Vor der IAA: Letzte Ausfahrt Zukunft – das Auto von morgen

Deutschlands Autoindustrie steht zur Messe IAA unter Druck – nicht nur wegen der Dieselkrise. Weltmarken sind mittendrin im Ringen um die Zukunft. Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Eine Spurensuche auf Teststrecken und in Labors.

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Vor der IAA: Letzte Ausfahrt Zukunft – das Auto von morgen

(Bild: IAA)

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Deutschland, 2030. Leise surren Robotertaxis durch die Straßen der Städte, sie fahren per App vor. Innen drin lesen die Passagiere und telefonieren. Ein Lenkrad gibt es nicht. An der Ecke tanken Elektroautos Strom. Über den Dächern fliegen autonome Lufttaxis umher. Sie wirken wie Mischungen aus Drohnen und Hubschraubern. Unfälle sind selten, die Autos kommunizieren miteinander. Wagen zu teilen ist in. Und: Die Fahrzeuge sind umweltfreundlich, die Luft bleibt sauber.

Schöne neue Autowelt? In Zeiten der Dieselkrise mit immer neuen Messungen über dreckige Fahrzeuge scheint das schwer vorstellbar. Das Image von Deutschlands Schlüsselbranche ist ramponiert. Doch glaubt man Forschern und Entwicklern, ist es ein durchaus realistisches Zukunftsszenario.

"Die Automobilindustrie befindet sich mitten in einem fundamentalen Wandel", sagt BMW-Chef Harald Krüger. "Wenn wir weiterhin zukunftsfähig bleiben wollen, müssen wir hier und jetzt handeln."

Viele sprechen vom größten Umbruch seit der Erfindung des Automobils vor rund 130 Jahren. Damals lösten Autos die Pferde und Kutschen als Transportmittel ab. Und nun? Oft fällt beim Mythos Auto das Wort Disruption, also des harten Bruchs. Neues entsteht, alte Geschäftsmodelle werden durcheinandergewirbelt. Die Megathemen, auch bei der Automesse IAA in Frankfurt (14. bis 24. September), heißen Digitalisierung und alternative Antriebe. Manche Experten geben aber auch dem Diesel noch eine ganz große Zukunft.

Eigentlich gab es beim Auto schon immer Schattenseiten. "Die Probleme des Autos sind lange bekannt: Es ist ressourcen- und energieverschwendend, es ist dreckig", sagt Kurt Möser, Professor für Kulturgeschichte der Technik am Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT. Immer wieder aber sei das Auto neu erfunden und weiterentwickelt worden. Und auch Umweltkonflikte sind nichts Neues. Beispiel: Mitte der 80er Jahre wurde der Katalysator Pflicht – nach langen Debatten und gegen Widerstände.

Diesmal aber geht es ans Eingemachte. Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde der Diesel-Abgasskandal bei VW bekannt. Auch bei anderen Herstellern zeigten Tests: Fahrzeuge sind auf der Straße viel dreckiger als auf dem Prüfstand. Die Branche schlitterte in eine Glaubwürdigkeitskrise. Seither ist sie unter Druck, innovativer und umweltfreundlicher zu werden. Viele Kunden sind verunsichert. Der Diesel-Marktanteil bei Neuzulassungen sinkt rapide.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
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Vor allem ein Begriff ist es, über den ständig debattiert wird: Stickoxid (NOx). Stickoxide können den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System schaden. Beim VW-Skandal ging es um den Ausstoß eben dieses Schadstoffs. Weil die NOx-Grenzwerte deutlich überschritten werden, drohen Fahrverbote für ältere Dieselwagen in Innenstädten. Und nicht nur Zehntausende Handwerker fragen sich, ob sie künftig noch mit ihren Transportern zu den Kunden kommen.

"Solange die Industrie weiter für ihr Recht auf billige, schmutzige Diesel kämpft, schaufelt sie sich ihr eigenes Grab", sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Die Grünen fordern ein Verbot neuer Benzin- und Dieselmotoren ab 2030. Der Umweltverband Greenpeace sieht das schon ab 2025 und ist für eine radikale Verkehrswende, um das Klima zu schützen.

Großbritannien will den Verkauf von Diesel- und Benzinautos ab 2040 verbieten. Auch Frankreich hat erklärt, den Verkauf von Verbrennungsmotoren bis 2040 einzustellen. Der weltgrößte Elektroauto-Markt China erwägt Quoten. Das würde vor allem die europäischen Autobauer unter Druck setzen.

"Der Wandel wird kommen", meint Greenpeace-Experte Benjamin Stephan. "Nun kann ihn die Autoindustrie noch aktiv gestalten. Ihnen droht sonst das Nokia-Schicksal." Gemeint ist der einstige Handy-Marktführer aus Finnland. Nokia hatte den Boom der internetfähigen Smartphones verpasst und verkaufte die Mobilphone-Sparte. Das will die Autoindustrie vermeiden.

Derzeit führt sie aber in erster Linie einen Abwehrkampf: gegen Diesel-Fahrverbote. Die könnten ihre Probleme verschärfen. Denn der Dieselanteil ist vor allem bei Geländewagen hoch: Im boomenden SUV-Segment verdient die Industrie viel Geld. Außerdem brauchen die Konzerne den Diesel, um mit ihren Flotten die CO2-Grenzwerte der Europäischen Union einhalten zu können. Diesel sind aus Branchensicht im Vergleich zu Benzinern mit ähnlicher Leistung effizienter, ihr Verbrauch ist geringer. Deshalb stoßen Diesel oft geringere Mengen des Klimagases Kohlendioxid aus.