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Was war. Was wird.

Diverse Heilige treiben auch im Internet ihr Unwesen - von der Eule der Minerva fehlt da jede Spur, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Vor sechs Jahren tauchte er im Yucks-Digest, der Internet-Witzesammlung von Gene "Spaf" Spafford auf, nun wird es ernst. Das Internet braucht in schweren Zeiten einen Schutzpatron und Sankt Isidor soll den Job machen. Vor allem tiefreligiöse Dot.Com-Programmierer werden aufatmen und sich eine Schutzplakette an den Monitor bappen, wie dies früher die Autofahrer mit Sankt Christophorus machten, vor der Erfindung von ABS. Auf alle Fälle scheint Sankt Isidor besser drauf zu sein als der geistliche Beistand, den IUMA mit sich führte, wie in einem alten wwww berichtet. Bei IUMA gehen die Lichter aus, weil der Bedarf an Internet-Untergrund-Musik unergründlich gering ist und EMusic seine Zahlungen einstellte. Die Abschiedsworte haben Stil und künden der Nachwelt vom Stolz des Bobos: "In der Kürze der Zeit ist es uns nicht gelungen, einen Partner zu finden, der die herausragende Qualität und Konsistenz von IUMA sichern kann. Wir sind daher gezwungen, unsere Arbeit auf das nackte Minimum zu reduzieren." Der weltgrößte Untergrund-Dienst entlässt alle 8 Mitarbeiter und ruft Freiwillige, die als Moderatoren die Fahne hochhalten. Sankt Isidor, hilf!

*** Heilig ist so manchem vieles, einigen aber weniges. In der Internet-Musikbranche sind Stilfragen eigentlich nebensächlich. Erlaubt ist, was nicht kopiert werden kann, und das Gegenteil ist auch gestattet. Was aber passiert, wenn eine neue Geschäftsidee darin besteht, die Tauschaktionen von Napster-Nutzern zu analysieren und daraus Trends und Marketing-Aktionen zu produzieren? BigChampagne nennt sich die Firma, die sich anschaut, was für MP3-Dateien ein Napsterer auf seiner Festplatte hat und ihn dann entsprechend mit Werbung zumüllt. Das ist stillos, unsittlich und dreister Spam, ereifert sich nun die Napster-Community. Auf alle Fälle ist es nicht just for fun, wie das harmlose Dateitauschen gerne beschrieben wird. "Just for Fun: The Story of an Accidental Revolutionary" soll übrigens das erste Buch von Linus Torvalds heißen, mit dem der Revolutionär der programmierenden Klasse seine Lebensphilosophie verbreiten möchte: Was man nicht zum Spaß macht, sollte man bleiben lassen. Sankt Isidor dürfte sich kopfschüttelnd von diesem späten Vertreter der Null-Bock-Generation abwenden.

*** Wenn sie schon nicht wissen, was heilig, so doch, was guter Stil ist, die PR-Flaks der Agentur Dripke. Sie servieren uns eine Sima Gräfin von Hoensbroech als erste "Internet-Frau" Deutschlands. Gewählt wurde die Gräfin von der Initiative "Frauen im Internet", die der Lobbyist und Dripke-Kunde eco (Electronic Commerce Forum) kurzer Hand ins Leben gerufen hat. Gräfin von Hoensbroech betreibt nach Angaben ihrer PR-Arbeiter den größten Food-Lieferservice für Verbraucher. Wo wir nun alle eine Internet-Gräfin haben, wäre es doch fesch, wenn ein Internet-Graf gefunden wird. Denn im Netz hat der Adel bislang keinen besonderen Ruf. Das ist das Verdienst eines Rechtsanwaltes, der als Günter Dörr das Licht der Welt erblickte. Die Mutter dieses "Baron Tanja" war eine echte von Gravenreuth, gehörend zu dem Haus, das den bayerischen Wittelsbachern schon einmal als Stallmeister diente. Seit dem 24. Juni 1980 hat sich Günter Dörr im Zuge der Liberalisierung des deutschen Namensrecht zu Günter Werner Freiherr von Gravenreuth geadelt, was unter den echten Adligen von Stamm und Blut als größere Stillosigkeit gilt. Möge sich ein Graf melden und zu Sankt Isidor pilgern – es muss ja nicht gleich zum Gang nach Canossa werden.

*** Deutschland, wo die Pflicht zu Heiligkeit wie Stil verloren gegangen ist, hat es in den letzten Wochen dafür zur Kür in Sachen Vergangenheitsbetrachtung gebracht, mit Trittin, Fischer, ein paar Betten in Nachbarwohnungen und viel Druckerschwärze. Man kann es als gescheiterten Versuch sehen, mit der grünen die braune Vergangenheit weg zu tünchen, die nicht nur Neonazis beschäftigt. Aus den USA kommt nun die Nachricht, dass ein Buch erscheint, welches sich mit der Nazi-Vergangenheit der Firma IBM auseinander setzen soll. Vorsorglich warnt nun IBM seine Angestellten, dass man nicht nur die Grammy-Verleihung ins Web castet, sondern ernstere Dinge anstehen. Doch eigentlich ist es um die Mitteilung vom Schicksal der Deutschen Hollerith-Maschinen-Gesellschaft (DEHOMAG) bestellt wie um Sankt Isidor – die Nachricht ist bekannt. Dass die Nazis die Maschinen benutzten, dürfte eigentlich auch den Amerikanern nicht unbekannt sein, da eine dieser Maschinen im Holocaust-Museum zu Washington steht. Nun werden wir sicher eine Debatte bekommen, ob das Rechnen der Nazis mit Hollerith-Maschinen mit dem Drucken von Durchhalte-Literatur für die Nazis durch Bertelsmann verglichen werden kann. "Die Geschichte gehört denen, die von ihrer Existenz wissen", weiß Rafael Chirbes in seinem Roman über den Tag, bevor Franco starb. Manche kennen halt nur den Tag, an dem Conny Cramer starb.

*** Aber jede Branche hat eh so die Heiligen, die sie verdient. Ob sich Conny Cramer mit Sankt Isidor im Himmel tummelt, entzieht sich meiner Kenntnis. Hier hernieden auf Erden tummeln sich ganz andere Heilige. Bald schon geht es im Antitrust-Prozess um Microsofts Monopol weiter. Suns Scott McNealy soll derweil wie eine Sonne rot angelaufen sein, als er eine Rede im National Press Club zu Washington hielt, die sich in weiten Teilen mit Microsoft und Gates beschäftigte. Dabei ging ein anderer Vorschlag von McNealy unter: Nach den Strom-Blackouts der letzten Woche möchte McNealy eine Initiative von IT-Firmen gründen, die sich für die Errichtung von Atomkraftwerken in Kalifornien stark macht: "Eine andere Lösung sehe ich nicht". Dies von einer Firma, die die Sonne im Namen führt.

*** Die Zukunft jedenfalls steht, auch ohne McNealy, unter einem guten, möglicherweise heiligen Stern, denn die Kiddies stürmen das Internet und krempeln es von unten nach oben, stellen sozusagen, wie weiland Rudi Dutschke den Lenin, nun das Netz vom Kopf auf die Füße. So jedenfalls die ganz neuen Töne zur Eröffnung der Milia, wo sie sich alle treffen, die hippen Bobos mit ihren Online-Shops, die coolen Web-Designer mit ihren Flash-Animationen und die krassen Bertelsmänner mit ihren New-Economy-Gelüsten. Natürlich darf auf so einer Veranstaltung nicht der Wettbewerb um das neueste Modewort fehlen. Das sei in der letzten Zeit für all die ins Handy flötenden und eifrig SMS tippenden Kids "empowered" gewesen, meint eine nette Frau von Forrester, die die Veranstaltung mit sponsern. In Zukunft sei es "impatient". Denn ungeduldig seien sie, all die jungen Leute, die das Internet umkrempeln. "Sie erwarten sofortige Befriedigung, vom Essen bis hin zur Unterhaltung." Da haben die schicken Flash-Animateure und Software-Entwickler ja noch einiges zu tun, damit die Kids nicht ebenso wie die gestandenen Internet-Freaks angesichts des neuen Internet vor Ungeduld sterben. Manch säkularer Heiliger der deutschen Geschichte mag jedenfalls die Ungeduld der Milia-Wiedergänger mit Geduld betrachten: Die Eule der Minerva beginnt eben erst bei Dämmerung ihren Flug. Da sind die Bobos und die Bertelsmänner aber schon im Bett – oder auf einer netten Party.

Was wird.

Der Vatikan sollte sich übrigens beeilen: www.isidor.va ergibt einen DNS-Fehler. Nicht, dass die URL so ein schäbiger Domain-Grabber wegschnappt – auch andere Isidor-Domains sind noch zu haben, mit Ausnahme von isidor. net, wohl, wenn mich meine äußerst marginalen Schwedisch-Kenntnisse nicht täuschen, die Web-Seite eines Musikfestivals. Wenn auch Sankt Isidor noch so seine Probleme mit dem Internet hat, kommt der heilige Valentin rechtzeitig zum 14. Februar in der kommenden Woche schon besser daher, auch wenn in Deutschland nur als Radarwarner. Obwohl: der Heilige? Immerhin gab es in der katholischen Kirche zwei Märtyrer, die so hießen, ein römischer Priester, der sein Martyrium während der Regentschaft des Kaiser Claudius II. erfuhr, und den Bischof von Termi – möglicherweise sind die beiden Valentins aber auch ein und dieselbe Person, die Historiker sind sich nicht ganz einig. Jedenfalls dürften sie oder er sich im Grabe umdrehen – an der Sitte, zum Valentinstag die Angebeteten mit mehr oder weniger schönen Blumen und dümmlichen Karten zu beglücken, nein, an der Sitte haben sie keine Schuld, auch wenn es den Valentinstag als Fest der Liebenden angeblich schon seit dem 14. Jahrhundert gibt. Fleurop oder 1-800-Flowers existieren aber glücklicherweise noch nicht so lange, damit müssen erst wir heutigen Zeitgenossen uns herumschlagen – genauso wie mit all den dümmlichen Vorschlägen und herzigen E-Briefchen, mit der uns diverse Bobos ihre Dienste zum Valentinstag per Internet anbieten. So trösten wir uns mit Hegel und Chirbes und vergessen Isidor und Valentin. (Hal Faber) / (jk)