MV Agusta Brutale 1000 RS Fahrbericht

Bislang empfand ich den Namen "Brutale" als etwas unglücklich, aber nach diesem Test kann ich sagen: Passt. Treffen doch 208 PS auf nur 186 kg Trockengewicht.

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MV Augusta bewirbt die Brutale 1000 RS mit "schnellstes Naked Bike der Welt". Sie kann aber auch langsam sehr gut.

(Bild: Ingo Gach)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Ingo Gach
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MV Agusta wollte der scharfen Brutale 1000 RR in Form der RS-Version einen Hauch mehr Komfort verleihen. Das ist durchaus gelungen, aber daraus zu folgern die RS sei kein extremes Motorrad mehr, wäre ein großer Irrtum. Wenn 208 PS auf nur 186 Kilogramm Trockengewicht treffen, ist das ein hochexplosives Gemisch.

Die MV Agusta Brutale 1000 RS ist eine sehr ernsthafte Ansage, hier steckt ein Rennmotor in einem kompakten Chassis mit hübschem Gitterrohrrahmen und einer radikalen Fahrwerksgeometrie. Vorher empfand ich den Name "Brutale" als etwas unglücklich gewählt, aber nach dem Test kann ich nur sagen: Passt! Rein optisch lässt sich darüber streiten, ob das Motorrad nun brutal aussieht, ich empfinde das Design als durchaus gelungen und dem Charakter des Bikes entsprechend. Andere können sich mit dem ungewöhnlichen Heck samt riesigem Loch und geschwungenem Rücklicht nicht anfreunden, aber das bleibt Geschmackssache. Die Traditionsmarke MV Agusta erhebt den Anspruch, Premium-Marke zu sein und daher wollen sie sich durch außergewöhnliches Design von anderen Herstellern abheben, allein schon, um die ambitionierten Preise zu rechtfertigen.

Beim Design der Brutale 1000 RS rückt der Reihenvierzylinder in den Mittelpunkt und es scheint, als wäre das restliche Motorrad im ihn herum gebaut worden. Jedes Detail drückt Kraft aus. Seitlich betrachtet wirkt der Tank wie ein angespannter Bizeps, der vorne in die spitzen Ansaugschlünde des Luftfilterkastens ausläuft. Es herrscht Minimalismus ohne überflüssigen Firlefanz: ein winziger Vorderradkotflügel, ein nach hinten geneigter Rundscheinwerfer mit LED-Tagfahrleuchte und dank Einarmschwinge ein quasi frei stehender 200er-Hinterreifen. Kennzeichenträger und hintere Blinker mussten für die Straßenzulassung noch an die Schwinge geschraubt werden, auch wenn die Designer sie vermutlich am liebsten weggelassen hätten. Ein ungewohntes Detail an einem Naked Bike sind die Winglets seitlich des mächtigen Kühlers, wie sie durch die MotoGP bekannt geworden sind.

Ganz besonders gelungen sind die vier schlanken Auspuffrohre, zwei auf jeder Seite und hoch verlegt, um maximale Schräglagenfreiheit zu erreichen. Ihnen entströmt ein angenehm sonorer und im Stand erstaunlich leiser Sound. Im Gegensatz zu früheren Modellen gewisser italienischer Hersteller kann die Brutale 1000 RS bedenkenlos durch die Innenstadt ausgeführt werden, ohne die Wut der Anwohner auf sich zu ziehen.

MV Agusta Brutale 1000 RS (8 Bilder)

Mit 208 PS kann die MV Agusta Brutale 1000 RS jederzeit wie beim Katapultstart beschleunigen, aber auch lammfromm im höchsten Gang mit 2000 Touren bummeln.
(Bild: Ingo Gach)

Womit wir auch schon mittendrin im Test wären. Einen Transponderschlüssel besitzt die MV Agusta nicht und somit muss sich der Besitzer auch keine Sorgen vor Dieben machen, die das Funksignal abfangen könnten. Das Zündschloss sitzt versteckt unter dem TFT-Display und ist vom Sitz aus etwas fummelig zu bedienen. Die Startprozedur gestaltet sich erfreulich unspektakulär, der 998 Kubikzentimeter große Reihenvierzylinder springt auf den ersten Knopfdruck sicher an. Bei kaltem Motor ist der Leerlauf ein wenig erhöht, deshalb also schnell die hydraulische Kupplung gezogen, ohne Kraftaufwand den ersten Gang eingelegt und die Brutale 1000 RS setzt sich lammfromm in Bewegung.

Ich muss an dieser Stelle betonen, dass es sich um einen für die Rennstrecke entwickelten Motor aus der F4 1000 handelt, und deshalb können die Entwickler gar nicht hoch genug gelobt werden, dass er sich im sechsten Gang mit weniger als 2000/min ohne zu ruckeln durch die City bewegen lässt. In Anbetracht ihres extrem starken Motors lässt sich die MV Agusta verblüffend einfach chauffieren.

Die Sitzposition ist deutlich weniger radikal als auf der RR-Version, da die Lenkerenden deutlich höher und die Fußrasten tiefer platziert sind. So sitzt es sich wesentlich entspannter auf dem etwas dicker gepolsterten Sitzkissen. Zwar muss ich mich immer noch leicht nach vorne beugen, um die richtig gekröpften Griffe zu erreichen, aber so bringe ich auch mehr Gewicht auf das Vorderrad – bei 208 PS nicht ganz unwichtig. Völlig überflüssig ist hingegen der aufgepflanzte Soziussitz, der wie eine Warze auf einer Skulptur von Michelangelo wirkt. Abgesehen davon ist der Abstand zwischen dem winzigen Soziussitz und den Beifahrerfußrasten nur für Kleinkinder geeignet.

Selbst dichter Stadtverkehr stellt für die Brutale 1000 RS keine Herausforderungen dar. Sie lässt sich zielgenau steuern und problemlos abwinkeln. Lediglich eine ausgeprägte Dröhnfrequenz bei 3000/min nervt, die aber schon 300 Touren später vorbei ist. Der Motor geht im Sport-Modus weich ans Gas und setzt die elektronischen Befehle präzise um. Im Rain-Modus zeigt er sich merklich weniger spontan und mit gekappter Leistungskurve. Die Elektronik regelt dann schon im Ansatz ein Durchdrehen des Hinterrads herunter und das Kurven-ABS greift früh ein. Einen Road-Modus besitzt die Brutale gar nicht, vermutlich empfanden die Entwickler das unter der Würde ihres 208 PS-Bikes. Sogar in der City funktioniert der Quickshifter mit Blipper-Funktion – für Hoch- und Runterschalten ohne Kupplung – tadellos, sobald mehr als 20 km/h anliegen. Lediglich der knapp bemessene Lenkeinschlag, der das Rangieren erschwert, trübt das positive Gesamtbild etwas ein.