Leichtbau zu den teuersten. Die Balkenbreite zeigt die Menge an potenziell vermeidbaren Emissionen. Kunststoff-Recycling hat ein hohes Potenzial, die Wiederaufbereitung von Autos ein relativ kleines.

(Bild: Material Economics, The Circular Economy – A Powerful Force for Climate Mitigation (2018); Ellen MacArthur Foundation)

"Kreislaufwirtschaft ist gerade das große Heilsversprechen", warnt Henning Wilts, Direktor der Abteilung Circular Economy am Wuppertal Institut. "Sie soll die Wirtschaft retten und das Klima auch. Aber sie kann auch als Booster für zusätzlichen Ressourcenverbrauch wirken."

Schließlich spielen auch psychologische Faktoren eine Rolle: Wer ein gutes Gewissen hat, weil er stets seinen Müll trennt, achtet möglicherweise weniger stark auf dessen Vermeidung. "Wir waren hier lange der Meinung, wir seien Recycling-Weltmeister", sagt Wilts. "Damit ist das Thema Müll auf unserer gefühlten Rangliste der Umweltprobleme ganz nach unten gerückt. Das korreliert stark mit dem Anstieg der Kunststoffabfälle. Die Leute haben sich an einen abfallintensiveren Lebensstil gewöhnt."

Wie hoch genau der Rebound-Effekt tatsächlich ist, lässt sich schwer abschätzen. Laut einer Meta-Studie des Wuppertal Instituts von 2012 liegt er bei 20 bis 50 Prozent. Das bedeutet: Bis zur Hälfte der Einsparungen in einem Bereich können durch verstärkten Konsum in anderen Bereichen wieder kompensiert werden.

Die Konsequenz daraus: "Wir brauchen die Kreislaufwirtschaft, aber sie darf nicht einfach als Argument für ungehemmten Ressourcenverbrauch dienen", sagt Wilts. "Am Ende muss eine absolute Senkung des Verbrauchs stehen."

(lca)