Kommentar zum Spritpreis: Umdenken statt Panik

Der Preis an den Tankstellen eignet sich seit jeher hervorragend zur Massen-Aufregung. Doch die aktuelle Entwicklung sollte viel besser zum Umdenken bewegen.

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Langfristig hilft gegen hohe Spritpreise nur eines: Finger weg von fossilen Energieträgern. Dazu gehört auch Gas, wobei LPG und CNG über ein Nischendasein in Deutschland nie hinausgekommen sind.

(Bild: Pillau)

Lesezeit: 6 Min.
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Schon zu Zeiten, in denen es hierzulande rund 80 Millionen Fußballbundestrainer gab, die den einzigen im Amt befindlichen in den Schatten stellen könnten, wenn man sie nur ließe, war auf eines Verlass: Erhöhungen beim Benzinpreis erregen die Gemüter. Die großen Player im Gefüge der Medienklaviatur wissen das und bedienen sich des Volkszorns besonders tüchtig, wenn demnächst eine Abstimmung ansteht.

Es ist also nicht verwunderlich, wenn Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans emotional von der Ampel-Koalition fordert, endlich etwas gegen die hohen Spritpreise zu unternehmen. Das kann er wie sein bayrischer Amtskollege Markus Söder leichten Herzens tun, denn auf Bundesebene hat seine Partei derzeit keine andere Aufgabe, als die Regierung vor sich herzutreiben. In der Sache hilft das nur niemandem.

Das Grummeln über gestiegene Preise an der Tankstelle hat eine gewisse Tradition. Doch einen derart drastischen Verlauf der Kraftstoffkosten hat es in der Geschichte der Verbrennungsmotoren selten gegeben. So kostet der Liter Diesel rund einen Euro mehr als vor einem Jahr, und den Großteil des Anstiegs hat er in den vergangenen Wochen hingelegt. Ein schnelles Abschwellen ist nicht zu erwarten, wenngleich der Druck auf die Regierung täglich zunimmt. Sie könnte mit einer vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer dafür sorgen, dass der Staat an den gestiegenen Beschaffungskosten nicht auch noch mitverdient. Polen und Frankreich haben es vorgemacht, früher oder später wird Deutschland – in welcher Form auch immer – nachziehen, denn der gesellschaftliche Druck steigt ebenso wie der aus der Industrie.

Denn wer nun feixend auf jene zeigt, die Öl tanken, hat mit dem Nachdenken darüber möglicherweise etwas früh aufgehört. Erstens hat nicht jeder die monetären Ressourcen, auf ein modernes Elektroauto umzusteigen, kurzfristig schon gleich gar nicht. Zweitens bedeuten gestiegene Logistikkosten höhere Preise für uns alle. Anders ausgedrückt: Es sind Menschen mit geringem Einkommen, die die finanziellen Folgen der russischen Aggression besonders deutlich zu spüren bekommen. Das ist gesellschaftlich weder egal, noch ewig durchzuhalten.

Eine Steuersenkung ist ohnehin nicht mehr als ein Trostpflaster. In einem Spritpreis von 2,1 Euro/Liter sind derzeit 33,5 Cent Mehrwertsteuer enthalten, bei einer Absenkung von 19 auf 7 Prozent wären es 12,3 Cent. Das klingt viel und wäre auch nicht zu verachten. Bei 50 Litern wäre es eine Ersparnis von 6,17 Euro. Theoretisch hätte der Staat über die Energiesteuer zudem noch einen Hebel in der Hand, mit der Pendlerpauschale einen weiteren. Langfristig würde all das aber ebenso wirksam helfen wie die Autokorsos in Hamburg und Schleswig-Holstein oder die Protest-Huperei der Brummifahrer vom Wochenende: nämlich gar nicht. Auf einem Markt, der sich mit Spekulationen selbst erhitzt, kann sich ein jeder leicht ausrechnen, in wessen Tasche Steuererleichterungen vornehmlich landen werden.

Denn was wir im Augenblick sehen, sind die Auswirkungen von Spekulationen auf den Rohölmärkten, nicht etwa eine Reaktion auf ein knappes Gut an sich. Sicher, der Dieselpreis wird momentan davon getrieben, dass sich manch einer noch den Heizöltank auffüllen lässt, darunter auch Stadtwerke. Doch diese erhöhte Nachfrage ist nur ein kurzzeitiger Preistreiber. Man mag sich gar nicht ausmalen, was erst los wäre, wenn Benzin und Diesel tatsächlich nicht mehr gewissermaßen unbegrenzt zur Verfügung stünden. Welche steuerlichen Subventionen sollten dann auf den Tisch, ohne die notwendige Wende bei der Fahrenergie aus den Augen zu verlieren?

Der Abgasbetrug von Volkswagen hat letztlich eine Entwicklung beschleunigt, die ohnehin kommen musste, der Überfall Russlands auf die Ukraine wirkt nun wie ein Brandbeschleuniger: Die Zeit des Verbrennungsmotors geht viel rascher zu Ende, als viele es vermutet haben. Sicher, niemand kann vorhersagen, wie sich der Preis an der Tankstelle entwickeln wird. Es ist durchaus möglich, dass wir noch einmal eine Phase erleben werden, in der ein Liter Kraftstoff weniger als zwei Euro kosten wird. Sei es nun, weil die Regierung auf der Steuerseite eingreift oder sich im Kreml die Erkenntnis durchsetzt, dass der vom Zaun gebrochene Konflikt eine enorm schlechte Idee war – und die richtigen Schlüsse daraus zieht. Ich rechne mit letzterem eher nicht.

Vielmehr werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass die Sanktionen einen Preis haben, den auch wir alle zu bezahlen haben. Dazu gehört, dass die Zeit des billigen Öls vorbei ist. Daran ändern kurzfristige Steuerentlastungen nichts, so populär das auf den ersten Blick auch klingen mag. Langfristig steigende Kosten für die Förderung einerseits und mittelfristig wegbrechende Skaleneffekte andererseits waren ohnehin abzusehen. Wer kann, wird künftig elektrisch fahren, für alle anderen wird die Individualmobilität teurer als bisher. Angesichts der aktuellen Spritpreise kommt manch einer vielleicht auf die Idee, die Batterie in seinem Plug-in-Hybrid tatsächlich aufzuladen. Der Stromverbrauch ist zwar fast immer deutlich höher als bei einem Elektroauto, doch erstmals könnte die Rechnung selbst bei Kosten von über 30 Cent je Kilowattstunde auch bei Plug-in-Hybriden aufgehen. Bislang war es oftmals so, dass der Betrieb mit Benzin günstiger war.

Es gibt keine schnelle und schmerzlose Lösung, so bitter das auch erscheinen mag. Klar, die seit Jahren in zahlreichen Artikeln thematisierten Spritspar-Tipps sind ebenso gültig wie derart bekannt, dass sie an dieser Stelle nicht nochmals wiedergekäut sein sollen. Auch mit der Tatsache, dass ein höheres Tempo mehr Kraftstoff kostet, sei unsere Leserschaft nicht nochmals behelligt. Speiseöl im Tank ist keine gute Idee, warum erläutert mein Kollege Florian in diesem Artikel. Gleiches gilt für Heizöl.

Langfristig hilft nur die Abkehr vom Verbrennungsmotor. Das sind keine Entscheidungsprozesse, die in vielen Haushalten und, noch viel wichtiger, im Flottenmarkt kurzfristig getroffen werden können. Doch noch immer spielt der Verbrauch in der Kaufentscheidung zumindest von privater Hand vielfach eine Nebenrolle. Das wird sich ändern. Denn andernfalls muss sich jeder selbst fragen, ob er auf lange Sicht strategisch die richtigen Schlüsse aus dem Verbrauch des favorisierten Autos einerseits und dem Ärger über hohe Preise an der Tankstelle andererseits gezogen hat. Zumindest diejenigen, die vom Öl umsteigen könnten, es aber nicht tun, dürfen sich an der nächsten großen Volkserregung über die Spritpreise nicht mehr beteiligen.

(mfz)