Missing Link: Geheimdienst und Verfassungsgericht vereint gegen den Rechtsstaat

Seite 2: Ein Geheimdienst hätte das Bundesamt für Verfassungsschutz gar nicht werden dürfen

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(Bild: nitpicker/Shutterstock.com)

Auch die Haltung der Politik gegenüber Spionage und vor allem gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) war anfangs von deutlicher Zurückhaltung geprägt. Vor seiner Zeit als Bundeskanzler erklärte Konrad Adenauer zumindest noch: "Wir sind uns ja wohl alle darüber einig, dass der Verfassungsschutz überhaupt nichts zu tun hat mit der Gestapo oder einer ähnlichen Institution."

Ein Geheimdienst hätte das BfV so gar nicht werden dürfen, schlussfolgert der Buchautor. Beim BND seien die Ansprüche an die Rechtsstaatlichkeit dagegen von Anfang an deutlich geringer gewesen. So habe Adenauer diesen in den Räumen belassen, "in denen der General Gehlen mit seiner Truppe schon als 'Sicherheitsdienst der SS' residiert hatte, nämlich in Pullach". Dort habe der BND den alten Geist viel besser verbergen und pflegen können. Bezeichnenderweise habe der CDU-Kanzler auch zu keiner Zeit den Versuch unternommen, dem Auslandsgeheimdienst "die notwendige verfassungsrechtliche Grundlage" durch eine Grundgesetzreform zu verschaffen.

1960 hatte das Bundesverfassungsgericht noch entschieden: "Kein Akt der Exekutive, der in Rechte des Bürgers eingreift, kann richterlicher Nachprüfung entzogen werden." Am 15. Dezember 1970 dann die Kehrtwende just in Bezug auf die Geheimdienste, denen das Parlament mit der Notstandsverfassung 1968 erstmals weitgehende Befugnisse zum Eingriff ins Post- und Fernmeldegeheimnis gegeben hatte: Die Schlapphüte durften von da an etwa Telefongespräche mithören, Funksprüche abfangen und Briefe öffnen. Die Karlsruher Richter ließen mit dem Abhörurteil nicht nur diese Klauseln durchgehen, sondern schränkten auch die Artikel im Grundgesetz für die gerichtliche Kontrolle der "Dienste" ein.

Schwan zitiert aus dem Urteil: Gegen die Verfassungsordnung und die Sicherheit und den Bestand des Staates gerichtete Bestrebungen, Pläne und Maßnahmen gehen demnach meist von Gruppen aus, die ihre Arbeit tarnen und im Geheimen leisten, die wohlorganisiert sind und in besonderer Weise auf ungestört funktionierende Nachrichtenverbindungen angewiesen sind. Diesem "Apparat" gegenüber könne ein Verfassungsschutz nur wirksam arbeiten, wenn seine Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich geheim und deshalb auch einer Erörterung innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens entzogen bleiben.

Für den emeritierten Professor für Vollzugsdienst an der Berliner Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege ist diese Ansage ein Unding: Darf man die Streitbarkeit der Demokratie so weit treiben, dass der Verfassungsfeind mit seinen bösen Absichten und hinterlistigen Methoden mit allen nur erdenklichen Mitteln, auch mit denen, die er selbst benutzt, auch im Vorfeld gesucht, verfolgt, zur Strecke gebracht und vernichtet werden darf, fragt er. Dürfe der Staat selbst sich zum Kriminellen, Terroristen und Staatsfeind mausern?

Schwan sieht in der Entscheidung die Überzeugung mitschwingen, "dass die Geheimdienste das Recht haben, im Effekt die gesamte Gesellschaft zum Objekt ihrer Überwachung zu erniedrigen und dass es dabei auf die Rechtmäßigkeit der gewählten Überwachungsinstrumente nicht ankommt". Wenn der Staat meine, sich eines Spitzelapparats bedienen zu dürfen, der die grundrechtlich gesicherten Freiheiten einschränke und geradezu flächenmäßig alle Bürger erfasse, werde "die größte Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung deutlich".

Seit dem Abhörurteil sei das Bundesverfassungsgericht "aus den Schützengräben der Vorfeldideologie" nicht mehr herausgekommen, konstatiert der Schüler von Ex-Bundespräsident Roman Herzog. Dies spiegele sich etwa auch im Urteil vom 14. Juli 1999 zum Verbrechensbekämpfungsgesetz wider. Dieses selbst erklärten die Richter zwar in Teilen für verfassungswidrig. Die Befugnis des Bundesnachrichtendienstes aus dem sogenannten G10-Gesetz, womit dieser zur "Früherkennung bestimmter aus dem Ausland drohender schwerer Gefahren" und zu Zwecken der Unterrichtung der Bundesregierung den Telekommunikationsverkehr überwachen, aufzeichnen und auswerten darf, hielten sie aber grundsätzlich für vereinbar mit Artikel 10 Grundgesetz und dem darin verbrieften Fernmeldegeheimnis.

Der Streit drehte sich damals wie heute vor allem um die "strategische Fernmeldeaufklärung" des BND im Ausland, die etwa auch als strategische Kontrolle bekannt ist und wegen der Amnesty International ebenfalls das BVerfG angerufen hat. Der Geheimdienst darf über dieses Instrument die internationale Telekommunikation mit bis zu hunderttausenden Selektoren wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen oder Pseudonymen von Nutzern durchforsten und die Inhalte analysieren, die in diesem Datenstaubsauger hängenbleiben.

Die "Rohmasse" ist dabei riesig: Allein am Frankfurter Internetknoten De-Cix kann der BND täglich laut Medienberichten mehr als eine Billion Verbindungen ausleiten. Davon blieben nach dem Aussortieren erster IP-Adressen rund 24 Milliarden Rohdaten übrig. Im Inland dürfen die darauf angesetzten Suchbegriffe und Kennungen keine Identifizierungsmerkmale enthalten, mit denen sich bestimmte Telekommunikationsanschlüsse gezielt erfassen lassen. Für das Ausland gilt dies nicht. Aber auch dort sind für den BND etwa Telefonnummern deutscher Staatsangehöriger oder einer deutschen Gesellschaft tabu, solange es sich nicht um einen "Beifang" handelt.