Nächste Mercedes E-Klasse: Ausblick auf eigenes Betriebssystem MB.OS

Mercedes will ab 2025 in seinen Autos ein eigenes Betriebssystem nutzen. Einen ersten Vorgeschmack darauf liefert die neue E-Klasse.

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Mercedes E-Klasse 2023

Der Hyper-Screen wird auch in der Mercedes E-Klasse heftig Aufpreis kosten.

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 7 Min.
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Es gut zwei Jahre her, da fragten wir etwas provokant, ob Google mit Android Automotive den Autoherstellern im Bereich Car-Infotainment überhaupt noch eine Chance lässt. Aktuell lässt sich festhalten, dass die Autokonzerne zumindest nicht kampflos aufgeben. Mercedes befolgt nun die alte chinesische Weisheit: "Eine Hand, die du nicht abschlagen kannst, musst du schütteln." Google wird für einige Funktionen im Bereich Navigation hinzugeholt, doch Mercedes behält weiterhin alle Fäden in der Hand, wie man versichert. Was bringt das neue Betriebssystem MB.OS den Kunden? Einen ersten Vorgeschmack darauf liefert die nächste E-Klasse, die ab dem Sommer bei den Händlern stehen soll.

Unterhaltungselektronik im Auto scheint sich stetig schneller fortzuentwickeln. Es ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert, dass eine fünf Jahre alte Sprachsteuerung noch immer zu den Besten gehört, die man aktuell kaufen kann. Es verdeutlicht, wie groß der Schritt hin zum MBUX bei Mercedes war. Die Entwicklung stand seit dem natürlich nicht still, weder bei Mercedes noch bei anderen Herstellern. Viele wittern ein einträgliches Geschäft mit Daten und Software, die auch lange nach dem Kauf gemietet oder dauerhaft freigeschaltet werden kann. Mercedes selbst rechnet nach rund einer Milliarde Euro Umsatz in diesem Bereich allein im vergangenen Jahr mit bis zu einer Milliarde Euro Gewinn vor Zinsen und Steuern im Jahr 2025.

Die Autohersteller haben also ein hohes Interesse daran, sich dieses Geschäft nicht einfach aus der Hand nehmen zu lassen. Mercedes investiert pro Jahr bis zu zwei Milliarden Euro in diesen Bereich, bis Mitte des Jahrzehnts soll Software rund ein Viertel des gesamten Entwicklungsbudgets ausmachen. Die Bedeutung haben auch andere Hersteller erkannt. Bis 2030 will beispielsweise Stellantis rund 20 Milliarden Euro Umsatz machen.

Bei Mercedes ist der kommende große Schritt ein eigenes Betriebssystem, dessen Einführung für das Jahr 2025 vorgesehen ist. Einen ersten Vorgeschmack, was das mit sich bringt, serviert die nächste Generation der E-Klasse. Als Limousine wird sie ab dem Sommer verkauft, der in Westeuropa noch immer wichtige Kombi dürfte im Herbst folgen. Der größte Fortschritt gegenüber dem Vorgänger wird sich im Software-Bereich abspielen. Angesichts dessen, was Mercedes in der E-Klasse aktuell schon bietet, dürfte ein System, das tatsächlich nochmals verbessert sein sollte, auf absehbare Zeit nicht viel Konkurrenz haben.

Erstmals wird in der E-Klasse hochautomatisiertes Fahren auf Level 3 bis 130 km/h angeboten. Ob das gleich zum Verkaufsstart zu haben sein wird, ist unsicher, auf eines allerdings kann sich der Kunde fest verlassen: Billig wird der Spaß selbst für die bei Mercedes üblichen Verhältnisse nicht. Zur Orientierung kann die Preisliste der S-Klasse dienen. Dort kostet das Assistenzsystem "Drive Pilot" momentan allein knapp 6000 Euro und setzt weitere Extras zwingend voraus. Insgesamt muss dem Kunden das mehr als 11.000 Euro wert sein, sofern es für seine gewünschte Motorisierung überhaupt zu haben ist. Denn mit den Dieselmotoren lässt sich der Drive Pilot in der S-Klasse nicht kombinieren.

Stark ausgebaut wird das Geschäft mit Funktionen, die sich nachträglich freischalten lassen – sei es zeitlich begrenzt über einen monatlichen Obolus oder per einmaliger Zahlung für die dauerhafte Nutzung. Käufer von Gebrauchtwagen sind also nicht mehr darauf angewiesen, dass der Erstbesitzer bei der Bestellung alle gewünschten Haken gesetzt hat. Hersteller hoffen auf eine anhaltende Kundenbindung, die sich freilich nur erfüllen wird, wenn das Angebot lange Zeit gepflegt wird und finanziell attraktiv ist. Gerade mit der Langzeit-Pflege von Software tun sich Autohersteller schwer, und auch Google war in dieser Hinsicht in der Vergangenheit nicht unbedingt vorbildlich. Steigende Umsatzzahlen könnten bei beiden zu einem Umdenken führen.

Mercedes E-Klasse 214 (5 Bilder)

Die nächste E-Klasse wird sich innen deutlich verändern. Die ersten Bilder zeigen ein Modell mit Vollausstattung, die Basis wird etwas schlichter.

Google holt Mercedes nur für einige Funktionen des Navigationssystems mit ins Boot. Dazu zählen beispielsweise aktuelle Verkehrsinformationen, die in die Routenberechnung einfließen. Außerdem will Mercedes die Datenverarbeitungsplattform von Google Cloud zur Analyse von Flottendaten nutzen. Neu ist der Ansatz, Routinen des Fahrers mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu erlernen und ihm so immer wiederkehrende Aufgaben abzunehmen. Er kann dabei auf vorgegebene Routinen zurückgreifen, die bereits im Auto hinterlegt sind, oder selbst solche erstellen. Mercedes selbst nennt als Beispiel für eine solche Verknüpfung: "Sitzheizung einschalten und Ambientebeleuchtung auf warmes Orange einstellen, wenn die Innentemperatur unter zwölf Grad Celsius liegt."

Wie in Android Automotive wird es auch bei Mercedes die Möglichkeit geben, einige Apps von Drittanbietern zu installieren. Zum Start kann man sich via TikTok Videos ins Auto holen, über Zoom oder Webex konferieren, mit dem Browser Vivaldi im Netz surfen und Angry Birds spielen. Naheliegenderweise funktioniert vieles von diesen Funktionen nur im Stand. Ein Beifahrer kann auf einem eigenen Display sogar Filme schauen, ohne einen Kopfhörer dafür nutzen zu müssen. Der Fahrer werde davon nicht abgelenkt, versichert Mercedes, denn es gebe eine "Dual Light Control-Technologie". Sie soll verhindern, dass dynamische Inhalte vom Fahrersitz aus zu sehen sind. Dafür erfasst eine Kamera, wohin der Fahrer schaut.

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Daten werden, wo immer verfügbar, über den Mobilfunkstandard 5G ins Auto gereicht. Da der gerade in Deutschland auf absehbare Zeit nicht flächendeckend zu haben sein wird, gibt es die Rückfallebene auf LTE. Das dürfte vielfach genügen, um tatsächlich relevante Daten ausreichend schnell zur Verfügung stellen zu können. Allen Unkenrufen zum Trotz sieht es zumindest bei 4G hierzulande laut der Bundesnetzagentur inzwischen gut aus.

Im Takt der Musik ist künftig die Ambiente-Beleuchtung. Ein rascher Beat bedeutet ebenso schnelle Lichtwechsel, wofür auch immer das gut sein mag. Gekoppelt ist das an das teuerste Soundsystem – und selbstverständlich abstellbar. Etwas später soll das Infotainmentsystem mit einigen Uhren der Marke Garmin kommunizieren können, die sich dann über Vitaldaten des Fahrers austauschen. Der bekommt dann Tipps, wie er Stress reduzieren kann. Da mag manch einer auf die Idee kommen, dafür als ersten Schritt diese Verbindung zu kappen.

Perspektivisch soll das Angebot an Atemübungen den Stress am Steuer weiter reduzieren. Auf dem Display wird dann angezeigt, wann ein- und auszuatmen ist. Das "Bio-Feedback" verstellt gegebenenfalls die Lehne, verändert die Farbe der Ambientebeleuchtung und blendet ein Wellengeräusch ein, um den Fahrer fit zu halten. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie sich diese Art der Aufmerksamkeitserhaltung weiterentwickelt. Der unbedingte Wille Richtung Fortschritt offenbart sich mitunter eben auch an überraschenden Stellen.

(mfz)