Zwangsarbeit in Xinjiang: Entwarnung für VW, aber kein Freispruch  ​

Eine selbst beauftragte Prüfung konnte VW von Vorwürfen der Zwangsarbeit entkräften. Doch das Engagement von VW in Xinjiang wird weiterhin kritisch gesehen.

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VW hat das Ergebnis des Audits vorgelegt, das sich mit dem Werk in Urumtschi/Xinjniang beschäftigt. Hinweise auf Zwangsarbeit haben die Prüfer nicht gefunden. Ein Freispruch ist das allerdings nicht.

(Bild: VW)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
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Schon wenige Auszüge aus dem Prüfungsbericht haben gereicht, um die VW-Aktie einen Sprung nach oben machen zu lassen. Die Wertpapiere des Konzerns gehörten mit rund fünf Prozent Plus am Nikolaustag zu den großen Gewinnern am Deutschen Aktienindex. Es ist ein Zeichen dafür, wie wichtig das Audit zur Zwangsarbeit bei Volkswagen in Xinjiang für Anleger und Investoren ist. Monate hatten diese auf eben jene Ergebnisse gewartet. "Wir konnten keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit bei den Mitarbeitenden finden", fasst Markus Löning das Audit zusammen. Bis zum Jahr 2014 war er Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Jetzt hat er mit Löning Human Rights & Responsible Business sein eigenes Beratungsunternehmen. Doch ganz so einfach ist die Situation in Xinjiang nicht, weshalb auch die Kritik nicht verstummen dürfte.

Die Bedeutung des Audits konnte gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das VW-Werk in Xinjiang, das eigentlich dazu dienen sollte, die Beziehungen zur chinesischen Regierung und den dortigen Kunden zu festigen, entpuppte sich im Westen als Finanz-Boomerang. Der US-Finanzdienstleister MSCI versah die Aktien des VW-Konzerns mit einer "Red Flag", also einer Warnung an potenzielle Anleger. Die Fondsgesellschaft Deka warf die Papiere aus ihrem Nachhaltigkeitsangebot. Union Investment machte den Verbleib des Papiers in ihrem Nachhaltigkeitsfonds von der Prüfung abhängig.

Dazu kamen massive Probleme mit den Privatanlegern. So hatte der Dachverband "Kritischer Aktionäre" seine Redezeit auf der Hauptversammlung von Volkswagen im Mai 2023 dem Weltkongress der Uiguren (WUC) zur Verfügung gestellt. Nur einen Monat später reichte die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) Beschwerde gegen VW, BMW und Mercedes ein. Hintergrund war, dass die Konzerne nicht beweisen konnten, angemessen auf das Risiko der Zwangsarbeit in Xinjiang reagiert zu haben. Genau dazu sind sie seit dem 1. Januar 2023 durch das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) aber verpflichtet.

In der Uiguren-Region Xinjiang ist Zwangsarbeit sehr gut belegt. Sie ist kein Geheimnis. Denn viele der Menschenrechtsverletzungen gelten in der Region als Subventionsmaßnahme. Dahinter steckt der Plan der zuständigen Wirtschaftskommission, die Region zu einem "wichtigen und westwärts orientierten Standort für die Automobilherstellung auszubauen", wie es im Entwicklungsplan aus dem Jahr 2014 hieß. Insgesamt 87 verschiedene Subventionsmaßnahmen stießen die Lokalregierung und das Zentralkomitee in Peking an. Dazu gehörten beispielsweise vergünstigter Strom und Mieten, Infrastrukturmaßnahmen und geringe Lohnkosten.

Die Maßnahmen zeigten Wirkung. Vor allem energie- und arbeitsintensive Industrien ließen sich in der Region nieder. Xinjiang ist so zum drittgrößten Verarbeiter von Kupfer, Blei und Zink geworden – obwohl es in der Region kaum Bergbau gibt. Zu den Subventionen im Bereich der Lohnkosten gehört die Zwangsarbeit der uigurischen Bevölkerung. Hier gibt es vier unterschiedliche Arbeitsprogramme. Gefangenenarbeit, Internierungslager, Arbeitsversetzung (staatliche Vermittler zwingen Uiguren zur Arbeit in Fabriken oder der Landwirtschaft) und die staatliche Einberufung (ärmere Landbevölkerung, die als Saisonarbeiter eingesetzt werden).

Ralf Brandstätter (links) ist im VW-Vorstand und verantwortet das China-Geschäft. Auf ihn und Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume (mitte) dürften unruhige Zeiten zukommen. Auch Sebastian Rudolph (rechts), Leiter Kommunikation Porsche AG, dürfte das Thema China noch beschäftigen.

(Bild: VW)

Weil manche dieser Programme in China auch als Subventionsmaßnahme durchgehen, werben sogar viele Unternehmen damit auf ihrer Homepage. Das macht zumindest die Basisrecherche zu Menschenrechtsverletzungen in der Region vergleichsweise leicht. In ihrer Studie fassen die Autoren der Sheffield Hallam University genau solche Programme zusammen und verfolgen die Lieferketten.

Die aufgelisteten Beispiele sind enorm detailliert und umfangreich und belasten weitestgehend alle westlichen Hersteller. Laut Studie beliefert der chinesische Aluminiumhersteller Joinworld – die an mehreren Programmen zur Beschaffung von Arbeitskräften beteiligt sind – unter anderem BMW und die Jingwei Group. Letztere stellt Bremsen und Kupplungen her – auch für Volkswagen. Der Konzern bezieht laut Studie auch Stahl von der Xinjiang Bayi Iron and Steel, die ebenfalls von der Zwangsarbeit profitiert. Die Studie formuliert sein Ergebnis extrem vorsichtig und attestiert ein "hohes Risiko", dass Teile aus Zwangsarbeit auch in westlichen Autos stecken würden.

Doch die Studie ist nicht die einzige Arbeit, die für VW zu einem Problem geworden ist. Auch die sogenannten Xinjiang Police Files belasten den Konzern. Dabei handelt es sich um zehn Gigabyte Daten mit unveröffentlichten Reden chinesischer Politiker, Lagerdokumente, Häftlingslisten, Fotos von Inhaftierten und anderen Details, die die Unterdrückung der Uiguren belegen. Unter anderem hat der China-Forscher und Anthropologe Adrian Zenz die Dokumente ausgewertet.

Er führt aus, dass es laut der Xinjiang Police Files Verbindungen zwischen dem Gemeinschaftsunternehmen von Volkswagen und dem staatlichen Hersteller SAIC und der Berufsfachschule für Leichtindustrie in Toutunhe gibt – eine Stadt in der Industriezone, in der auch das Volkswagen-Werk steht. Uiguren sollen laut Zenz aus den Internierungslagern heraus direkt in die Berufsausbildung gesteckt worden seien. Das beweise zwar nicht, dass VW sie auch eingestellt habe, mache aber die Nähe zur Zwangsarbeit deutlich. VW weist die Vorwürfe zurück. "Nach heutigem Kenntnisstand besteht keine Kooperation mit dem Xinjiang Industry Technical College", heißt es in einer Presseaussendung.

Der Umfang der Ermittlungen und der öffentlichen Debatte dürfte VW überrascht haben. Denn das Werk in Xinjiang ist das kleinste im Konzern-Kosmos. 197 Menschen arbeiten hier. Auch werden dort keine Autos gebaut, sondern lediglich für den chinesischen Markt vorbereitet. Die Mitarbeiter kalibrieren etwa die Fahrassistenzsysteme und nehmen die Autos in Betrieb. Es gibt also keine Zulieferer aus der Region, die das Werk mit Teilen versorgen.

Auch deswegen bleiben Zweifel am Ergebnis des Audits. Die Kritik an Volkswagen richtete sich von Anfang gegen das Engagement in der Region Xinjiang. VW, so die Kritik, würde mit seinen Investitionen zur Legitimation der Menschenrechtsverletzungen beitragen. Löning hat sich bei seiner Prüfung aber auf das Werk konzentriert. Den Gesamtzusammenhang in der Region berücksichtigt die Arbeit nicht. "Es ist ein Unding, dass VW in diesem äußerst repressiven Umfeld überhaupt ein Werk betreibt. Die Wolfsburger liefern dem chinesischen Regime damit einen Propaganda-Erfolg in der Hoffnung auf besseren Zugang zum chinesischen Markt", bewertet Hanno Schedler von der Gesellschaft für bedrohte Völker die Situation.

Löning hat vor Ort 40 Interviews mit Beschäftigten durchgeführt. Von den 197 Beschäftigten sind 50 Uiguren. Sie werden für die Region überdurchschnittlich bezahlt und haben unterdurchschnittliche Arbeitszeiten. Gemeinsam mit chinesischen Juristen prüfte die Agentur auch die Arbeitsverträge. Löning betont allerdings: "Die Situation in China und Xinjiang und die Herausforderungen bei der Datenerhebung für Audits sind bekannt." So musste das Audit beispielsweise beim chinesischen Partner SAIC angemeldet werden. Außerhalb des Werkes darf mit den Arbeitnehmern nicht gesprochen werden.

Henrik Pontzen ist Leiter Nachhaltigkeit im Portfoliomanagement von Union Investment. In einem Interview mit dem Fachdienst Table.Media betonte er: "Die Veröffentlichung des Audits ist ein Schritt in die richtige Richtung." Solche Prüfungen dürften allerdings keine einmalige Sache bleiben. Auch und vor allem bei VW nicht. Denn die "schwache Corporate Governance" sei die Achillesferse des Konzerns. Union Investment werde VW weiterhin kritisch begleiten. Bislang hat das Unternehmen die Papiere von Volkswagen auch nicht wieder in die Nachhaltigkeitsfonds aufgenommen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) macht vor der Jahreshauptversammlung von Volkswagen im Mai 2023 auf die Situation der Uiguren in Xinjiang aufmerksam.

(Bild: Hanno Schedler/GfbV)

Auch der Dachverband "Kritische Aktionäre" zeigt sich vom Audit nur wenig beruhigt. "Das Audit wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Es scheint vielmehr die Kritik zu bestätigen, das Werk werde nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen betrieben", zitiert eine Aussendung Tilman Massa, Co-Geschäftsführer des Dachverbands "Kritische Aktionärinnen und Aktionäre".

Gheyyur Kuerban ist Berlin Direktor des Weltkongresses der Uiguren. Er betont, dass das VW-Werk nicht losgelöst vom "Kontext des dort stattfindenden Genozids betrachtet werden" dürfe. Die Lieferketten blieben unberücksichtigt. "Das von VW veröffentlichte Audit lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weg vom eigentlichen Problem: Die gravierenden Probleme der uigurischen Zwangsarbeit in seinen Lieferketten, für die es belastbare Hinweise gibt, werden offensichtlich weiter ignoriert." Das Audit mag für einen entspannten Jahresausklang sorgen, nachhaltig gelöst hat Volkswagen das Problem allerdings noch nicht.

(mfz)