Patentkrieg-Pause: Daimler erwirbt 4G-Lizenz des Patentpools Avanci
Daimler will beim Einsatz geschĂĽtzter Mobilfunktechnik auf Nummer sicher gehen und kauft gebĂĽndelt Verwertungsrechte etwa von Qualcomm, Ericsson und Acer.
Nach der jahrelangen Patentschlacht mit Nokia will Daimler vergleichbar teure Auseinandersetzungen mit anderen Unternehmen aus dem Mobilfunksektor kĂĽnftig vermeiden. Der Autokonzern hat daher eine Lizenz des in diesem Bereich aufgestellten Patentverwertungspools Avanci erstanden. Der Vertrag umfasse insbesondere auch das Recht zum Einsatz von Mobilfunktechnik fĂĽr 4G/LTE-Netze, berichtet die Wirtschaftswoche.
Der Stuttgarter Autobauer muss so für jeden verkauften Wagen unabhängig von der Preis- und Ausstattungsklasse 15 Euro Lizenzgebühr an Avanci zahlen. Dafür erhält er das Recht, gewerblich geschützte Mobilfunktechnik bis hin zum 4G-Standard von 47 Firmen wie Ericsson, Nokia, Qualcomm, Acer, Deutsche Telekom, Orange, China Mobile, Philips, Siemens und Vodafone einzusetzen.
LizenzgebĂĽhr pro Auto
Statt für jede Lizenz dieser Unternehmen einen Rechtsstreit einzugehen und gesonderte Verhandlungen zu führen, entschloss sich Daimler nun, die Nutzungsrechte auf einen Schlag und unbefristet über den Pool zu erwerben. Jahrelang war der Hersteller vor einem solchen Schritt zurückgeschreckt – im Gegensatz etwa zu BMW lehnte Daimler den Ansatz von Avanci ab, die Hand für das Fahrzeug als Endprodukt aufzuhalten, statt lizenztechnisch schon an den eingeschlossenen Bauteilen anzusetzen.
Mit diesem Standpunkt hatte sich Daimler vor zahlreichen deutschen Gerichten auf den juristischen Streit mit Nokia eingelassen. Der Konzern argumentierte in den Verfahren, dass die von dem finnischen NetzwerkausrĂĽster geltend gemachten AnsprĂĽche grundlegende Mobilfunkstandards wie UMTS und LTE berĂĽhrten und diese bereits in technischen Basiskomponenten implementiert seien. Man sei daher nicht der richtige Adressat von Verletzungsklagen, solange Nokia sich weigerte, AusrĂĽstern wie Huawei oder Continental eine vollwertige Lizenz zu erteilen.
Das Landgericht Düsseldorf zeigte voriges Jahr Verständnis für diese Position. Der Vorsitzenden Richterin Sabine Klepsch zufolge müsste Nokia zunächst Autozulieferern Lizenzen für standardessenzielle Patente rund um Mobilfunktechnologien in Fahrzeugen anbieten. Die fragliche Technik gehöre zu einem anerkannten Industriestandard (4G). Die mit dem Fall betraute 4. Zivilkammer legte daher dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erneut Fragen zu der Pflicht vor, Standardpatente zu fairen, vernünftigen und nicht-diskriminierenden Bedingungen (FRAND) zu lizenzieren.
Kriegsbeil begraben
Im Juni begruben Daimler und Nokia das Kriegsbeil aber außergerichtlich, wodurch der EuGH doch außen vor blieb. Sie einigten sich darauf, dass der Autoproduzent im Gegenzug für nicht näher ausgeführte Zahlungen eine Lizenz von den Finnen erstand. Auch in Verfahren mit Sharp und Conversant Wireless, die beide ebenfalls Avanci angehören, hatte sich Daimler bereits zuvor mit den Patentinhabern verständigt.
Dieses Ergebnis werfe die Frage auf, warum die Stuttgarter überhaupt einen Kampf mit Nokia und anderen Avanci-Lizenzgebern begonnen haben, meint der Patenblogger Florian Müller. Letztlich habe Daimler "Millionen und Abermillionen von Euro für die Prozessführung" durch die für ihre hohen Gebühren bekannte Kanzlei Quinn Emanuel verschwendet, nur um im vorigen Jahr viermal eine einstweilige Verfügung ausgehändigt zu bekommen. Wenn man sich auf einen solchen Kampf einlasse, müsse klar sein, dass man ihn gewinnen könne. Der Autohersteller habe dafür im Patentbereich aber nicht ausreichend Erfahrung mitgebracht.
Eine Daimler-Sprecherin begründete den Gesinnungswandel gegenüber der Wirtschaftswoche damit, dass Mobilfunktechnik in Fahrzeugen weiter an Bedeutung gewinne und man die Vereinbarung mit Avanci als strategisches Investment im Blick auf künftige 5G-Lizenzen sehe: So werde es möglich, die Bedingungen für den Pool im Bereich des neuen Mobilfunkstandards mitzugestalten. Die Lizenzierung standardessenzieller Patente werfe aber nach wie vor viele Fragen auf, die von der Rechtsprechung und dem Gesetzgeber dringend geklärt werden müssten.
"Unvorhersehbare Risiken"
Gutachter warnten schon 2020, dass das wachsende Dickicht an 5G-Patenten unvorhersehbare Risiken für die Automobilindustrie mit sich bringe. Gewerbliche Schutzrechte, die in den 5G-Standard einfließen, müssten nach dem FRAND-Prinzip lizenziert werden. Avanci wirbt damit, traditionell preisliche Kompromisse zwischen den angeschlossenen Patenthaltern und den mittlerweile 26 an Bord gekommenen Automarken zu schmieden. Pool-Chef Kasim Alfalahi ermunterte alle Parteien jüngst, über die Plattform nach Lösungen für das anstehende 5G-Programm zu suchen.
Das Einlenken von Daimler dürfte auch Volkswagen in Zugzwang bringen. Die Wolfsburger haben sich zwar bereits Avanci angeschlossen, zahlen bislang aber nur für 2G und 3G Lizenzgebühren. Acer hat VW daher nun wegen mehrerer Patentverletzungen in den USA verklagt. Der japanische Computerbauer will so durchsetzen, dass der Golf-Produzent auch eine 4G-Lizenz nimmt. Rausreden wird sich VW nur schlecht können, da der Konzern bei der Tochter Audi für Premium-Modelle bereits 4G-Rechte von Avanci erstanden hat.
(vbr)