"Internet der Energie": Preissignale an der Steckdose

Das "Internet der Energie" soll einer Studie des BDI zufolge das Energieversorgungssystem umkrempeln.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 170 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Richard Sietmann

Für die Liebhaber von Schlagworten gibt es ja bereits ein "Internet der Dinge", warum also nicht auch ein "Internet der Energie"? Unter diesem Titel wurde heute in Berlin auf einer Strategiekonferenz des Münchner Kreises rund 200 Fachleuten aus Energiewirtschaft und -forschung die BDI-Studie über "Die Energiewirtschaft auf dem Weg ins Internetzeitalter" – so der Untertitel – vorgestellt.

Den Hintergrund bilden Veränderungen der wirtschaftlichen, technischen und ökologischen Rahmenbedingungen der Energieversorgung, namentlich der Elektrizitätswirtschaft. Die wirtschaftliche Liberalisierung der Energiemärkte hat die Anzahl der Akteure und die Komplexität der Marktprozesse deutlich erhöht, und Märkte brauchen Information über Angebot und Nachfrage. "Parallel dazu nimmt die Dezentralisierung der Energieerzeugung zu, nicht zuletzt durch die Fördermaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien", wie Professor Jörg Eberspächer vom Lehrstuhl für Kommunikationsnetze der TU München seitens des Veranstalters ausführte. Deren wetterbedingte Unzuverlässigkeit aber "verstärkt den Regelbedarf und belastet zunehmend die Netze". Wie die Netze jedoch aussehen sollen, die diese Herausforderungen meistern, ist selbst unter Fachleuten umstritten – klar ist nur, dass die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) in den neuen Strukturen eine zentrale Rolle spielen wird.

Zur Klärung hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) das insgesamt mit 140 Millionen Euro dotierte Förderprogramm E-Energy gestartet; 60 Millionen Euro steuert das BMWi bei, den Rest die Partner aus der Wirtschaft. In sechs Projekten sollen bis 2012 Beispiellösungen für die Verknüpfung von Energie- und Kommunikationsnetzen entwickelt werden. Ein zentraler Punkt in allen Projekten ist die Schaffung IKT-gestützter Marktplattformen für Haushalts- und Gewerbekunden. "Das Internet der Energie – es ist das virtuelle Abbild der physischen Energiewelt", versuchte Andre Quadt von der Aachener utilicount GmbH, federführend im Projekt Smart W@TTS, das Schlagwort mit Substanz zu füllen; es handele sich um "ein Energie-Web, in dem die Akteure in unterschiedlichster und immer wieder wechselnder Konstellation interagieren können, durchaus in Analogie zum Internet".

Die Aufrüstung der Verteilnetze mit IKT hatte unlängst bereits der VDE mit seiner Studie "Smart Distribution 2020" gefordert. Der heute vorgestellten BDI-Studie zufolge ergäbe sich in Deutschland jetzt sogar "eine historisch einmalige Chance" zum Handeln, denn große Teile der heutigen Energieinfrastruktur müssten ohnehin bald durch neue Erzeugungs-, Transport- und Verbraucherkomponenten ersetzt werden. So würden innerhalb der nächsten zehn Jahre Kraftwerke in der Größenordnung von knapp 50 Prozent der in Deutschland installierten Leistung das Ende ihrer technischen Lebensdauer erreichen, und im gleichen Zeitraum stünden in knapp einem Drittel der deutschen Haushalte umfassende Renovierungen an.

Hierfür bietet die BDI-Studie drei Szenarien als Treiber der Entwicklung an. Das erste fokussiert sich auf die Elektromobilität, den Einsatz von hybrid oder rein elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Dem "Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität" der Bundesregierung zufolge sollen bis zum Jahr 2020 mindestens eine Million am Stromnetz aufladbare "Plug-in"-Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen rollen. Erforderlich hierfür sei die Entwicklung von Energiemanagementsystemen in den Fahrzeugen sowie ihrer Anbindung an eine Kommunikationsinfrastruktur zwischen Fahrzeug und Versorger.

Den zweiten Treiber bildet die dezentrale Energieerzeugung als wesentlicher Schlüssel zur Reduzierung der CO2-Emissionen. "Die lastnahe Erzeugung von Wärme und Strom reduziert den eingesetzten Primärenergiebedarf um 60 Prozent gegenüber einer derzeitigen zentralen Erzeugungsstruktur", heißt es in der Studie. Heute stehe die Einführung der kleinskaligen Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) – also stromerzeugende Heizungsanlagen in Wohngebäuden – jedoch "noch ganz am Anfang". Den Durchbruch für "mikroKWK"-Anlagen, Brennstoffzellen und kleine Blockheizkraftwerke könnte auch hier IKT in Gestalt dezentraler Energiemanagementsysteme zur Kopplung von Erzeugern und Verbrauchern bringen.

Als drittes Szenario wird schließlich der Energiehandel in den Blick genommen. Last- und zeitabhängige Tarife würde die bisherigen Tarife mit starren Verbrauchspreisen sukzessive ersetzen. "Anstelle von Fixpreisen wird ein zunehmend dynamischer, marktbasierter Energiehandel etabliert, dessen Preisbildungsmechanismen einen effizienten Umgang mit Energie fördern" – Preissignale aus der Steckdose sozusagen, auf die der Kunde mit SmartHome-Techniken zur Energieoptimierung im Haushalt reagieren kann. Kunden, denen das zu kompliziert wird, könnten auf "spezialisierte Energiebroker" zurückgreifen, die ihnen diese Aufgabe abnehmen. Für solche Dienstleister würde das Geschäft noch interessanter, wenn die Kunden ihnen "entgeltlich" das Recht gewähren, bestimmte Teile ihrer Verbrauchs- oder Erzeugungsgeräte fernzusteuern. "Im Internet der Energie", so die BDI-Studie, "wird jeder Erzeuger und Verbraucher selbst entscheiden können, ob, für wen und in welchem Umfang er seine Geräte freigibt".

Zum Thema Energieversorgung siehe auch:

(Richard Sietmann) / (ea)