Rechenzentren im Energieeffizienzgesetz: Wärmewende braucht mehr als Planspiele

Die hessische Digitalministerin Sinemus brachte in Berlin Stakeholder des Gesetzesentwurfs zum Austausch zusammen. Wirtschaft kritisiert unerfüllbare Auflagen.

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(Bild: Miha Creative / Shutterstock.com)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Mindestens 30 Prozent der Abwärme ab dem 1. Januar 2025 nachhaltiger Nutzung zuführen, ab 2027 dann 40 Prozent: Der durchgestochene Entwurf des von der Bundesregierung geplanten Energieeffizienzgesetzes konfrontiert die Betreiber von Rechenzentren mit großen Forderungen. Die Machbarkeit gilt als umstritten, und es besteht Diskussionsbedarf: Das geplante Gesetz wirft zum jetzigen Zeitpunkt viele Fragen auf. Hessens Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus lud daher Vertreterinnen und Vertreter der Rechenzentrumsbranche sowie unterschiedliche Verbände und Unternehmen für eine Paneldiskussion zum Austausch in die Hessische Landesvertretung in Berlin.

Mit dem Energieeffizienzgesetz will der Bund unter anderem erreichen, dass Rechenzentren ihren Energiebedarf ab 2025 zu hundert Prozent durch ungeförderten Strom aus erneuerbaren Energien decken müssen. Beim aktuellen Strommix in Deutschland scheint bereits dieses Ziel nicht erreichbar, da Solar- und Windstrom großen Schwankungen unterliegen und der Betrieb von Rechenzentren damit nicht rund um die Uhr zu gewährleisten sei. Wichtig dürften daher auch Fortschritte bei den Speichermedien sein, um "Dunkelflauten" ohne Ausfälle durchtauchen zu können.

Bei der Paneldiskussion am 11. November 2022 ging es um sachliche Aufklärung und Austausch von Stakeholdern und Sachverständigen unter dem Titel "Rechenzentren als Fundament für nachhaltige Digitalisierung – Ansätze, Rahmenbedingungen, Handlungsspielraum". Leitfrage der Diskussion war, welchen Beitrag die Rechenzentren und ihre Betreiber leisten können. Dabei ist der Ausgangspunkt, dass das auf Bundesebene geplante Energieeffizienzgesetz in seiner jetzigen Form erhebliche Auswirkungen auf die Branche und den Wirtschaftsstandort haben würde.

Parallel ist auf europäischer Ebene bereits seit Längerem eine entsprechende Gesetzgebung in Vorbereitung, die einen "deutschen Alleingang", der inhaltlich zu dem europäischen Rechtsrahmen konträr liefe, fragwürdig erscheinen lässt. Heise Developer war zu dem Panel eingeladen und hatte im Nachgang Gelegenheit, mit der Ministerin und einigen Rechenzentrumsbetreibern zu sprechen.

Technologie als Daseinsvorsorge: Gespräch mit Ministerin Sinemus
Hessens Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus in einer Presserunde in Berlin, Hessische Landesvertretung

(Bild: Silke Hahn)

Hessen verfügt über ein in der Staatskanzlei angesiedeltes Digitalressort, das als Bündelungsministerium im Querschnitt diskutiert und agiert. Gemeinsam mit Kollegen vom Spiegel und dpa nahm heise Developer an der Presserunde mit Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus und Dr. Béla Waldhauser teil. Sinemus legt Wert darauf, Wirtschaft und Wissenschaft mit an den Tisch zu holen und verfolgt einen Stakeholder-Ansatz, wie er aus der Wirtschaft bekannt ist. Hessen hat ein Rechenzentrumsbüro eingerichtet, dessen Leiterin Frau Koch Anliegen zum Thema bündelt und Rechenzentrumsbetreiber sowie potenzielle Gründer berät. Beratung, Unterstützung und Netzwerken sollen hier aus einer Hand geboten werden. Ansprechpartner werden vermittelt, was eine Vereinfachung bürokratischer Abläufe bringen soll.

Gegen Verkrustungen mit Dialog anzugehen, scheint typisch zu sein für Sinemus, die einen zupackenden Stil vermittelt und lange parteilos war. Da die Länder außer Hessen und Bayern keine Digitalministerien haben, hat Sinemus mit ihrer bayerischen Amtskollegin die D-16-Runde ins Leben gerufen, in der die jeweils Zuständigen aus unterschiedlichen Bereichen der Landespolitik seit 2019 regelmäßig zusammentreffen. Zurzeit hat Baden-Württemberg den Vorsitz, bei der nächsten Sitzung wird das Energieeffizienzgesetz auf der Tagesordnung stehen. Sinemus selbst hatte sich in Hessen sehr für das Einrichten eines Forschungszentrums für KI eingesetzt und hessian.ai gemeinsam mit dem Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium sowie Partnern an TUs und Universitäten aus der Taufe gehoben, die Kosten teile man sich zu dritt. An Beispielen wie diesem macht sie den Erfolg einer Bündelungsstelle fest: "Es muss kein eigenes Ministerium sein, sondern eine Stelle mit Überblick."

Ressortübergreifend denken und arbeiten

Was die laufende Gesetzgebung betrifft, wäre ihr Rat, erstmal die europäische Regelung abzuwarten und vor der Regulierung Erfahrungswerte zu sammeln, die Umsetzung zu erproben, auf Selbstverpflichtung zu setzen. Für die Energy Efficiency Directive (EED, Energieeffizienzrichtlinie) stehe die Europäische Kommission mit Verbänden und Fachleuten im Austausch. Falls in Deutschland härter reguliert werde als aus Brüssel, sei eine lähmende Klagewelle die Folge. Auf europäischer Ebene herrsche oft Ratlosigkeit, wenn eine Kommissarin beispielsweise für die KI-Regulierung auf Bundesebene einen Ansprechpartner für Themen wie Künstliche Intelligenz und Digitalisierung suche. Verantwortungen ressortübergreifend wahrzunehmen, sei vielversprechend. Man brauche nicht für alles eigene Verwaltungsstrukturen, sondern mehr projektplanerisches Steuern durch Bündelung und Koordination – mit Durchgriffsmöglichkeit auf der Bundesebene. Technologie und Digitalisierung begreift Sinemus als Daseinsvorsorge.

Dr. Ralph Hintemann, Senior Researcher am Borderstep Institute, präsentierte bei der Veranstaltung Ergebnisse einer Studie zu den Nachhaltigkeitspotenzialen durch die Digitalisierung. Hintemann ist Lehrbeauftragter an der Universität Oldenburg sowie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, regelmäßig erstellt er unabhängige wissenschaftliche Studien. Er und sein Team stellten einen Boom beim Bau von Rechenzentren fest im Vergleich zu der Situation vor zehn Jahren. Dabei sticht das Rhein-Main-Gebiet insbesondere mit Frankfurt als "Hotspot" heraus. Es gebe unterschiedliche Typen von Rechenzentren – nicht nur die "großen grauen Betonklötze" mit mehreren Megawatt Leistungsaufnahme und Colocation für Hyperscaler. Edge-Computing sowie Kleinstrechenzentren seien im Kommen. Gerade auch mittelständische Unternehmen betreiben in Deutschland eigene Serverräume, die unter Umständen auch von der geplanten Regulierung durch das Energieeffizienzgesetz erfasst würden.

Wesentlich für die Nachhaltigkeit von Rechenzentren sind ihr Stromverbrauch, die Nutzung der Abwärme und das lokale Umfeld. Beim Impact durch Stromverbrauch gilt zu bedenken, dass der in Deutschland verfügbare Strommix nicht zu hundert Prozent nachhaltig ist, was es Rechenzentrumsbetreibern als Großabnehmern schwer mache, die Forderung nach "100 % Grünstrom" zu erfüllen – fast alle großen Rechenzentren haben bereits Ökostromverträge. In puncto Wärmewende könnten sie grundsätzlich Teile der Bevölkerung günstig mit Wärme versorgen, allerdings ist die Nutzung von Abwärme weiterhin mit hohen Hürden verbunden.