Kawasaki W 230 Test: Retro nah am Leichtkraftrad
Die Kawasaki W 230 ist ein bildhübsches Retro-Bike mit luftgekühltem Eintopf. Das neu erschienene Leichtgewicht ist flotter, als man seinen 18 PS glaubt.
Die schmalen Reifen und das geringe Gewicht geben der W 230 ein ausgesprochen agiles Handling.
(Bild: Ingo Gach)
- Ingo Gach
Auch wenn die meisten Fahrer am ehesten den Buchstaben "Z" mit Kawasaki-Modellen verbinden, hat das "W" eine alte Tradition bei der heute giftgrünen Marke. Bereits 1965 erschien die 650 W1 mit einem Paralleltwin, der 50 PS leistete und der englischen BSA A7 wohl nicht nur zufällig ähnlich sah. Heute gedenkt Kawasaki seiner Anfänge im Motorradbau mit der W 230, einem kleinen, aber sehr gelungenen luftgekühlten Einzylinder, der direkt aus den 60er Jahren entsprungen zu sein scheint. So viel schicke Nostalgie wollten wir uns keinesfalls entgehen lassen. Die neue Kawasaki bestätigte ziemlich gekonnt den Gedanken, dass man keineswegs ein teures Motorrad der Superlative braucht, um genussvoll fahren zu können.
Ein Sitzbank, die ihren Namen verdient
Der tropfenförmige Tank der W 230 mit dem prägnanten "W" an der Flanke schmiegt sich auf einen schwarz lackierten Stahlrahmen mit seinen beiden Unterzügen. Ihre Sitzbank hat den Namen noch verdient, sie ist dick gepolstert und langgezogen, mit viel Platz für Fahrer und Sozia. Ganz nostalgisch hat die Kawasaki noch Faltenbälge an der Telegabel und hinten zwei Federbeine. Ein Rundscheinwerfer, der von einem Chromring eingefasst ist, und ein fettes Rücklicht sowie große Blinker zeugen vom Spirit der 60er Jahre. Zwei analoge Rundinstrumente, ein Peashooter-Auspuff, weit über die Räder reichende Kotflügel und Drahtspeichenfelgen runden das Erscheinungsbild ab.
Nur 18 PS, aber auch nur 143 kg
Befeuert wird das Retro-Bike von einem 233 cm3 großen Einzylinder mit einem fast quadratischen Bohrung-Hub-Verhältnis von 67 x 66 mm. Das luftgekühlte Motörchen mit zwei Ventilen leistet 18 PS bei 7000/min. Das klingt heutzutage nach Luftpumpe, aber die mit 143 kg leichtgewichtige W 230 macht es dem Motor leicht. Beim Losfahren muss ich wegen des langen ersten Gangs die Kupplung zwar mit Gefühl kommen lassen, weil sonst Abwürgen droht, aber dann dreht der Einzylinder überraschend rasant hoch. Wer fleißig das Sechsganggetriebe schaltet und den Gasgriff auf Anschlag dreht, kommt flotter vorwärts als erwartet. Fahrmodi finden sich an dem kleinen Retro-Bike nicht und das einzige elektronische Assistenzsystem ist das gesetzlich vorgeschriebene ABS.
Old-School-Sitzhaltung
Die Sitzposition ist gewöhnungsbedürftig, ich hocke in lediglich 745 mm Höhe und habe die Füße relativ weit vorn geparkt, sodass meine Oberschenkel sich fast parallel zum Boden befinden. Auf der W 230 wird sicher niemand Probleme haben, die Füße auf den Boden zu bekommen. Der verchromte Lenker ist hoch gekröpft und reicht weit nach hinten. Trotz der Old-School-Sitzhaltung gibt sich die Kawasaki erstaunlich handlich, dank eines Radstands von 1415 mm und eines Nachlaufs von nur 99 mm. Sie lässt sich spielerisch einlenken, wobei hier auch die sehr schmale Bereifung hilfreich ist. Vorn rollt sie auf der Dimension 90/90-18 und hinten auf 110/90-17. Es macht mächtig Spaß, mit der W 230 durch den Verkehr zu wuseln und sie um Kurven zu scheuchen.
Kawasaki W 230 Test Details (9 Bilder)

Ingo Gach
)Telegabel mit 37 mm Durchmesser
Ein paar Abstriche muss der Fahrer beim Fahrwerk machen, es ist nicht einstellbar, abgesehen von der Federvorspannung hinten. Die Rohre der Telegabel mit ihren 117 mm Federweg haben gerade mal 37 mm Durchmesser. Sie arbeitet bei ebenem Asphalt zwar durchaus anständig, hat bei Löchern aber Probleme, sie sauber zu schlucken, das gilt auch für die zwei Federbeine mit nur 95 mm Arbeitsweg. Die W 230 ist natürlich eher auf komfortables Cruisen ausgelegt, dennoch schlägt sie sich im Kurvengeschlängel erstaunlich wacker. Auf der Landstraße gilt es, mit der kleinen Kawasaki nie den Schwung zu verlieren, also mit viel Geschwindigkeit in die Kurve einzubiegen und den Speed mitzunehmen. Das funktioniert auf der W 230 ausgesprochen gut und bald ertappe ich mich dabei, die Schräglagengrenze auszuloten. Das Limit setzen hier die Reifen von IRC, die zwar vom Profildesign perfekt zum Retro-Bike passen, aber eigentlich nicht für sportliche Einsätze gedacht sind.
Bremse verzögert besser als befürchtet
Der einzelne Doppelkolben-Schwimmsattel mit 265-mm-Bremsscheibe von Nissin am Vorderrad verzögert besser als befürchtet, lässt allerdings einen klaren Druckpunkt vermissen. Die hintere Bremse unterstützt dezent mit einem der größten Bremspedale, die ich je an einem Motorrad gesehen habe. Wer so oft wie möglich die leichtgängige Schaltung nutzt, ist auf dem 18-PS-Bike schneller unterwegs, als er vorher für möglich gehalten hätte. Die W 230 erreicht 113 km/h Höchstgeschwindigkeit und wird damit eher selten auf der Autobahn zu sehen sein. Ihr Testverbrauch von nur 2,6 Liter auf 100 km ist rekordverdächtig niedrig. Deshalb reicht ihr 12-Liter-Tank für eine Reichweite von beachtlichen 462 km.
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Günstiges Retro-Bike
Die W 230 kostet schlanke 4995 Euro und wendet sich an Einsteiger, bewusst Bescheidene und Nostalgie-Fans. Allerdings werden Schwergewichte und Menschen über 1,90 m auf dem zierlichen Bike wohl nicht glücklich werden. Alle anderen können sich über ein herrliches Retro-Bike freuen, das die Blicke auf sich zieht und das zu ausgesprochen geringen Betriebskosten.