Affäre um Überwachungsmaßnahmen in den USA schlägt weiter hohe Wellen

Auch nachdem US-Präsident George W. Bush am Wochenende die umfangreiche Sammlung von Telefonverbindungsdaten verteidigt hat, regt sich weitere Kritik. Deutsche Bürgerrechtler nehmen die Affäre zum Anlass, zu einem Umdenken in Europa aufzurufen.

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Nach den ersten Berichten der Tageszeitung USA Today über die umfangreiche Sammlung von Telefonverbindungsdaten beim Geheimdienst National Security Agency (NSA) fordert eines der Mitglieder der Telecom-Aufsicht Federal Communication Commission, Michael J. Cobbs, eine Untersuchung der Angelegenheit. In einer Mitteilung (PDF-Datei) schreibt er, jüngste Zeitungsberichte erweckten den Eindruck, einige der größten Telekommunikationsunternehmen würden die Verbindungsdaten ihrer Kunden der Regierung übergeben. Es sei nicht zu bezweifeln, dass der Schutz der US-Bürger bei der Regierung höchste Priorität hat. In einem digitalen Zeitalter, in dem die Sammlung, Verteilung und Manipulation von Verbraucherdaten so einfach wie ein Tastendruck sei, sei der Schutz der Privatsphäre umso wichtiger. Daher solle die FCC eine Untersuchung in Gang setzen, ob die Telecom-Unternehmen Abschnitt 222 des Communications Act, der den Schutz von Kundendaten behandelt, oder andere Bestimmungen verletzt haben.

US-Präsident George W. Bush hatte am Samstag in einer Radioansprache zu den Berichten über die Datensammlung der NSA gesagt, die Aktivitäten zielten allein auf al-Qaida und ihre Verbündeten. Die Geheimdiensaktionen, die er autorisiert habe, seien rechtens und republikanischen wie demokratischen Kongressmitgliedern mitgeteilt worden; die Privatsphäre der US-Bürger werde strikt geschützt, ihr Privatleben werde nicht ausgekundschaftet. Nach den Untersuchungen zu den Attentaten vom 11. September 2001 habe sich gezeigt, dass die US-Regierung es in den Jahren zuvor verpasst habe, Verbindungen zwischen den Attentätern aufzudecken, sagte Bush weiter. "Wir wissen jetzt, dass die Entführer von den USA aus mit al-Qaida-Mitgliedern im Ausland telefoniert haben, doch wir wussten nichts von ihren Plänen, bis es zu spät war."

Verizon Communications, dem neben AT&T und BellSouth von Bürgerrechtlern vorgeworfen wird, Verbindungsdaten an die NSA weitergereicht zu haben, wurde unterdessen laut US-Medienberichten von zwei Anwälten aus dem US-Bundesstaat New Jersey verklagt. Bruce Afran und Carl Mayer fordern von dem Unternehmen 5 Milliarden US-Dollar Schadensersatz, da es Datenschutzbestimmungen verletzt habe. Das Gericht solle Verizon untersagen, der NSA weiterhin Daten auszuhändigen. Organisationen wie die Maine Public Utilities Commission und die Bürgerrechtler der American Civil Liberties Union verlangen eine Aufklärung der Hintergründe.

BellSouth, ein weiteres Telekommunikationsunternehmen, das Daten an die NSA ausgehändigt haben soll, weist die Vorwürfe indes zurück. Nach internen Untersuchungen habe sich ergeben, dass keine Absprachen des Unternehmens mit der NSA existierten, heißt es in einer Mitteilung. Es seien keine großen Mengen Nutzerdaten an die NSA weitergegeben worden.

Deutsche Bürgerrechtsorganisationen fordern vor diesem Hintergrund ein Umdenken in Europa. "Die EU-Staaten haben im Februar 2006 ebenfalls eine systematische und verdachtslose Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung beschlossen. In Deutschland hätten nicht nur Strafverfolger Zugriff auf die Kommunikationsdaten, sondern auch Geheimdienste aufgrund des 'Terrorismusbekämpfungsgesetzes'", schreiben sie in einer Mitteilung. "Sollten die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden, sind Missbräuche der Daten zu erwarten. Zahlreiche Beispiele in der Vergangenheit zeigen, dass sich der Missbrauch geheimer Überwachungsbefugnisse nicht verhindern lässt."

Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sieht den Verzicht auf die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung als die einzige Möglichkeit, um Missbräuche der Kommunikationsdaten effektiv zu verhindern. Bettina Winsemann von der Datenschutzinitiative STOP1984 fügt an, Datenvorräte, die bei Bedarf abgesucht werden können, weckten hierzulande Assoziationen mit den Stasi-Akten der DDR. Für eine weitere Fortentwicklung des demokratischen Staates sei es wichtig, dass der Bürger sich frei und unbeobachtet in seiner Kommunikation fühlen kann. Ralf Bendrath vom Netzwerk Neue Medien kritisiert die geplanten Auskunftspflichten an die Musikindustrie: "In den USA gerät die Regierung gerade unter Feuer, weil sie im Zuge der Terrorismusbekämpfung Millionen unverdächtiger Amerikaner bespitzelt. Hierzulande will die Bundesregierung das gleiche sogar privaten Unternehmen bei mutmaßlichen Bagatelldelikten erlauben. Dieses Vorhaben liegt jenseits aller legitimen Strafverfolgungsbedürfnisse und schädigt das Vertrauen der Verbraucher in das Internet nachhaltig."

Die Affäre weitet sich anscheinend auch auf andere Schauplätze aus. Die ABC-Mitarbeiter Brian Ross und Richard Esposito schreiben in einem Blog-Eintrag, Bundesermittler hätten ihnen berichtet, die Regierung verfolge ihre Telefonnummern, um vertraulichen Quellen auf die Spur zu kommen. ABC News wisse nicht, woher die Verbindungsdaten stammen und ob sie Teil der von der NSA angelegten Datenbank seien. Andere Quellen hätten Ross und Esposito mitgeteilt, die Überwachungsmaßnahmen fänden, ähnlich wie beim jüngsten Skandal um Journalistenüberwachung durch den BND, im Rahmen einer groß angelegten Untersuchung der CIA auf der Suche nach Informationslecks statt, vermutlich im Zusammenhang mit Berichten über geheime Gefängnisse in Rumänien und Polen. Ein Informant habe ihnen dazu geraten, sich neue Mobiltelefone anzuschaffen.

Siehe dazu auch: (anw)