Vor der IAA: Letzte Ausfahrt Zukunft – das Auto von morgen

Seite 3: Wann kommt der E-Durchbruch?

Inhaltsverzeichnis

Lange wurde den deutschen Autobauern vorgeworfen, die E-Mobilität verschlafen zu haben. Die Aufholjagd hat einiges zu tun mit Elon Musk, einem Mann mit Visionen. Der US-Unternehmer hat das Bezahlen im Internet revolutioniert mit dem Unternehmen Paypal und Raumfrachter ins All geschickt. 2004 stieg Musk beim Elektrobauer Tesla ein. Sitz: Palo Alto im Silicon Valley. Weil die Kalifornier anfangs kaum Erfahrung beim Autobau hatten, wurden sie von den Etablierten belächelt. Das hat sich mit den Tesla-Erfolgen gründlich geändert.

Mittlerweile geht es für die etablierten Hersteller darum, dem aufstrebenden Autobauer Paroli zu bieten. Mit seinem Modell 3 – US-Preis ab 35.000 Dollar – will Tesla die Elektromobilität stärker in den Massenmarkt bringen. VW-Markenchef Herbert Diess machte deswegen vor kurzem eine Kampfansage Richtung Tesla: "Da werden wir ihn stoppen, an der Linie von 30.000 Euro." 2020 will Volkswagen mit seiner ID-Familie auf dem E-Auto-Markt voll angreifen.

Bisher aber sind E-Autos bei uns Ladenhüter. Das liegt an der nicht flächendeckenden Lade-Infrastruktur, dem eher hohen Preis und der geringeren Reichweite. Zudem mehrt sich die Skepsis in Sachen Umweltbilanz. Sind E-Autos wirklich viel umweltfreundlicher als Benziner und Diesel? Bei ihrer Herstellung verursachten Stromer erhebliche Belastungen, heißt es in einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Ifeu. In der Kritik steht auch der Einsatz von Batterie-Rohstoffen wie Kobalt, das etwa im Kongo gewonnen wird. Hilfsorganisationen prangern menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit in den Minen an. Und was nützt es, wenn der Strom für E-Autos aus nicht gerade umweltfreundlichen Kohlekraftwerken kommt? Verkehrswende geht also nur mit Energiewende.

Verkehrswende – für Forscher sind es spannende Zeiten. Etwa in Aachen, am Institut für Kraftfahrzeuge der Hochschule RWTH. Auf einer 400 Meter langen Teststrecke steht Tobias Sandmann und sagt: "Ich hätte auch zu einem Autohersteller gehen können, aber hier kann man freier forschen – und es macht mehr Spaß." Der 32-jährige Diplom-Ingenieur testet das Forschungsfahrzeug "SpeedE". Der vollelektrische Wagen sieht futuristisch aus. Er erinnert mit seinen Flügeltüren an das Auto aus dem Filmklassiker "Zurück in die Zukunft".

In Aachen geht es aber nicht zurück, sondern vorwärts. Mit "SpeedE" erproben die Forscher neue Funktionen. Es gibt einen zentralen, drehbaren Sitz. Das Auto kann seine Räder um 90 Grad einschlagen – bei normalen Wagen sind es 38 Grad. Das könnte das Einparken einfacher machen. Ein Lenkrad hat "SpeedE" nicht. Auf Knopfdruck fährt Sandmann Sidesticks hoch, Steuerknüppel, die wie Joysticks aussehen. Damit lässt sich der Wagen nach rechts und links lenken.

Ingenieur Adrian Zlocki ist Experte für autonomes Fahren. "Technologisch sind wir schon relativ weit", sagt er. Doch wann werde autonomes Fahren marktreif – und von den Leuten akzeptiert?

Darum geht es auf der Teststrecke des Instituts in Aldenhoven, in der Nähe von Aachen. Früher stand hier eine Zeche. Wissenschaftler haben eine Straßenkreuzung aufgebaut. Sie ist voll mit Elektronik, die Ampeln sind voller Sensoren. Hier wird erforscht, wie sich Zukunftsautos mit der Umgebung "unterhalten", mit Fahrzeugen, mit Fußgängern. "Automatisiertes Fahren in der Stadt ist anspruchsvoller als auf der Autobahn", sagt Maschinenbauer Dominik Raudszus.

In einer Halle des Instituts steht ein großer Fahrsimulator. Der Koloss zuckt nach vorne, zieht nach oben und unten. Darin testen Probanden Fahrsituationen ohne Lenkrad: eine Autobahnfahrt, eine Kurve, eine Berg- und Talfahrt.

Gesucht werden Bedienkonzepte im Auto der Zukunft. Wie auch beim Fraunhofer Institut IAO in Stuttgart. Es liegt knapp elf Kilometer entfernt vom Neckartor – die Kreuzung dort gilt als schmutzigste Deutschlands. Um Schadstoffgrenzwerte geht es am IAO aber nicht, sondern um Forschungswagen wie den "Twinkle Twizy". Das Auto blinzelt – das bedeutet twinkle – Fußgängern aus großen Schweinwerfern zu, wenn es sie erkennt. Und es verfolgt ihren Weg. "Hello I'm Twinkle Twizy", steht dann auf einem Display an der Front des Einsitzers. Wie können Roboterautos mit Fußgängern interagieren? Das ist hier die Frage. Harald Widlroither jedenfalls sieht noch einen weiten Weg bis zum vollautomatischen Wagen: "Es geht auch um Akzeptanz: Wollen wir überhaupt nicht mehr fahren?"

Wenn es nach Johann Jungwirth geht, ist das Autonome auf alle Fälle die Zukunft. 2030 werde es in Städten Standard sein, mit elektrischen, vollautonomen Fahrzeugen zu fahren, die viel sicherer seien, sagt der VW-Digitalchef. "JJ", wie er bei VW genannt wird, war früher bei Apple. Ausgerechnet: Denn Apple und Google sind neue Player auf dem Weg zur Digitalisierung, Google hat bereits selbstfahrende Autos gebaut. Die in der digitalen Mobilitätswelt gesammelten Daten eröffnen neue Geschäftsmodelle. Daimler, BMW und Audi kauften Nokia für rund 2,6 Milliarden Dollar den Kartendienst Here ab. Sie versuchen, auf dieser Basis eine Plattform für alle möglichen vernetzten Dienste aufzubauen.

Jungwirth spricht nicht von einer Evolution und kleinen Schritten, sondern von einer Revolution. Seine drei "Achsen" der Disruption: "Erstens vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb. Das ist eine wichtige Voraussetzung, dass wir die Städte sauber und leise bekommen. Zweitens vom Menschen als Fahrer zum selbstfahrenden Auto. Und drittens vom eigenen Fahrzeug zur "shared mobility"." In einer "shared mobility" sollen Fahrzeuge noch viel mehr als heute gemeinsam genutzt werden. Vor allem in Städten soll es so weniger Autos geben.

Aber wollen das die Autofahrer wirklich? Geht es ihnen nicht auch um Emotionen und Fahrspaß? Das verkaufen heute vor allem Oberklassehersteller. Und so sagt ein Porsche-Sprecher: "Einen Porsche wird man auch 2030 selbst fahren wollen und können."

Nicht nur ein Oberklasseauto aber könnte dann völlig anders aussehen. In Konzeptstudien haben Hersteller gezeigt, wie futuristisch das Design selbstfahrender Autos sein könnte. Wie der VW Sedric ohne Pedale und Lenkrad oder der F015 von Daimler mit drehbaren Sitzen. Und auch wenn es noch technische Herausforderungen und rechtliche Fragen gibt. Die Prognose von VW-Digitalchef Jungwirth lautet: Ab 2021 wird es in ersten Städten erste selbstfahrende Autos geben. (mho)