Kommentar: Wir werden alle sterben – aber wahrscheinlich nicht an Affenpocken

Seite 2: Krankheitsverlauf bei den Affenpocken

Inhaltsverzeichnis

Die Demokratische Republik Kongo hat seit Jahrzehnten mit Affenpocken zu tun, in Nigeria gab es 2017 nach 39 Jahren Infektionspause wieder einen Fall, der einen großen Ausbruch mit etwa 500 Verdachtsfällen und mehr als 200 bestätigten Fällen nach sich zog. Auch in den Vereinigten Staaten wurde 2003 ein Ausbruch gemeldet, als eine Lieferung von Nagetieren aus Ghana das Virus auf Präriehunde in Illinois übertrug und auf dem Weg mehr als 70 Menschen infizierte. Aber all diese Ausbrüche haben keine weiteren Kreise gezogen und ließen sich schnell eindämmen. Das effektivste Mittel sind so genannte Ringimpfungen, bei denen die Kontaktpersonen der Erkrankten gegen Pocken geimpft werden und damit deren Immunsystem die Viren aus dem Verkehr zieht. Auch andere – deutlich gefährlichere Erreger verursachen regelmäßig Endemien. So infizieren sich jedes Jahr etwa 20 US-Amerikaner mit der Pest – nicht jede Endemie wird zur Pandemie und je besser der Erreger bekannt ist, desto einfach ist es, die Endemie einzudämmen.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

Die Infektion, die das derzeit kursierende Affenpockenvirus – die westafrikanische Variante – bei Menschen auslöst, ist relativ mild. Die Symptome sind zu Beginn recht unspezifisch, aber im Gegensatz zu den Symptomen von SARS-CoV-2 immer gleich: Die Viren lösen zunächst eine generelle Reaktion des Immunsystems aus, die mit Fieber, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und angeschwollenen Lymphknoten einhergeht. Eindeutig wird es dann, wenn die Pocken-typischen Hautläsionen sichtbar werden. Gefährlich werden Affenpocken-Infektionen nur, wenn die Wunden schlecht gepflegt werden und sich bakteriell infizieren. Für Menschen mit schwachem Immunsystem können die Affenpocken ernsthaft gefährlich werden – das gilt bei Immunsupprimierten allerdings für jedes Virus. Bei allen anderen heilt die Krankheit innerhalb einiger Wochen aus.

Dass die Affenpocken insgesamt selten auftreten, liegt vermutlich am Übertragungsweg. Auch das ist ein wichtiger Unterschied zu SARS-CoV-2 und anderen Pandemie-Viren: Wenn die Viruspartikel über die Luft in Aerosolen übertragen werden, ist ihre Verbreitung kaum einzudämmen – wie wir seit gut zwei Jahren erleben. Aber ein Affenpockenvirus braucht wesentlich mehr Nähe. Ohne Austausch von Körperflüssigkeiten keine Pocken. Das kann zwar auch die Spucke, die dem Gegenüber beim Husten im Gesicht landet, sein oder eine mit dem Sekret aufgeplatzter Pocken beschmierte Oberfläche – aber dazu gehört schon eine gute Portion Pech. Je näher Mensch sich kommt, desto effektiver die Übertragung. Oder: Sex ist der Übertragungsweg Nr. 1.

Und damit sind wir beim aktuellen Infektionsgeschehen – inzwischen ist belegt, dass die Ursprünge des Affenpockenausbruchs auf zwei Festivals zurück gehen: das Darkland Festival im belgischen Antwerpen und das von 80.000 Menschen besuchte "Maspalomas Pride" auf Gran Canaria. Beide Veranstaltungen fanden Anfang Mai statt und da sie große Überschneidungen in der Zielgruppe haben – homo- und bisexuelle Männer – ist es wohl mehr als wahrscheinlich, dass es auch diverse Überschneidungen im Publikum der beiden Festivals gab. Nun zeichnen sich Festivals nicht gerade durch disziplinierten Abstand und optimalen Infektionsschutz aus – ein Fest auch für die Affenpocken. Und die Community, die auf diesen Festivals zusammenkommt, ist traditionell sehr international und reisefreudig – schlicht, weil sie klein ist, und um Gleichgesinnte zu treffen, kommen Menschen aus allen Ecken der Erde zusammen.

Damit ist es also viel wahrscheinlicher, dass durch das unglückliche Zusammentreffen zweier international besetzter Großveranstaltungen auf der ganzen Welt kleine Affenpocken-Cluster entstanden sind, als dass ein stabiles, gut bekanntes Virus plötzlich Amok läuft. Manchmal ist es einfach blöder Zufall und ein Virus ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zudem hat es eine sehr breite Inkubationszeit zwischen fünf bis 21 Tagen, ist aber teilweise schon ab den ersten unspezifischen Symptomen ansteckend. Damit hat es viel Zeit mit seinem reiselustigen Wirt andere Wirte zu suchen. Die Gefahr, dass Affenpocken derzeit ein ernsthaftes Problem für die Bevölkerung werden, ist viel geringer als der Schaden, den gerade die gesellschaftlich mühsam erkämpfte Akzeptanz homosexueller Männer zu nehmen droht.

(jsc)