Temperaturabhängig: Weißabgleich und Farbwiedergabe

Seite 4: Graukartenmessung

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Für bestimmte Zwecke, etwa Nah- und Sachaufnahmen bei einheitlichem Licht, sichert der Weißabgleich auf eine Graukarte (oder deren neutralweiße Seite) am besten eine neutrale Farbwiedergabe. Bei Naturaufnahmen mit unterschiedlich zusammengesetztem Licht, die eine Stimmung wiedergeben sollen, führt dies nicht ohne weiteres zu befriedigenden Ergebnissen. Eine Graukarte liefert nur dann einen vernünftigen Wert, wenn sie auch von „weißem Licht“ beleuchtet wird, das in seiner Zusammensetzung einem geeigneten Mittelwert der gesamten Beleuchtung der Szene entspricht. Andererseits braucht man nicht unbedingt eine Graukarte als Neutralpunkt, eine weiße Hauswand oder grauer Straßenasphalt tut’s auch, sofern vorhanden. Das Beispiel zeigt aber anschaulich, dass in natürlichen Umgebungen das Licht kräftig und ganz unterschiedlich in die Farbwiedergabe eingreift.

Die Montage zeigt viermal die gleiche abendliche Herbstszene mit unterschiedlichem Weißabgleich. Je niedriger die für die Aufnahme eingestellte Farbtemperatur in Kelvin (z. B. 4000 K), desto kälter oder bläulicher erscheint das Bild. Je höher die sozusagen erwartete Farbtemperatur (z. B. 6000 K), desto „wärmer“ oder rötlicher die Wiedergabe vom selben Motiv.

Vor dem Klick mit der Weißabgleichspipette auf die Graukarte der automatische Weißabgleich (4800 K), danach der messtechnische (4000 K)

Zugrunde liegen zwei Aufnahmen, die im Abstand von zwei Minuten bei herbstlicher Abendsonne am Schliersee gemacht wurden, die erste sehen Sie zweimal in der oberen, die zweite zweimal in der unteren Reihe. Im Vordergrund unten in Bildmitte ist die auf einem Stativ befestigte Graukarte mit abgebildet (leicht unscharf).

Die Graukarte wurde bei der ersten Aufnahme (vorige Seite, obere Reihe) leicht nach links gedreht, sodass die tiefstehende, von links kommende Abendsonne sie trifft. Soll die Graukarte auch zur Belichtungsmessung dienen, verwendet man sie bei Seitenlicht so, dass sie zwischen Kamera und Hauptlichtquelle (also hier der Sonne) gerichtet ist, sonst soll sie vom Motiv zur Kamera weisen.

Bei der zweiten Aufnahme (untere Reihe) wurde die Karte etwas nach rechts gedreht, sodass ihre Oberfläche vom direkten Sonnenlicht nicht mehr erreicht wurde, sondern nur vom indirekten, blaueren Licht des Himmels, dessen Farbtemperatur sie erfassen sollte. Das Himmelslicht alleine ist relativ schwach, dadurch erscheint die Graukarte auch wesentlich dunkler, da die Belichtung am Gesamtmotiv ausgerichtet wurde. Damit man die Farbabweichung auf der Graukarte besser erkennt, haben wir die untere Hälfte der Graukarte aufgehellt auf ein mittleres Grau eingeblendet.

Das Bild auf der vorigen Seite entstand durch einen „gemessenen Weißabgleich“ (per Pipette in Photoshop) auf die Graukarte, bei Abstimmung auf eine niedrige Farbtemperatur von 4000 K (der rötlichen Abendsonne). Dadurch wirken die Farben kühl und der Kiesweg erscheint sogar bläulich – aber die Graukarte ist schön neutralgrau. Das rechte obere Bild zeigt den automatischen Weißabgleich der Kamera, es entspricht einer angenommenen Farbtemperatur von 4800 K, dieser Kompromiss der Kameraautomatik bewahrt die abendliche Stimmung, aber Kiesweg und Graukarte weisen einen deutlichen gelb-orangen „Farbstich“ auf.

Das Bild links unten zeigt wieder den automatischen Weißabgleich, hier hat die Automatik die Aufnahme noch wärmer gestimmt (entsprechend 5100 K), wahrscheinlich aufgrund der im Bildbereich befindlichen bläulicher beleuchteten Graukarte, die dabei aber noch einen blauen Farbstich behält (siehe aufgehellte Einblendung ganz unten). Gleicht man diesen durch Messung auf die Graukarte aus (rechts unten), landet man bei 6000 K und einem eher kitschigen rotstichigen Bild – zudem schlägt das Blau des Himmels nun in ein blasses Lila um. Ähnliche Ergebnisse erhält man, wenn man im Raw-Format aufnimmt und im Konverter mit der Weißabgleichspipette auf dem grauen Kiesweg wahlweise in die besonnten Bereiche (Sonnenlicht-Weißabgleich) oder in die etwas bläulichen Schatten des Geländers auf dem Kies misst, das zum See hin den Weg abschließt, allerdings mit mehr oder weniger starken Farbverschiebungen vor allem im Grün-Magenta-Bereich.