Weniger ist mehr: Schärfentiefe auf aktuellen Kameraplattformen

Das Wichtige betonen, Unwichtiges ausblenden: Die Verteilung von Schärfe und Unschärfe zählt zu den bedeutsamsten Gestaltungsmitteln der Fotografie. Doch nicht jede Kamera kann gute Bildideen tatsächlich umsetzen.

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Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Robert Seetzen
Inhaltsverzeichnis

Talent für gekonnte Schärfeplatzierung allein trägt allerdings keinen Künstler zu dauerhaftem Fotoruhm. Ganz profan spielt auch die Kamera eine zentrale Rolle. Und hier entscheidet nicht etwa große Konstrukteurskunst über den Spielraum der Schärfegestaltung, sondern schlicht die Größe des Bildsensors. Denn sie bestimmt das Verhältnis von Bildwinkel und Brennweite.

In erster Näherung gilt: Je kürzer die (tatsächliche) Brennweite eines Objektivs, desto größer ist bei gleicher Blendenöffnung die Ausdehnung des als scharf empfundenen Bereiches vor und hinter der am Objektiv eingestellten Entfernung. Dieser Bereich ist aber auch abhängig von der Motiventfernung – mit zunehmendem Abstand wird er ebenfalls größer – und schließlich von der Pixeldichte des Sensors: Bei größeren – sprich weniger – Pixeln darf sich der so genannte "Zerstreuungskreis", den ein Motivpunkt auf dem Sensor abbildet, weiter ausdehnen.

Zu den Faktoren, auf die man umittelbar Einfluss nehmen kann, gehört natürlich die Blende. So wächst mit kleinerer Blendenöffnung, also zunehmender Blendenzahl, zugleich die Ausdehnung der Schärfentiefe. Ein mit Blende f/5,6 aufgenommenes Foto zeigt mehr Hintergrunddetails als eine mit Blende f/2,8 angefertigte Aufnahme. Gleiches gilt für ein mit zunehmendem Abstand fotografiertes Bild, das im Vergleich zu einer mit gleicher Brennweite und Blende angefertigten Nahaufnahme stets die größere Schärfentiefe liefert. Zwar können viele Fotografen abschätzen, welche Blenden- und Brennweitenkombination welchen Schärfentiefe-Eindruck bringt, die exakte Berechnung aber ist keineswegs trivial – doch dazu später.

Je kleiner ein Bildsensor ausfällt, um so kürzer muss die für einen bestimmten Bildwinkel benötigte reale Brennweite sein. Digitale Kompaktkameras mit ihrem meist winzigen Bildsensoren können deshalb trotz vergleichsweise kleiner Objektive große Telewirkung – also einen engen Bildwinkel – erzielen. Oder, falls es nicht auf extremes Heranzoomen ankommt, dank kompakter Objektive mit mittlerer Brennweite bequem in Hemd- und Hosentaschen unterkommen. Bei identischen Aufnahmebedingungen werden solche Platzwunder allerdings vieles detailreich abbilden, was große Bildsensoren sanft in Unschärfe entschwinden lassen – etwa Knitterfalten im behelfsmäßigen Portraithintergrund oder die Häuserwand hinter einer hübschen Blume. Kurzum: Mit abnehmender Real-Brennweite wächst die Schärfentiefe und damit der vor und hinter dem scharfgestellten Motivteil klar erkennbare Bildbereich.

Dass die Größe des Bildsensors und die für einen bestimmten Bildwinkel benötigte Brennweite in direktem Zusammenhang stehen, wird Besitzer digitaler Systemkameras kaum überraschen. Schließlich ist hier schon seit langem – wenn auch sachlich inkorrekt – von einer "Brennweitenverlängerung" die Rede. Ein mit aktuellen Mittelklasse-SLRs von Canon, Nikon, Pentax oder Sony bei 18 mm Brennweite fotografiertes Bild liefert in etwa denselben Motivausschnitt wie ein mit 28 mm Brennweite fotografiertes Kleinbilddia. Die rund 1,5-fache "Verlängerung" der Brennweite resultiert aus der im Vergleich zum Kleinbildformat um den Faktor 1,5 kleineren Diagonale des Bildsensors. Als Bezeichnung für Chips dieser Größenklasse findet oft das noch aus analogen Zeiten stammende Kürzel "APS-C" Verwendung.