Überzeugende deutsche Elektroautos auf der IAA – endlich geliefert!
Erstklassige E-Autos lassen Bedenken verpuffen. Politik und Industrie argumentieren im Widerspruch zur Qualität dieser Produkte, meint Christoph M. Schwarzer.
Der VW ID. Cross auf der IAA 2025, ein rundum alltagstaugliches Elektroauto mit großem Kofferraum.
(Bild: Florian Pillau)
- Christoph M. Schwarzer
Bei BMW beginnt mit der Neuen Klasse eine neue Ära: Der iX3 und die noch folierte Limousine i3 sind exzellente Elektroautos. Der iX3 ist so gut, dass den Kritikern des Fahrens mit Strom langsam die Argumente ausgehen dürften. Im Volkswagen-Konzern ist die Lage ähnlich: Die Familie der Kleinwagen vom VW ID. Polo bis zum Skoda Epiq ist maßgeschneidert für den europäischen Durchschnittskunden. Diese Elektroautos sind im besten Sinn normal, bekommen aber einen abnormal großen Kofferraum. Mercedes stellt nach dem CLA den GLC EQ vor. Das SUV ist der weltweit meistverkaufte Pkw mit Stern – und ist als GLC EQ erstmals als Elektroauto zu haben.
Das Problem: Diese an sich erstklassige Produktoffensive steht im Widerspruch zu dem, was Industrievertreter und Politik öffentlich fordern. Wie und was der Branchenverband ACEA (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles) kommuniziert und von den regierenden Unionsparteien (CDU und CSU) in Deutschland unterstützt wird, ist irgendwo zwischen unverständlich und peinlich zu verorten.
Der alte Widerspruch war, dass die deutsche Autoindustrie Elektroautos angekündigt hat, aber nur unzureichend lieferte. Der neue Widerspruch dieser IAA ist, dass die Elektroautos sehr überzeugend sind und dieser Vorteil von den Lobbyorganisationen und der Politik schlechtgeredet wird. Es ist absurd.
In zehn Minuten 372 km Reichweite
Beispiel BMW iX3: Die Reichweite im Messverfahren WLTP beträgt bis zu 805 km. Die Traktionsbatterie hat einen Energieinhalt von knapp 109 kWh. Beim Ladestopp ist der Hub von zehn auf 80 Prozent in 21 Minuten erledigt, denn die durchschnittliche Netto-Ladeleistung liegt bei rund 217 kW. In zehn Minuten ist Strom für 372 km nachgeladen. Jeder möge für sich prüfen, ob das ausreichend wäre – und sich zugleich bewusst sein, dass selbst diese Ladeperformance nur eine Zwischenstufe ist. In den kommenden Jahren wird es weitere Fortschritte geben.
(Bild: BMW)
Ähnlicher Preis, vierfache Steuer beim Dieselmotor
Das Ganze gibt es im BMW iX3 50 xDrive ab 68.900 Euro. Inbegriffen sind zwei Antriebsmotoren mit einer Systemleistung von 345 kW, die das SUV in 4,9 Sekunden auf 100 km/h und weiter auf bis zu 210 km/h beschleunigen. Eigentlich ist das verrückt schnell. BMW wird weniger teure Varianten nachschieben. Vielleicht für 65.000 Euro, vielleicht für 60.000 Euro. Zum Vergleich: Ein X3 20d xDrive mit 145 kW starkem Dieselmotor kostet ab 62.300 Euro. Angesichts der vierfachen Dienstwagensteuer auf den Selbstzünder ist die Frage: Wer kauft noch den X3 20d? Angeblich jene Kunden, die einen Anhänger ziehen müssen. Tatsache ist jedoch, dass die Zuglast beim iX3 mit 2000 kg nicht mehr abgeschlagen hinter dem X3 mit 2500 kg liegt. Übrigens kann ein Mercedes GLQ EQ 2400 kg schleppen, und beim Kia EV9 oder beim Hyundai Ioniq 9 sind es 2500 kg.
DC-Wallbox für 2175 Euro
BMW macht noch mehr. Während der Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse nicht müde wird, die "Technologieoffenheit" zu fordern – sprich: den Weiterbau des Verbrennungsmotors, bis ihn keiner mehr haben will –, steht in der Preisliste der Neuen Klasse ein weiteres Feature, das ungewöhnlich ist: eine aufs bidirektionale Laden ausgelegte DC-Wallbox für 2094 Euro. Hört sich nach Wucher an. Aber eine Wallbox, die mit Gleich- statt Wechselstrom (DC statt AC) arbeitet, war bis vor Kurzem angeblich nicht für unter 10.000 Euro, danach 5000 Euro oder zuletzt 3000 Euro realisierbar.
(Bild: BMW)
Nun steht sie unspektakulär für 2094 Euro in der BMW-Preisliste, und kaum jemand hält das für erwähnenswert, obwohl das bidirektionale Laden einen fetten Beitrag für die Energiewende leisten kann. Die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden wird auch die Familie der Kleinwagen haben, die der Volkswagen-Konzern zur IAA mitgebracht hat: Der VW ID. Polo und der VW ID. Cross, der Skoda Epiq und der Cupra Raval. Das Volkswagen-Unternehmen Elli führt zur IAA eine bidirektionale DC-Wallbox von Ambibox aus Mainz vor.
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Volkswagen: Kleine Elektroautos, großer Kofferraum
Für Volkswagen ist es nach dem VW e-Golf und dem VW e-Up (Dauertest) sowie später der ID-Serie (seit 2020) die dritte Generation der Elektroautos. Bei Design und Bedienung geht es zurück zu den Wurzeln. Bei der Konstruktion haben die Entwickler die Vorteile des elektrischen Antriebs genutzt. Besonders gelungen ist die Raumökonomie: Das Kofferraumvolumen verteilt sich zum Beispiel im VW ID. Cross auf 450 Liter hinten plus 25 Liter vorn.
(Bild: Florian Pillau)
Der für diese Klasse riesige Kofferraum ist einer Mulde zu verdanken, die hinter der Hinterachse sitzt. Vorbild: Tesla. Volkswagen hat durch manipulierte Abgaswerte von Dieselmotoren zu Recht harte Kritik auf sich gezogen und viele Milliarden Euro bezahlt. Die Elektroautos von heute beweisen: Volkswagen hat die Botschaft verstanden.
Mercedes vor der Wende
Der dritte verbliebene deutsche Autokonzern ist Mercedes. Mercedes handelt spät. Die derzeitige Palette der Elektroautos vom EQA (Test) und EBQ über EQE und EQS, den dazugehörigen SUVs sowie des Vans EQV wird bis 2027 abgelöst. Positiv formuliert waren das Übergangsmodelle. Was jetzt kommt, sind nach dem CLA und dem GLC (zwei extrem wichtigen Baureihen für Mercedes) der EQA und der EQB (2026) sowie die elektrische C- und E-Klasse inklusive T-Modellen ab 2027. Alles wird neu. Solange es das aber noch nicht ist, positioniert sich der Vorstandsvorsitzende Ola Källenius, der in Personalunion Präsident der ACEA ist, als Verfechter der sogenannten Alternativen zum Elektroauto – wohl wissend, was dies Mercedes mittelfristig bringt.
Den Plug-in-Hybrid gegen jede Vernunft verteidigen
So fordert er als ACEA-Präsident unter anderem, die Verschärfung der Grenzwerte für Plug-in-Hybridautos (Stichwort: "Nutzungsfaktor" oder Utility Factor) aufzuheben. Kein Wunder, weil Mercedes genau damit bis 2027 durchkommen muss. Källenius hat die Rückendeckung der deutschen Unionsparteien. Für die Unternehmen, deren Geschäftsbasis das Elektroauto ist, sind solche Forderungen ein Problem: Die Planungssicherheit wird beschädigt. Die Infrastrukturbranche, aber auch Fahrzeughersteller wie Polestar und Volvo, bitten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem offenen Brief, standhaft zu bleiben und die CO₂-Limits nicht aufzuweichen. Pikant: Mercedes braucht die Elektroautos von Polestar und Volvo, um über die gemeinsame CO₂-Bilanzierung ("Pooling") straffrei zu bleiben.
(Bild: Mercedes )
Die Bestandsaufnahme auf der IAA 2025 ist hingegen eindeutig. Dort hat die deutsche Autoindustrie Elektroautos präsentiert, die wohl jeden Interessenten zumindest zum genauen Hinschauen bewegen. Und die Konkurrenz? Die stellt die Elektroautos zwar auf dem Open Space außerhalb der Kern-IAA aus. Sie ist trotzdem so gut, dass es sich die heimischen Hersteller niemals leisten könnten, kein Angebot zu machen. Es gehört elementar zur Analyse der IAA: Wer keine Elektroautos verkauft, geht unter. Der Wettbewerb ist inzwischen sehr stark.
Vollsortimenter Hyundai, Renault
Zum Beispiel Hyundai mit der dazugehörigen Konzernmarke Kia. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die Lücken im Sortiment schließen. Der kommende Ioniq 3 etwa bedient das B-Segment und wird ein anderer Charakter als das SUV Kia EV3. Es ist außerdem der Verdienst der Südkoreaner, ein Batteriesystem mit 800 Volt Spannung demokratisiert zu haben. Die Ioniq 5, 6 und 9 haben es. Der Van Staria bekommt es vermutlich in Kürze.
(Bild: Hyundai)
Nicht zu vergessen Kia EV6 (Test) und EV9. Der Hyundai-Konzern hat viele Erfahrungen gesammelt (mit der Ladeeinheit ICCU leider nicht nur gute), und es ist offensichtlich, dass die Plattform e-GMP irgendwann verbessert wird. Noch schneller, noch effizienter.
Zu den Vollsortimentern gehört auch Renault, wo man spätestens auf der Paris Motor Show (Ausrichter der IAA ist schließlich der deutsche VDA) im Herbst 2026 den Twingo vorstellen wird und nebenbei auch etliche Nutzfahrzeuge im Portfolio hat.
(Bild: Renault)
Die Gegenargumente gehen aus
Dass ausgerechnet BYD, Weltmarktführer bei Elektroautos, mit dem zweifelhaften Plug-in-Hybrid Seal 6 nach München kommt, gehört zu den Skurrilitäten der IAA: Ein Batteriespezialist mit Verbrennungsmotor? Das passt auf den ersten Blick nicht zusammen. Die chinesischen Marken werden stärker werden, auch wenn sie zurzeit beim Vertrieb in der Findungsphase sind und wenige Fahrzeuge verkaufen.
Zurück zum Ausgangspunkt, dem BMW iX3 der Neuen Klasse. Er steht für die Gesamtschau. Alles, was in dieser Preisklasse heute die Messlatte ist, folgt morgen in die Segmente darunter. Reichweite? Überreichlich. Ladezeit? Kurz. Preis? Nicht höher als beim Pendant mit Verbrennungsmotor. Anhängelast: vorhanden. Gegenargumente?
Das Elektroauto ist 2025 dort angekommen, wo Euphoriker es gerne schon 2015 gesehen hätten. Auch jetzt sind Elektroautos keineswegs am Ende ihrer Entwicklung angekommen; das Gegenteil ist der Fall – es geht erst richtig los. Denn das gehört zur Wirklichkeit: Der Marktanteil liegt bei circa 20 Prozent. Vier von fünf Neuwagen haben also einen Verbrennungsmotor. Auch diese Pkw werden voraussichtlich 15 bis 20 Jahre auf den europäischen Straßen fahren, sofern ihnen über die absehbar steigenden Spritpreise nicht vorher der Saft vorenthalten wird.
(mfz)