Rechenzentren im Energieeffizienzgesetz: Wärmewende braucht mehr als Planspiele

Seite 2: Wärmekataster: Rechenzentrum als Nahwärmeversorger

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Modellprojekte sind unter anderem der Green IT Cube in Darmstadt, Hessens wassergekühltes Rechenzentrum im Eurotheum Frankfurt, dessen Abwärme zum Heizen des Gebäudes benutzt wird, und das Projekt Westville von Béla Waldhausers Telehouse Deutschland GmbH mit Nahwärme aus einem Rechenzentrum für ein angrenzendes Wohngebiet, das sich in der Bauphase befindet. Insgesamt rund 3000 Menschen sollen im Westville in ihren Wohnungen, drei Kitas, Läden, Nahversorgung und Gastronomie durch einen Mix aus Nah- und Fernwärme versorgt werden, erklärte Waldhauser. Als Initialzündung diente ein Wärmekataster, das für die Erschließung alternativer Wärmequellen in Deutschland von Nutzen sein könnte.

Am heutigen Campus von Telehouse im Westen des Frankfurter Gallusviertels befand sich zuvor die Firmenzentrale von T&N (später Telenorma und Bosch Telecom), dem ehemals zweitgrößten Telefonanlagenhersteller Deutschlands. Dort, wo jetzt das Wohngebiet entsteht, stand das Telenormawerk 2. Mit Rohren wird dort die Wärme auf die andere Straßenseite gebracht. Die Rohre waren schon vorhanden, was sich als großer Vorteil beim Planen und Bauen herausstellte. Gleich mehrere historisch gewachsene Faktoren begünstigten diesen Standort für ein solches Projekt. Dennoch nahm die Planung mit allen Projektbeteiligten rund zwei Jahre in Anspruch, solche Projekte lassen sich selbst bei optimalen Bedingungen nicht von heute auf morgen umsetzen. Im Sommer 2023 werden die ersten Blöcke bezugsfertig sein und die ersten Mieter einziehen.

Pläne, 3D-Grafik und Lage des Bauprojekts Westville auf dem ehemaligen T&N-Gelände in Frankfurt: Hier entstehen Wohnungen und Gewerberäumlichkeiten, die teilweise mit Abwärme aus dem angrenzenden Rechenzentrum der Telehouse GmbH versorgt werden.

Üblicherweise bringen die Kunden luftgekühlte Rechenzentren ein, erklärte Waldhauser. Die wenigsten Server seien heutzutage schon wassergekühlt. Dabei fallen maximal 35 Grad Abwärme an, was aber nicht ausreicht, um sie in Fernwärmenetze einzuspeisen. In Frankfurt und Berlin arbeiten die Fernwärmenetze der ersten und zweiten Generation zwischen 100 und 120 Grad. Auf diese Temperatur wäre für die Abwärme erst hochzuheizen – was laut dem Physiker weder ökonomisch noch ökologisch Sinn ergibt. Die Rechenzentrumsanbieter stellen ihre Abwärme den Abnehmern zudem kostenlos zur Verfügung.

Um eine Wärmewende zu ermöglichen, bräuchte es flächendeckende Infrastruktur für niedrigere Temperaturen, also eine neue Generation von Netzen. Nahwärmenetze sind ab 60 oder 70 Grad betreibbar (das ist auch aus hygienischen Gründen eine wichtige Grenze, um beispielsweise die Ausbreitung von Legionellen im Trinkwasser einzudämmen). Im Falle des Modellprojekts Westville steht der Frankfurter Energieversorger Mainova als Partner zur Seite, kümmert sich um die Verträge, und die direkte Nachbarschaft nimmt die Wärme ab. Mainova baut dort eine Heizzentrale mit zwei Großwärmepumpen. Erst die kurze Entfernung auf die andere Straßenseite macht die Abgabe der Abwärme hier technisch möglich.

Hessen: Bundesland mit der größten Rechenzentrumsdichte

In Hessen befinden sich rund ein Viertel aller deutscher Rechenzentrumskapazitäten und 40 Prozent der Großrechenzentren und Colocation-Rechenzentrum der Bundesrepublik. Mit dem DE-CIX in Frankfurt liegt auch der leistungsfähigste Internetknoten der Welt in der Region. Laut Ministerin Sinemus ist insbesondere ein Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft wichtig. So scheiterten bisher etliche Rechenzentrumsprojekte am Widerstand der Anwohner, die bei den hochgesteckten Abwärmezielen des Bundes aber als Abnehmer unabdingbar wären.

Neben Westville und dem Eurotheum-Hochhaus in Frankfurt gibt es in Hessen weitere Vorzeigeprojekte, beispielsweise den Darmstädter Green Cube am GSI oder ein Rechenzentrum in Limburg, das für ein angrenzendes Neubaugebiet die Fußbodenheizung mit Wärme beschickt. Hessen ist eins von nur zwei Bundesländern mit eigenem Digitalministerium (wobei in Bayern der Schwerpunkt auf Verwaltungsdigitalisierung liegt). Hessen hat ein eigenes Rechenzentrumsbüro zum Koordinieren der Anliegen von Betreibern eingerichtet.

Waldhausers Rechenzentrum gibt also demnächst Abwärme an 1330 Haushalte ab, im Vorfeld hatte er sich für 15 Jahre freiwillig zur kostenfreien Abgabe selbst verpflichtet. Nahwärmenetze und Rohre für den Transport sind in den wenigsten Fällen vorhanden. Bei dem Telehouse-Vorzeigeprojekt „Westville“ stammen nur maximal zehn Prozent der gelieferten Wärme aus Abwärme vom Rechenzentrum, wenngleich Telehouse gerne mehr der benötigten Energie zur Verfügung gestellt hätte. Dafür hätte der städtische Energieversorger Mainova jedoch weitere Wärmepumpen einplanen müssen, was in der Planungsphase aufgrund der damals noch niedrigen Strom- und Gaspreise offenbar unwirtschaftlich schien. 3000 Menschen sind Waldhauser zufolge auch "viel zu wenig für die Abwärme, die unsere Kunden mit Ihren Servern produzieren." Um 30 bis 40 Prozent der anfallenden Abwärme abzugeben, bräuchte Telehouse zwischen 10.000 und 15.000 Abnehmer.

Die vorhandenen Großwärmepumpen für Westville beschränken die Versorgung für das Wohnquartier auf 60 bis 70 Prozent an möglicher Abwärme durch die Telehouse GmbH. Aber selbst bei mehr oder größeren Großwärmepumpen könnte Telehouse maximal zehn Prozent der anfallenden Abwärme abgeben. "Wir brauchen viel mehr Haushalte für die Abwärme, die unsere Kunden produzieren", betonte Waldhauser im Verlaufe der Diskussionen. Ein Mangel an (belieferbaren) Abnehmern scheint auch bei anderen großen Rechenzentrumsbetreibern der Fall zu sein, wie die Redaktion nach der Paneldiskussion im Gespräch mit weiteren Gästen aus der Branche erfuhr. Bei der Umsetzung des Energieeffizienzgesetzes in der geplanten Form wäre das eine große, wenn nicht sogar die größte Hürde.

Nun ist die Konzipierung des Wohnprojekts Westville nach zweijähriger Planungsphase bereits abgeschlossen, und die ersten Mieter werden 2023 einziehen. Der Physiker Waldhauser wünscht sich Nachahmer und vor allem Projekte, die weitaus größer sind als sein Modellprojekt. Zum jetzigen Zeitpunkt falle es den Rechenzentren allerdings schwer, Abnehmer für ihre Abwärme zu finden – im Gesetzesentwurf findet sich neben der Forderung, Abwärme verpflichtend bereitzustellen, keine Verpflichtung potenzieller Empfängerkreise wie der Kommunen und Immobilienbesitzer, Abwärme auch abzunehmen. "Das ist die Krücke in dem Entwurf, so wird es nicht funktionieren", schloss Waldhauser.

Paneldiskussion in Berlin zum geplanten Energieeffizienzgesetz: Was können Rechenzentren beitragen? Hessische Landesvertretung am 11. November 2022

(Bild: Silke Hahn)