Zivilgesellschaft: Ampel hat Versprechen zum Whistleblower-Schutz nicht erfüllt

Der Bundestag hat einen Gesetzentwurf zur Absicherung von Hinweisgebern beschlossen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind enttäuscht von der Koalition.

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(Bild: Daniel Beckemeier/Shutterstock.com)

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Nach jahrelangem Hickhack auch schon zu Zeiten der großen Koalition machte der Bundestag in der letzten Sitzungswoche in diesem Jahr kurzen Prozess beim umstrittenen Gesetzentwurf für einen "besseren Schutz hinweisgebender Personen": Anfang der Woche legte die Ampel-Koalition kurzfristig ihren Änderungsantrag zum Vorschlag der Bundesregierung vor. Bereits am Freitagvormittag verabschiedeten die Abgeordneten dann mit den Stimmen der Regierungsfraktionen die Initiative nach einer rund 45-minütigen Aussprache. CDU/CSU und AfD waren dagegen, die Linke enthielt sich.

Die Zeit drängte: Mit dem Beschluss setzt das Parlament mit einem Jahr Verspätung die EU-Whistleblowing-Richtlinie um. Die EU-Kommission leitete wegen der Verzögerung bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Mit dem Vorhaben sollen Hinweisgeber, die in Firmen oder in der öffentlichen Verwaltung auf Missstände aufmerksam machen, stärker vor Vergeltungsmaßnahmen wie Kündigung oder anderen Benachteiligungen bewahrt werden: Gegen Whistleblower gerichtete Repressalien sind künftig verboten.

Laut dem verabschiedeten Entwurf müssen grundsätzlich alle Unternehmen und Ämter mit mindestens 50 Mitarbeitern eine interne Meldestelle einrichten. Betriebe mit bis zu 249 Beschäftigen können solche Einrichtungen gemeinsam aufbauen. Als externe Anlaufstelle soll grundsätzlich das Bundesamt für Justiz dienen, für einige Bereiche sind spezielle Meldestellen vorgesehen.

Hinweisgeber können generell frei wählen, ob sie innerhalb des Unternehmens oder der Behörde oder bei einer unabhängigen Stelle Alarm schlagen wollen. Die internen und externen Meldeinstanzen müssen die eingegangenen Hinweise prüfen und erforderliche Folgemaßnahmen ergreifen. Laut dem Änderungsantrag der Koalition sind Meldestellen verpflichtet, sich auch mit anonymen Hinweisen zu beschäftigen. Die Regierung hatte hier nur eine weniger verbindliche Soll-Bestimmung vorgesehen.

Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland begrüßte diese Korrektur. Sie sei entscheidend, da dadurch die Hemmschwelle zum Melden von Problemen deutlich sinke. Auf fast jeden großen Skandal hätten zunächst anonyme Hinweisgeber aufmerksam gemacht. Gleichzeitig hätte der Schutz von Whistleblowern aber "noch deutlich umfassender und besser ausfallen können". In bestimmten Bereichen bleibe es für potenzielle Hinweisgebende "schwierig zu beurteilen, ob sie geschützt sind oder nicht". Das liegt daran, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes "begrenzt und komplex ist".

Aus Sicht von Transparency hätte das Gesetz "für sämtliche Rechtsverstöße und sonstiges Fehlverhalten gelten" sollen, "dessen Meldung oder Offenlegung im öffentlichen Interesse liegt". Die Organisation moniert vor allem, dass der Bereich der nationalen Sicherheit und sogenannte Verschlusssachen "fast vollständig ausgenommen sind". Dabei seien gerade dort Hinweisgeber "für die Aufdeckung großer Missstände besonders wichtig".

"Auch ein deutscher Edward Snowden sähe sich daher wahrscheinlich zur Flucht nach Russland gezwungen", legt auch das Whistleblower-Netzwerk den Finger in die Wunde. Zudem fielen Hinweise zu sonstigen gravierenden Missständen wie ethisch fragwürdigen Handlungen oder solchen unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße, nicht in den Schutzbereich des Gesetzes, obwohl die Regierungsparteien dies im Koalitionsvertrag vereinbart hätten.

Das Netzwerk moniert ferner, dass es starke Anreize für interne Meldungen gebe und dieser Weg "absoluten Vorrang" habe im Geheimschutzbereich. Oft fehle hier aber das dafür erforderliche Vertrauen in den Arbeitgeber. Hinweisgeber, die direkt an die Öffentlichkeit gehen wollten, seien auch nur in Ausnahmefällen vor Konsequenzen geschützt, etwa wenn es um die Offenlegung einer unmittelbaren oder offenkundigen Gefährdung des öffentlichen Interesses gehe.

Im Gesetz seien auch keine Unterstützungsfonds vorgesehen, aus denen Kompensationen sowie rechtliche und psychologische Beratung von Hinweisgebern finanziert werden könnten, beklagt der Zusammenschluss. Die Koalition habe sich hier nur zu einem Prüfauftrag an die Exekutive durchringen können. Insgesamt sei der Kompromiss so "geprägt vom Geist des Misstrauens gegenüber Whistleblowern und der Angst vor Aufdeckungen".

In der beschlossenen Form erhöhe das Hinweisgeberschutzgesetz die Hürden, "Informationen über Missstände und Korruption gegenüber Medien offenzulegen", zeigt sich auch die Presseorganisation Reporter ohne Grenzen unzufrieden. Es führe hohe Anforderungen ein, ab wann Whistleblower auf die vierte Gewalt zugehen dürften, und erschwere die Weitergabe von Verschlusssachen auch in berechtigten Fällen. Dies erschwere es, systematisches Fehlverhalten wie etwa in der NSA-Abhöraffäre, beim Dieselskandal oder bei Wirecard aufzuklären. Anders als von der Ampel angekündigt, trügen die Vorgaben kaum dazu bei, "dass Hinweisgebende rechtssicher auf Medien zugehen können".

"Profitieren wird von dem Gesetz letztlich die ganze Gesellschaft", gab Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dagegen als Parole aus. Dazu zählten auch Unternehmen und Behörden: Durch frühzeitiges Erkennen und Einschreiten ließen sich "Haftungsansprüche und Reputationsschäden vermeiden, die mit einer späteren externen Aufdeckung möglicherweise verbunden wären".

Die Koalition sei sich einig, "dass das zunächst ein Zwischenschritt ist und wir eine Erweiterung des Anwendungsbereichs im Blick behalten", betonte Carmen Wegge, stellvertretende rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Martin Plum (CDU) rügte, der Entwurf enthalte zahlreiche unklare Rechtsbegriffe. Auf Unternehmen kämen zusätzliche Bürokratie und Kosten in Höhe von einer halben Milliarde Euro im Jahr zu.

Eingefügt hat die Ampel noch eine "Reichsbürger-Klausel" für den öffentlichen Dienst: Danach sollen die Schutzmechanismen auch für Meldungen gelten, die sich auf Äußerungen von Beamten beziehen, "die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen". Eingeschlossen sein sollen mündliche und schriftliche Ausdrücke etwa in Chats sowie auf andere Weise etwa durch Gebärden getätigte Bekenntnisse.

(bme)