Rückblick 2023: Nachhaltige Planlosigkeit
Hinter uns liegt ein Jahr des Wandels, in dem manches seinen Anfang nahm, was erst künftig sichtbar werden wird. Ein Rückblick auf das Jahr 2023 - Teil 1
Innerhalb der zurückliegenden zwölf Monate hat sich der Fokus der gesellschaftlich oft diskutierten Themen, die wir auf diesem Kanal bearbeiten, markant verschoben. Teilemangel war eines der Stichworte des Jahres 2022, in diesem wurde es kaum noch erwähnt. Statt langer Lieferfristen schauen einige Hersteller nun sorgenvoll auf den Bestelleingang. 2024 verspricht keine Linderung, und die Ursachen dafür wurden im zurückliegenden Jahr angelegt.
Der unerwartete Sturm
Staunend zurück ließen mich in diesem Jahr einige Verantwortliche auf der politischen Bühne. Zwei große CO₂-Emittenten haben private Haushalte, und einen wollte die Koalition kraftvoll angehen. Niemand konnte sich also ernsthaft darüber wundern, dass eine Regierung mit grüner Beteiligung das Heizen revolutionieren wollte. Fest verbunden mit einem langfristig angelegten Pfad für die Umrüstung privater Heizungen, wähnte man sich auf einem guten Weg – und verstolperte sich gar heftig. Dass solche politische Vorhaben vor Fertigstellung an die Öffentlichkeit gelangen, hätte man ahnen können. Dass es aber keinerlei Vorbereitung auf den erwartbaren Sturm der Entrüstung von Gegnern gab, macht sprachlos. Konservative fielen über die Regierung her, doch das Antwort-Repertoire der Verantwortlichen reichte nur von passiv bis gekränkt. Eine inhaltlich starke Reaktion blieb aus, was dann in Umfragen jene stärkte, die glauben machen wollen, im Grunde brauche sich ja nichts ändern.
Nun hätte man doch wenigstens erwarten können, dass die selbsternannten Fortschrittskoalitionäre aus diesem Desaster etwas lernen. Doch sie fassten weitere Male sehenden Auges in die laufende Kreissäge. Ein Förderprogramm, mit dem man Menschen, die die Anschaffung von Wallbox, PV-Anlage und E-Auto finanziell stemmen können, bis zu 10.000 Euro aus dem Steuertopf zusteckte, dürfte die Regierung einige Sympathien gekostet haben. Dass unter dem Ansturm gewissermaßen mit Ansage die Server in die Knie gingen und der Fördertopf nach einem Tag leer war, ebenfalls.
Keinen Plan B
Im Herbst entschied das Bundesverfassungsgericht, dass eine Umwidmung von Krediten, die zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie beantragt, aber nur zum Teil dafür genutzt wurden, nicht rechtens ist. In der Folge flog der Regierung ihr Haushalt um die Ohren. Auf einen Schlag fehlten dem Klima- und Transformationsfonds Milliarden. Er ist das Herzstück dieser Regierung, die vereinbart hatte, den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ohne Steuererhöhungen hinzubekommen. Die Koalitionäre hinterließ über Wochen den Eindruck, davon vollkommen überrascht zu sein. Dabei hatte Monate vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betont, welche dramatischen Auswirkungen genau diese Entscheidung hätte. Einen Plan B gab es trotz eines Bewusstseins nicht. Losgelöst von der Sachebene: So einfach sollte man es seinen Gegnern nicht machen. Andernfalls müssen sich die Regierungsparteien nicht wundern, wenn die politischen Gegner trotz irrlichternder Ansagen wie einer Wiederbelebung der deutschen Kernkraft oder Wasserstoff für private Heizungen steigende Umfragewerte verzeichnen.
Plötzlich war die Kaufprämie weg
Im Dezember setzt eine rege Betriebsamkeit ein, an welcher Stelle nun gespart wird. Dass einer Regierung dafür keine Herzen zufliegen, ist wenig überraschend. Kein Minister sieht es gern, wenn seinem Ressort Mittel entzogen werden. Die Debatte wird uns im ersten Quartal 2024 weiter begleiten, auch wenn sich die Regierung einen straffen Zeithorizont gesetzt hat. Fest steht, dass eine staatliche Subventionierung beim Kauf von Elektroautos schlagartig beendet wurde. Die meisten Autohersteller reagierten umgehend und räumten vorübergehende Rabatte ein, bei deren Höhe die alte Kaufmanns-Weisheit auch dem Letzten in der Bildungskette hell leuchtend verdeutlicht wurde: "Rabatt, das lass dir sagen, ist was ich vorher draufgeschlagen".
Samstag angekündigt, Sonntag war Schluss: Das kann man schon so machen, die Reaktionen darauf sollten dann allerdings nicht überraschen. Wiederum blieb der Eindruck einer gehetzten Regierung haften, die ihren Gegnern kaum besser zuarbeiten könnte. Der Optimist in mir hofft noch immer, dass diese Regierung zu einer inneren Ruhe findet. Damit meine ich nicht zwingend weniger Streit um die beste Idee. Ich meine eine gewisse Nachhaltigkeit von Positionen und ein vorausschauendes, nachhaltiges Handeln. Der Realist in mir, ich möchte es ausdrücklich höflich formulieren, hat diesbezüglich Zweifel. Hoffentlich sind es nicht erst Wahlergebnisse, die die Beteiligten darüber nachdenken lassen, welchen Eindruck ihr Handeln teilweise hinterlässt.
Gezerre um das Deutschland-Ticket
In dieses Bild passt auch das Gezerre um das Deutschland-Ticket. Begehrlichkeiten wurden geweckt, doch wie sie zu finanzieren sind, war Teil einer harten Auseinandersetzung. Da man kaum hätte vermitteln können, dass dieses Angebot einfach entfällt, einigten sich Bund und Länder auf eine Teilung der Kosten. Wie lange es wohl dauert, bis die Erkenntnis durchsickert, dass eigentlich deutlich mehr Geld in den öffentlichen Personennahverkehr gehört? Niedrigere Preise sind auf den ersten Blick ein toller Anreiz für den Umstieg, der ohne Angebot vor Ort allerdings verpufft.
Jahresrückblick 2023 (19 Bilder)
(Bild: BMWK / Dominik Butzmann )
Auf die Deutsche Bahn kommt ein stürmischer Jahresanfang zu, denn die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) hat sich vorgenommen, eine ordentliche Lohnerhöhung in Verbindung mit einer Verkürzung der Arbeitszeit durchsetzen zu wollen. Angesichts der vorgetragenen Kompromisslosigkeit scheint eine kurzfristige Einigung eher unwahrscheinlich. Mit Warnstreiks hat die GdL schon mal angedeutet, keinesfalls klein beigeben zu wollen. Dass sich der Bahn-Vorstand im Dezember einen millionenschweren Bonus ausgezahlt hat, dürfte im kommenden Arbeitskampf die Temperatur weiter angehoben haben. Es spricht für eine besonders törichte Instinktlosigkeit, sich in dieser angespannten Situation großzügig die Taschen zu füllen, verbunden mit dem Hinweis, dies stehe einem zu. Argumentativ hat man der Gewerkschaft damit eine Vorlage geliefert, die GdL-Chef Claus Weselsky nicht geschickter hätte formulieren können. Er wird davon Gebrauch machen, und der Vorstand der Deutschen Bahn hat sich zumindest das wirklich verdient.
Lesen Sie auch
Kommentar zu den Forderungen der GDL: Langsam reicht es
Absatzsorgen und Preise
Die Absatzsorgen einiger Autohersteller kommen nicht plötzlich oder unerwartet. Ist das Angebot knapp, können Preise angehoben werden. Manche Hersteller haben in der zurückliegenden Zeit Margen erreicht, von denen man sich nun ungern trennen mag. Dass es so nicht weitergehen kann, ist noch nicht überall angekommen. Nun formt sich aus Angebot und Nachfrage der Preis. Die Absatzziele der Hersteller scheinen sich also zu erfüllen. Jedoch: Testwagen wie der Peugeot 508 PHEV für 62.000 oder der Opel Corsa Electric für mehr als 42.000 Euro – beides auch Folge einer Nahezu-Vollausstattung – ließen nicht nur mich staunend zurück. Es gibt in diesem Land eine Menge Menschen, die da nicht mithalten können. Und von denen, die es könnten, wird dazu auch nicht jeder bereit sein.
Ladeinfrastruktur wächst
Nicht alles im zurückliegenden Jahr war schlecht. Die Ladeinfrastruktur wächst, und zwar kräftig. Zum Redaktionsschluss dieses Beitrags waren auf der Webseite der Bundesnetzagentur 85.072 AC- und 20.507 DC-Ladepunkte hinterlegt (Stand 1. September). Das sind rund 30.000 mehr als ein Jahr zuvor. Es lässt sich festhalten: In den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur ist Schwung gekommen. Der ist auch nötig, denn die Zahl der Elektroautos nimmt weiter zu. Die Zahl der erstmals zugelassenen Plug-in-Hybride hat sich mit der Wegfall der Kaufunterstützung dagegen halbiert. Angesichts des Gesamtenergiebedarfs, den wir in Tests immer wieder feststellen, muss das keine schlechte Nachricht sein. Sie dürften andererseits vielfach die Lust auf das rein elektrische Fahren geweckt haben.
Der Traum von e-Fuels
Noch immer wird um letzte Details eines Verbots von Verbrennungsmotoren in Neuwagen nach 2034 gerungen, doch es geht nur noch um Details. Einige kämpfen verbissen darum, ihn in erstmals zugelassenen Autos zu erhalten, sofern als Treibstoff e-Fuels dienen. Angesichts der Tatsache, dass nach 2030 kaum noch ein Hersteller neue Autos mit Benziner oder Dieselmotor verkaufen will und synthetische Kraftstoffe in relevanter Menge global nicht absehbar sind, rate ich in dieser Frage zu einer gewissen Gelassenheit. 2026 will man sich das ganze Paket nochmals anschauen. Bis dahin hat die Industrie über ihre großzügig budgetierten Politikberater sicher hinterlegt, für wie erstrebenswert sie ein Comeback des Verbrennungsmotors in Neuwagen hält.
Möglicherweise zieht sie auf diesem Weg auch jenen den Zahn, denen vor lauter Technologieoffenheit der Blick so weit eingetrübt ist, dass sie weiter für Wasserstoff im Pkw plädieren und unterschlagen, was das die Gesellschaft kosten würde. Ähnlich wie bei e-Fuels wird auch hier stillschweigend vorausgesetzt, dass dieser mit überschüssiger, regenerativer Energie produziert wird. Leider sind wir von diesen Verhältnissen denkbar weit entfernt. Wasserstoff, der so hergestellt wird, ist global praktisch nicht verfügbar, und selbst in einem überaus optimistischen Szenario wird das noch geraume Zeit so bleiben. Und die Interessenten für grünen Wasserstoff stehen Schlange. Bis da für den Individualverkehr eine relevante Menge übrigbleiben könnte, dürfen sich Menschen eine realistische Hoffnung auf das Kanzleramt machen, die heute noch nicht in der Politik sind, sondern den ersten Schultag noch vor sich haben.
Abgasnorm Euro 7 verabschiedet
Im Dezember verkündete die EU-Kommission einen Durchbruch bei den Verhandlungen um die Einführung der Abgasnorm Euro 7. Details gibt es bislang keine, doch klar ist, dass die Forderung nach besonders scharfen Grenzwerten keine Mehrheit fand. Erreicht wurde aber immerhin, dass der Feinstaub-Eintrag in die Umwelt begrenzt wird. Die Grenzwerte für Abgase bleiben dagegen wohl unangetastet. Sie sind seit 2015 als Wert unverändert, allerdings wurden seitdem in mehreren Schritten die Bedingungen verschärft, unter denen sie eingehalten werden müssen.
Lesen Sie auch
Rückblick 2023: Was uns bewegt hat
(mfz)