Aus für den Streetscooter: Den Schuh zieh' ich mir nicht an

Günther Schuh beklagt im Handelsblatt das Ende von Streetscooter. Alle haben alles falsch gemacht – außer er natürlich. Eine Korrektur dieses Selbstbildes

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Streetscooter

(Bild: DHL)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Günther Schuh, (Mit-)Erfinder des Streetscooter-Transporters und des Kleinstwagens e.Go Life, fällt immer weniger mit positiven Nachrichten über die Fahrzeuge seiner Gründungen auf und immer mehr mit Klagen über die Gesamtsituation. Die Leute kaufen die falschen Autos (also keine von e.Go). Die E-Auto-Förderungserhöhung ist doof, weil er nicht damit gerechnet hat. Und jetzt behauptet er in einem Gastbeitrag des Handelsblatts, das Ende von Streetscooter sei ein „Armutszeugnis für Deutschland“. Im Text schlägt er um sich mit Argumenten, die sich zunächst schlüssig anhören, es aber bei genauer Betrachtung nicht sind. Eigene Fehler gab es für Günther Schuh nicht.

Jeder Unternehmer kann Herrn Schuhs Frust verstehen, doch vielleicht, ganz ganz vielleicht sind nicht ausschließlich alle Anderen schuld an der Misere von Streetscooter und e.Go, sondern mit ein bisschen Ehrlichkeit auch die Gründer selbst. Nicht jede unternehmerische Idee geht auf, Herr Schuh. Das gilt ganz besonders im roten, alten Markt der Kraftfahrzeuge.

Schuh fängt damit an, das Silicon Valley zu bewerben, weil schwierige Menschen wie Jobs, Bezos und Musk dort ihre ersten paar hundert Millionen Dollar einsammeln konnten. Er fällt auf die romantische Geschichte herein, die sich das Valley selbst erzählt: Nur mit einer Idee schaffst du es hier vom Tellerwäscher zum Millionär, weil du die Welt besser machst. Ze POWER of ideas! In Deutschland dagegen unterstützt dich keiner so schnell. Und das stimmt auf der Oberfläche so. Doch darunter ist es entscheidend wichtig zu verstehen, WARUM das so ist. Im Silicon Valley fließt US-Militärgeld mit dem Druckschlauch. Um diese Grundversorgung hat sich eine Risikofinanzierungs-Struktur gebildet, die von den rein virtuellen Wertsteigerungen von Valley-Gründungen an der Börse lebt.

Streetscooter (4 Bilder)

Ich mag simple Nutzfahrzeuge. Ich hätte diesem Erfolg gegönnt. Die meisten Schreiber taten das. Es mangelte nur eben nicht an Sympathien, sondern an der Ökonomie.
(Bild: Streetscooter)

Im Silicon-Valley-Umfeld kannst du über zehn Jahre lang im größten Stil Geld verbrennen und niemand macht sich darum groß Sorgen. Twitter fing 2006 an. Ende 2017 wies das Unternehmen das erste Mal einen Quartalsgewinn aus. Es hat dem Betrieb nicht geschadet. Ebenso Tesla. Der Autohersteller hat seit der Gründung 2003 noch keine positive Jahresbilanz geschrieben. Es interessiert niemanden, solange die Aktienwerte so steigen wie bisher. Es ist für Teslas Wert wichtiger, was Elon Musk wieder (auf Twitter) rausömmelt als das, was in den Geschäftsberichten steht.

In Deutschland sieht das in der Tat komplett anders aus. Ob man das gut findet oder schlecht, hängt von der eigenen Perspektive ab. Wenn wir uns ein deutsches (oder europäisches) Valley wünschen: Woher kommt die Druckbetankung mit Geld? Wir haben keinen Rüstungsapparat wie die USA. Niemand sonst hat so etwas. Wir müssten zivil massiv mehr Geld dafür bereitstellen, mit allen Problemen, das demokratisch und stabil zu tun. Egal wie: Es ist nun einmal, wie es ist.

Doch das wäre für Streetscooter sowieso egal gewesen. Günther Schuh hätte seine Idee des Elektro-Nfz samt flexibler Produktion ins Valley nehmen und dort sein Glück zwischen den fremden Haifischen versuchen können. Hätte er das getan, würde er heute wohl andere Dinge über die vermeintliche „Ideenkultur“ des Valley-Umfelds schreiben.

Ich glaube, er würde dasselbe tun, was er jetzt tut: klagen. Klagen über die große Unfairness des Valley, die ihm die Großartigkeit seiner Ideen nicht an der Nase ablasen, um ihn sofort mit Geld zu überschütten. Dass alle Valley-Gewinner aus dem skrupellosen Kampf mit den anderen Haien hervorgingen, weiß er nicht oder er verschweigt es der Rhetorik wegen. Vielleicht würde er nach dem Scheitern im Valley sogar europäische Bodenständigkeit loben, die Anforderung, recht schnell auf eigenen finanziellen Füßen stehen zu müssen, gepaart mit Charisma-technisch niedrigeren Finanzierungsschwellen. Für deutsche Verhältnisse ist Günther Schuh ein ganz guter Redner. In Amerika reden schon 16-jährige Youtuber besser, denn dort gibt es einfach eine Kultur der Rhetorik, der nonmonotonen Sprache an sich.

An Deutschland lobt er ausgerechnet Herbert Diess, bei dem es derzeit ebenfalls wichtiger ist, was er sagt als das, was er wirklich verantwortet. Diess setzt einen Elektro-Umbau bei Volkswagen um, an dessen Planung er schlicht nicht beteiligt war. Und selbst die Umsetzung möchte ich eher kritisieren als loben. Aktuell landet jeder produzierte VW ID.3 auf einem riesigen Parkplatz, damit er irgendwann einmal funktionierende Software aufgespielt bekommen kann vor einem Verkauf. Das riecht mir nicht nach gelungenem Management. Das riecht mir nach Diess-Ökonomie, bei der man an einem Detail 3 Cent spart, um später 100 Euro für die Folgen zu zahlen. Sie können die VW-Software-Plattform übrigens kaufen! Also, wenn sie irgendwann mal funktioniert ...

An der Deutschen Post AG mit der Lieferdienst-Tochter DHL lässt Schuh kein gutes Haar. Das klang noch ganz anders, als das Unternehmen ihm Streetscooter "für ein paar Milliönschen" abnahm. Liest man seine kaum nachprüfbaren Anschuldigungen, entsteht der Eindruck, DHL habe eine Lieferfahrzeugfertigung nur deshalb gekauft, um sie auf eine Weise kaputtzumachen, in der dem Konzern die maximalen Kosten entstehen. Das scheint mir weniger schlüssig als die banale Alternative: Es lief halt nicht so, wie sich alle das vorgestellt hatten.