Hintergrund: SCO vs. Linux -- verräterische Kommentare?

Auch beim Schweizer Käse zählen die Löcher: In der großen Digi-Soap "SCO gegen den Rest der Welt" über möglicherweise kopierten Source-Code von Unix eröffnet SCO mit dem Verweis auf Kommentare im Quelltext ein neues Gefechtsfeld.

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Von
  • Detlef Borchers

In der großen Digi-Soap "SCO gegen den Rest der Welt" über möglicherweise kopierten Source-Code von Unix liefern sich momentan SCO und Novell ein skurriles Gefecht. Nachdem der entscheidende Vertrag zwischen Novell und SCO über die Unix-Rechte auftauchte, konterte SCO mit einem später abgefassten Zusatzvertrag, den Novell wiederum für gegenstandslos erklärte, weil er nicht im eigenen Archiv gefunden worden sei.

Inmitten des Hickhacks vermeldete die Zeitschrift Information Week die Meinung einer Analystin der Yankee Group. Laura DiDio, so heißt es in der Meldung, sei beeindruckt, weil besonders die Kommentare der Entwickler in den verschiedenen Sources möglicherweise gleich sein könnten. Ob diese Meldung, die inzwischen auch die Website von SCO ziert, der entscheidende Treffer von SCO ist, darf bezweifelt werden. Zum einen erfolgte die Bewertung des Quellcodes unter einem Abkommen, das es praktisch unmöglich macht, Aussagen ohne Genehmigung von SCO zu veröffentlichen. Zum anderen ist die Qualifikation der Analystin nicht von der Art, die wirklich Licht ins Dunkel bringen könnte: Die gelernte Kommunikationsexpertin Laura DiDio war bislang vor allem im Segment der Windows-Software tätig und besitzt keine Programmiererfahrungen. Für den Windows-Bereich sind indes die Rechte geklärt: Microsoft erwarb für "deutlich mehr als 10 Millionen Dollar", so eine Quelle im Umfeld von Microsoft, eine Lizenz, die für alle Windows-Versionen Gültigkeit besitzen soll.

Etwas kundiger als DiDio äußerte sich der Anaylst Richard Claybrook, der bei den Marktforschern von der Aberdeen Group vor allem die Linux-Strategie von IBM beobachtet. Claybrook, der zusammen mit DiDio den Code bei SCO besichtigte, erkannte gemäß einem Bericht der EE Times zwei Blöcke Source-Code von bis zu 80 Zeilen Länge als identische Sourcen an. Auch Claybrook sah in den Kommentaren des Source-Codes das entscheidende Indiz. Selbst wenn eine Aufgabe nur eine einzige programmiertechnische Lösung zulasse, die damit identischen Code erzeuge, sei es doch sehr unwahrscheinlich, dass Kommentare identisch sind. Schließlich seien es die Kommentare, in denen sich die Persönlichkeit eines Programmierers ausdrücke.

Mit der Betonung, dass vor allem die Kommentare der Entwickler den Diebstahl von Code durch IBM und (in nutznießerischem Erbe) Linux belegen könnten, ist ein neues Terrain in der Auseinandersetzung eröffnet worden. Zum einen ist Unix-Software voll von seltsamen Kommentaren. Zum anderen ist die Debatte darüber, ob Kommentare dem Source-Code zurechenbar sind, so alt wie die Produktion unabhängiger Software: Als in den 70er Jahren IBM, durch öffentlichen Druck gezwungen, zum Unbundling der bisher frei verfügbaren, rechtlich völlig unabgesicherten IBM-Software ansetzte, empfahl die amerikanische CONTU-Kommission, Computer-Programme unter den Schutz des Copyrights zu stellen. Nach den Vorschlägen von CONTU sollte das Copyright für den Source, nicht aber für die Kommentare gelten, weil diese nicht von einem Prozessor interpretiert würden.

Vertreter von IBM votierten für ein Copyright des gesamten Materials. Die Firma hatte im Jahre 1968 eine empfindliche Schlappe einstecken müssen, als Duane Whitlaw, angeregt von Programmierer-Kommentaren zu einem Sortieralgorithmus, für den frei verfügbaren Source-Code des System/360 eine erheblich verbesserte Software produzierte. Whitlaw ersetzte einen Programmblock durch seine Software namens SyncSort, die bei Sortier-Aufgaben wesentlich schneller war. Dabei schaffte er es, sich die Zeilen des IBM-Code patentieren zu lassen, in denen die Sortierfunktion steckte. IBM war es damit verwehrt, die eigene Software an der Stelle zu optimieren, an der Syncsort ansetzte. So konnte mit Syncsort die erste kommerzielle Software im modernen Sinn vertrieben werden.

Wie nun eine Beweisführung durch SCO aussehen kann, die die Programmierer-Kommentare schlüssig mit dem Source-Code zusammen bringt, ist völlig offen. Dies vor allem deshalb, weil Kommentare leichter als der Source-Code geändert werden können. Somit ist der Blick auf den Source die eine, eine genau dokumentierte Entstehung des Sources die andere Seite der Beweisführung. In diesem Sinne meldete aus dem Linux-Lager John Maddog Hall von Linux International bereits Bedenken an: "Kann SCO den Nachweis führen, dass der Code von SCO zu Linux floss und nicht von Linux zu SCO? Oder könnte der Source nicht aus einer dritten Quellen kommen?" Guter, um alle Zweideutigkeiten und Kommentare bereinigter Code nach einem intensiven Code-Scrubbing erinnert an einen Schweizer Käse, stellte Novells Rechtsanwalt Greg Jones unlängst auf dem Entwicklertreffen Brainshare im April fest. "Die Löcher sind manchmal so groß, dass die Software unmöglich in die Open Source übergeben werden kann. Aber wenn man hier nicht konsequent ist, wird man eines Tages tief im Schlamassel stecken," erklärte Jones auf der Novell-Messe (die Powerpoint-Präsentation IO181 des Vortrags steht online zur Verfügung).

Wie tief die von SCO angegangenen Firmen tatsächlich im Schlamassel stecken, wird sich in der nächsten Woche zeigen, wenn Experten mit Programmierkenntnissen die Beweise von SCO sichten. SCO ist jedenfalls gewillt, die Auseinandersetzung auf die Spitze zu treiben. In einer Telefonkonferenz am Freitag behauptete SCO-Chef McBride, dass der von IBM zu zahlende Schadensersatz inzwischen deutlich über der Milliarde Dollar liegen würde, die man ursprünglich von IBM gefordert habe. Am 13. Juni endet die von SCO eingeräumte Schonfrist. Danach sollen alle mit IBM abgeschlossenen Lizenzverträge ungültig sein, wenn IBM die Ansprüche von SCO nicht anerkennt.

Zum Streit um die Ansprüche von SCO und den angeblich von Unix System V geklauten Code in Linux siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)