"1Komma5Grad": Deutsches Start-up will Europas Energiemarkt aufmischen

Deutsches Start-up will europaweit Marktführer bei der Umrüstung von Gebäuden auf nachhaltigen Strom, Wärme und Mobilität werden. Vorbild ist auch Apple.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Franziska Spiecker
  • dpa
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"Niemand hat uns gezwungen, Smartphones zu nutzen", sagt der Geschäftsführer des Hamburger Start-ups 1Komma5Grad, Philipp Schröder. Ein Satz, der viel über seinen Anspruch verrät. Der ehemalige Deutschland-Chef von Tesla will Lösungen anbieten, die als deutlich besser wahrgenommen würden als herkömmliche Produkte. Er glaubt daran, dass es möglich ist, einen "iPhone-Moment für die Energiewende zu erreichen".

Die Firma, die Schröder 2021 mitgründete, sticht aus der Start-up-Szene heraus: Sie ist laut Branchenverband das einzige "Einhorn" aus Hamburg – also das einzige Jungunternehmen, das mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet wird. Erreicht hat das Unternehmen den Status in diesem Sommer. "Deutsche Start-ups erreichen den Unicorn-Status immer schneller", sagt der Geschäftsführer des Start-up-Verbands, Christoph Stresing.

1Komma5Grad ist in sieben Ländern mit 68 Standorten und rund 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertreten, wie Schröder berichtet. Was das Ziel ist, sage der Name: die Begrenzung der Erderwärmung. So wirbt die Firma auf ihrer Website mit den Worten um Fachkräfte: "Trage jetzt deinen Beitrag zur Klimawende bei." Darunter ein Countdown, der herunterzählt, wann das globale CO₂-Budget aufgebraucht sei.

Bis 2030 will sich das Start-up nach eigenen Angaben europaweit zu einem Marktführer entwickeln, der "500.000 Gebäude pro Jahr auf klimaneutrale Stromerzeugung, Wärme und Mobilität umstellen kann". Bis dann soll der Umsatz auf jährlich zehn Milliarden Euro steigen. In diesem Jahr erwartet das Unternehmen einen Umsatz von rund 500 Millionen Euro, bei knapp zehn Prozent Rendite vor Steuern.

1Komma5Grad setzt nicht auf ein einzelnes Produkt, sondern auf die Verbindung verschiedener Produkte und Dienstleistungen. "Aus Kundenperspektive bieten wir aus einer Hand alle Leistungen an, die man für eine Photovoltaikanlage, Wärmepumpe und Ladeinfrastruktur braucht", sagt Schröder. Vom Handwerk über die Software bis zum Strommarktzugang habe man versucht, die Wertschöpfungskette unter ein Dach zu bringen.

"Unsere Kunden erhalten ein geschlossenes Ökosystem, das sich ähnlich wie bei Apple anfühlen soll", erzählt der 40-Jährige. Zentral für dieses System ist die Software-Plattform der Firma, "Heartbeat". Sie vernetzt und steuert die Produkte, die 1Komma5Grad anbietet: Solaranlagen, Wärmepumpen, Stromspeicher und Ladestationen für E-Autos. Dadurch soll der Eigenverbrauch des selbstproduzierten Solarstroms erhöht und der restliche Verbrauch auf einen finanziell und ökologisch sinnvollen Zeitpunkt verlagert werden. Das Versprechen: Günstig und grün soll beim Strom Hand in Hand gehen.

"Wind und Sonne liefern kostenfreie Primärenergie", lautet Schröders Prämisse. Oft seien sie allerdings nicht da, wenn man sie brauche. Der Geschäftsführer ist überzeugt, dass sich der Strommarkt grundlegend ändern muss: "In einer Welt der erneuerbaren Energien müssen die Verbraucher, also nicht die Menschen, sondern die elektrischen Verbraucher dem Angebot von Wind und Sonne folgen. Ähnlich einer Sonnenblume, die den Sonnenstrahlen im Tagesverlauf folgt."

Nach Schröders Einschätzung lässt sich der Großteil des Stromverbrauchs zeitlich an der Verfügbarkeit von Sonne und Wind ausrichten. Längst gebe es "so viele Erneuerbare, dass bei viel Wind und Sonne der Strompreis an der Strombörse sinkt und Strom regelmäßig sogar kostenlos ist". Kunden profitierten davon allerdings nicht, weil sie statische Stromtarife hätten.

Dynamische Stromtarife, bei denen der Strompreis je nach Angebot steigt oder sinkt, sollen ab 2025 alle Stromversorger anbieten müssen. Bislang sind sie dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) zufolge ein Nischenprodukt. Die Kosten dynamischer Tarife betrachteten Verbraucher als zweischneidiges Schwert, sagt Energieexpertin Sabine Lund: Mögliche geringere Kosten durch günstigeren Strom im Vergleich zu einem herkömmlichen Tarif nannten sie in einer Umfrage am häufigsten als Vorteil – unkalkulierbare und mögliche höhere Kosten durch teureren Strom am häufigsten als Nachteil.

1Komma5Grad bietet seit September einen dynamischen Stromtarif an, der sich nach Firmenangaben von anderen unterscheidet: Das Unternehmen steuere angeschlossene Systeme wie eine Wärmepumpe über die eigene Software so, dass ein durchschnittlicher Jahresstrompreis von maximal 15 Cent pro Kilowattstunde garantiert werden könne.

Schröder bezeichnet das als "Deutschlands günstigsten" Stromtarif – doch es gibt Einschränkungen. Die Preisgarantie gilt nur für Geräte, die sich über den Energiemanager "Heartbeat" flexibel steuern lassen – also für Wärmepumpen, Ladestationen für Elektroautos und Stromspeicher – und zwar für einen jährlichen Verbrauch von maximal 2000 Kilowattstunden je angeschlossenem Gerät. Sie gilt über zwei Jahre dort, wo Netzentgelte, Steuern und Abgaben unter 12 Cent brutto pro Kilowattstunde liegen – andernorts steigt die Preisgarantie gestaffelt auf bis zu 23 Cent.

VZBV-Referentin Lund hält es für fraglich, ob Verbraucher diesen Tarif mit anderen Angeboten vergleichen können. Bei einem Anbieterwechsel sei es wichtig, dass sie ihre künftig anfallenden Stromkosten auf den ersten Blick erkennen könnten, betont sie.

Ein Stromverbrauch, der sich an Sonne und Wind ausrichtet. Hunderttausende Gebäude, die jährlich umgerüstet werden sollen. Das Start-up 1Komma5Grad gibt vor, mit seinen Zielen einen Beitrag zur Energiewende leisten zu wollen – und benötigt für seine Vorhaben mehr Geld. Für 2025 visiert die Firma daher einen Börsengang an.

(bme)