Erzwungener Abschied von Bildungsplattform BelWü: Es kocht in "the Länd"
Nach wie vor kämpfen Verbände, Eltern und IT-Lehrkräfte in Baden-Württemberg für ein Landesbildungsnetz. Ihre Argumente will aber offenbar niemand hören.
Unbeirrt von einer Petition, von Protestbriefen und Informationsfreiheitsanfragen zur Kehrtwende bei der Versorgung von Tausenden von Schulen in Baden-Württemberg durch das Landeshochschulnetz BelWü, hat das Kultusministerium in Stuttgart vergangene Woche den Betrieb des Lernmanagementsystems Moodle ausgeschrieben. Laut der EU-weiten Ausschreibung sollen künftig acht Externe die bislang von einem Team beim BelWü, und dem landeseigenen Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, aufgesetzten Moodle-Instanzen managen.
Die noch laufende Petition zu den Nachteilen des Outsourcings, die dem Landtag seit Ende vergangenen Jahres vorliegt, dürfte sich damit weitgehend erledigt haben. Die Umzugsprobleme für die Schulen, die ab 1.8.2022 wieder selbst für zahlreiche Aufgaben verantwortlich sind, bleiben.
Große Firmen bei Ausschreibung im Vorteil
Seit vielen Jahren wurde das Open-Source-Tool Moodle in Baden-Württemberg eingesetzt und von Experten am ZSL, beziehungsweise dessen Vorgänger, fortentwickelt. Jetzt werden Betrieb, Support und Weiterentwicklung outgesourct. Zwar setzt das Kultusministerium in Stuttgart laut dem Auschreibungstext wieder auf ein kleines Team als Ablösung der BelWü Moodle-Dienste. Wie üblich werden aber große Firmen durch das vom Ministerium vorgegebene Punktesystem bevorzugt. Höchstpunktzahlen gibt es für Projekte mit 1 Million zuvor betreuter Moodle-Nutzer und für Gesamtumsatzvolumina über 5 Millionen pro Projekt.
Das Wissenschaftsnetz, dessen Team selbst großes Interesse an einer Weiterführung der Schuldienste geäußert hatte, wird sich allerdings nicht bewerben. Das bestätigte die
Prorektorin für Informationstechnologie der Uni Stuttgart, Sabine Rehm auf Nachfrage von heise Online. Das Landesforschungsnetz ist bei der Universität Stuttgart aufgehängt.
Petition an den Landtag unterlaufen
Eine im Dezember eingereichte Petition an den Landtag in Baden-Württemberg wird damit vermutlich auch im Sande verlaufen. Die von der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung e.V. (DVPP) für das Bündnis "Unsere digitale Schule" initiierte Petition (AZ: Petition 17/00783) wirbt eindringlich dafür, die im Land aufgebauten Kompetenzen zu nutzen.
Damit könnte ein souveränes und wirtschaftliches "Landesbildungsnetz" geschaffen werden, schreiben Praktiker. Die Outsourcing-Strategie halten manche dagegen für eine "Vernichtung von Know-How von fast globalem Ausmaß" und einen Schritt zur "De-Digitalisierung" der Schulen in the Länd. Die lange Dauer der Beantwortung der Petition ist dabei durchaus bemerkenswert. "Normalerweise sollte innerhalb von zwei Monaten eine Stellungnahme vorliegen", schreibt der Grünen-Abgeordnete Alexander Salomon auf Anfrage von heise online.
Petent Martin Lindeboom von der DVPB rechnet inzwischen nicht mehr mit einer Antwort vor September.
Schulen stehen vor großen Problemen
Während das für die ersten Antworten verantwortliche Kultusministerium und der Landtag noch kreisen, rüsten Schul-IT-Verantwortliche wie Holger Baumhof sich für den D-Day. Der Netzadministrator, Lehrer und Ausbilder arbeitet aktuell an einer ganzen Reihe von Problemen, die die für den 1. August geplante Abschaltung der Verwaltungsnetz- und Pädagogiknetzzugänge über das BelWü für die Schulen mit sich bringen.
Beim Anschluss an das pädagogische Netz – über das etwa auf das extern betriebene Moodle zugegriffen wird – macht den Betroffenen die Suche nach einem privaten Netzanbieter zu schaffen. Baumhof hat bei Vodafone erst einmal nur fünf feste IP-Adressen zugesichert bekommen. Bei sieben Diensten, die seine Schule damit betreibt, muss er etwas jonglieren. Sorge hat er allerdings vor allem, ob Vodafone dem aktuellen Ansturm der Schulen bis zum 1. August hinterherkommen wird.
Subnetze nicht einfach umzuziehen
Ein großes Abenteuer wartet auch auf die Schulen, die für die Einbindung ins Verwaltungsnetz BW neue IP-Subnetzadressen brauchen. Anfangs hatten Baumhof und seine Kollegen gehofft, sie könnten die dafür bisher via BelWü genutzten IP-Subnetze einfach zum neuen Provider umziehen. Aber mindestens bei einem Teil handelt es sich um Ressourcen des Wissenschaftsministeriums – und das beabsichtigt nicht, diese herzugeben, lautet die aktuelle Auskunft. Also muss umnummeriert werden.
Weil bei Microsoft Servern solche Subnetzdaten direkt ins Aktive Directory geschrieben sind, erfordert die Migration ein Neuaufsetzen der MS-Server. "Kann man machen, wird aber gar nicht empfohlen", so Baumhof. Möglicherweise werde man eine Weile lang die zwischen KM und Schulen notwendigen Mitteilungen zu Deputaten oder Schülerzahlen in Papierform nach Stuttgart weiterreichen müssen.
Datenschutzrechtliche Nachteile des Outsourcings
Von den praktischen Problemen abgesehen, hat die mit aller Macht durchgezogene Outsourcing-Strategie noch andere Probleme. Landesdatenschützer Stefan Brink schreibt auf Nachfrage von heise online, man sehe den Weggang der Schulen vom Landeswissenschaftsnetz mit Bedauern, "da landeseigene Lösungen datenschutzrechtlich in der Regel weniger Probleme bereiten." Auch Internetzugänge bei privaten Netzbetreibern seien selbstverständlich datenschutzkonform zu realisieren, "allerdings liegt dann wieder mehr Verantwortung bei den Schulen, diesen Zugang datenschutzkonform zu gestalten", so Brink.
Auch der Grüne Salomon hielte eine interne Lösung durchaus für besser. "Im IT-Bereich muss die Öffentliche Hand Kompetenzen vorrätig halten, um auch selbst agil zu bleiben und Wissen vorrätig zu halten. Ein weiteres outsourcen von IT-Leistungen ist nicht im Sinne einer Stärkung der Bearbeitung der sich stellenden Herausforderungen durch die Digitalisierung", teilt er auf Anfrage mit. Zugleich hält er es dabei auch für sinnvoll, wenn die Schulen sich voll und ganz auf die Pädagogik konzentrieren und von allen weiteren, vor allem administrativen Prozessen, entlastet werden könnten.
Erst einmal müssen die Schulen allerdings ihren technischen und verwalterischen Umzug bewältigen. Dass das Konzept, einen ganzen Strauß an Dienstleistern zu managen, weniger Arbeit bedeutet als ein Rundum-Sorglos-Paket eines Landesschulnetzes a la BelWü, wird auf Seiten der Schul-IT-Praktiker bezweifelt.
(kbe)