DSA: Sicherheitspaket-Initiative der Bundesregierung ohne Plan
Die Bundesregierung will für die Innere Sicherheit den Digital Services Act ändern – doch die Idee ist unabgesprochen und unausgegoren.
In realen oder gefühlten Krisenzeiten greifen Regierungen gerne zu Gesetzen, um ihre Tatkraft zu demonstrieren. Doch nicht nur das Waffenrecht, auch die Digitalgesetzgebung wird inzwischen gern für Arbeitsfähigkeitsnachweise bemüht. Und so findet sich zwischen allerlei Vorhaben im Aufenthalts-, Polizei- und Waffenrecht auch die Ankündigung einer Initiative zur Änderung des gerade erst in Kraft getretenen Digital Services Act (DSA) der EU.
In dem Maßnahmenpaket nach dem vom sogenannten Islamischen Staat reklamierten Anschlag von Solingen drängte die Bundesregierung, den ein Jahr jungen DSA auf EU-Ebene zu verschärfen. Mit den Änderungen sollten "konkrete Straftatbestände" benannt werden, etwa das "Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Volksverhetzung", heißt es in dem von der Koalition beschlossenen Papier. Damit will die Ampel strafrechtliche Inhalte auf Online-Plattformen konsequent bekämpfen.
Allerdings gibt es kein EU-weites Strafrecht mit harmonisierten Straftatbeständen. Vielmehr einigen sich die Staaten in Rahmenbeschlüssen darauf, ähnliche Rechtsnormen im Strafrecht zu haben. Doch insbesondere die deutsche Norm zur Volksverhetzung ist in ihrer 2023 geänderten, scharfen Form in vielen EU-Staaten unbekannt und geht über den gemeinsamen EU-Rahmen hinaus.
Die Bundesregierung hat ihren VorstoĂź zudem offenbar weder im Rat der Mitgliedstaaten noch mit der EU-Kommission oder mit den Europaparlamentariern der eigenen Parteien abgestimmt. Eine Sprecherin der EU-Kommission verweist gegenĂĽber heise online darauf, dass der DSA bereits heute nach nationalem Recht illegale Inhalte reguliere und die Plattformen dazu verpflichte, solche Inhalte durch Nutzer markieren zu lassen und danach schnell handeln mĂĽssten. Durch die abschlieĂźende Regelung des DSA seien zudem abweichende nationale Regelungen ausgeschlossen.
Bundesregierung weiĂź noch nicht so ganz genau
Die Bundesregierung ist bislang selbst nicht in der Lage, klar zu beschreiben, was genau sie mit ihrem Vorschlag meint. Eine Initiative zur europäischen Vollharmonisierung des Strafrechts jedenfalls schließt eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums (BMJ) gegenüber heise online derzeit aus. Das vom FDP-Politiker Marco Buschmann geführte Ministerium ist für Strafrecht zuständig. Doch ohne klar konturierte europäische Straftatbestände kann der DSA eben nicht wie das einstige deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz einen abschließenden Katalog konkreter Straftaten benennen. Die Debatte darüber wurde im Zuge der DSA-Verhandlungen intensiv geführt – mit der heutigen Gesetzeslage als Ergebnis. Nationale Straftatbestände der 27 Mitgliedstaaten sind also der Referenzpunkt, sie müssen allerdings mit EU-Recht vereinbar sein.
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FAQ: Digital Services Act
Die Bundesregierung will nun jedoch etwas ganz anderes gemeint haben. "Die Bundesregierung wird sich vielmehr in enger Abstimmung mit europäischen Partnern auf EU-Ebene dafür einsetzen, die im Digital Services Act vorgesehene Meldeverpflichtung für Hostingdiensteanbieter auszuweiten", erläutert die BMJ-Sprecherin auf Anfrage von heise online. In Artikel 18 des DSA ist vorgesehen, dass Hostingdienste eine zuständige Stelle – in Deutschland das BKA – unverzüglich in Kenntnis setzen müssen, wenn der Verdacht einer Straftat gegen Leib, Leben oder Freiheit einer Person besteht. Den Polizeibehörden ist das eigentlich zu wenig: Sie hätten gerne mehr Meldepflichten für die Anbieter. Doch was konkret die Bundesregierung hier wolle, sei derzeit noch nicht zu beantworten, heißt es aus dem Bundesjustizministerium: Für genauere Antworten sei es derzeit noch zu früh im Prozess.
Ampel-Europaparlamentarier ĂĽberrascht
Nicht einmal mit DSA-kompetenten Europaabgeordneten der eigenen Parteienfamilien scheint das Vorhaben besprochen worden zu sein. Die Grünen-Europaabgeordnete Alexandra Geese sieht jedenfalls keinen Grund für das Vorpreschen der Bundesregierung: "Der DSA bietet den zuständigen Behörden bereits konkrete Möglichkeiten, strafrechtliche Inhalte auf Online-Plattformen zu verfolgen. Diese sollten aktiv genutzt werden." Auch könne durch den DSA auf die Gestaltung von Targeting und Algorithmen Einfluss genommen werden. "Erst diese Mechanismen machen das Internet zu einer so starken Bühne für extremistische oder terroristische Organisationen." Eine Änderung des DSA sei rechtlich aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage für die Aufnahme von Straftatbeständen problematisch – zudem würden Änderungen an dem Gesetz viel Zeit in Anspruch nehmen, erklärt Geese auf Anfrage von heise online.
Irritiert zeigt sich auch der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken: "Es gibt auf europäischer Ebene schon seit 2021 eine Verordnung über die Verbreitung von terroristischen Inhalten online, die sich ganz spezifisch mit ebendieser Frage auseinandersetzt und den Plattformen Fristen von einer Stunde bis zur Entfernung terroristischer Inhalte setzt." Die Terrorist-Content-Online-Verordnung (TCO-VO) ist eines der schärfsten Schwerter der Strafverfolgungsbehörden: Polizeibehörden wie das Bundeskriminalamt nutzen das Instrument für Hinweise an die Plattformen – dürfen aber auch Entfernungsanordnungen aussprechen. Selbst Telegram, das ansonsten nicht immer so mit den Behörden kooperiert wie von diesen gewünscht, kommt diesen Anordnungen vollständig nach. Für Tiemo Wölken wäre nicht der DSA, sondern die ältere TCO ein möglicher Ansatzpunkt: "Sollte die Bundesregierung über diese Regelungen hinaus Änderungsbedarf sehen, wäre eine Reform dieser Verordnung der richtige Ansatzpunkt, statt den gerade erst in Kraft getretenen Digital Services Act aufzumachen und so Rechtsunsicherheit zu schaffen, bevor das Gesetz überhaupt vollständig umgesetzt ist und die zuständigen Behörden ordentlich ausgestattet sind."
(anw)