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Was war. Was wird.

So richtig entspannt vermutet Hal Faber, dass es nur am richtigen Wein und der richtigen Musik liegt, ob der Fänger im Roggen auch die lustigsten Meldungen aus der IT-Branche zu würdigen weiß.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ach ja, in der Sonne sitzen. Brian Eno besingt "Just Another Day on Earth", ein Riesling stellt angesichts der Wärme einen angenehmen Ersatz für den geliebten Vino Nobile dar. So stelle ich mir dann wirklich entspanntes Deutschsein vor – es könnte aber von mir aus auch so ziemlich jedes andere Xsein meine gute Laune befördern. Hauptsache, das Wetter, die Musik, der Wein und die Leute machen mit. Hauptsache, all diese entspannten Patrioten, die zu viel Matussek gelesen haben und all zu gerne Zwangsjubel verordnen würden, lassen mich in Ruhe – und einen entspannten Deutschen oder was auch immer sein.

*** Aber so ist das mit dem Entspanntsein: Es gelingt nur, wen man nicht zwanghaft entspannt sein will. Das schafften vielleicht all die Partygänger während der WM – nur die Kommentatoren, die die Party mit Bedeutung aufluden, die wirkten so gar nicht entspannt. Aber nun gut: Das wars. Platz drei im Turnier und ein verbesserungsbedürftiger Platz eins bei der Sicherheit. Projektleiter Klinsmann ist auf dem Weg nach Kalifornien, während Oliver Bierhoff die letzten goldenen Laptops der WM signiert. Allein Angela Merkel ist ganz oben, auf dem Integrationsgipfel nach dem Ostseeabstecher von US-Präsident Bush. Der nichtintegrative Zinedine Zidane ist auf dem Weg nach Algerien, seine Wurzeln suchen. Und Tausende von afrikanischen Fischerbooten sind auf dem Weg nach Europa, wo ihre Arbeitskraft in den überalternden Staaten dringend gebraucht werden wird. Deutschland hat gefeiert und nicht getrauert, obwohl wir, vom Kaiser "gebrieft", den kalten Wind der Geschichte ertragen müssen: "Eine WM im eigenen Land erlebe ich nie mehr." Anlässe sind aber genug da, dass Deutschland weiter feiern kann, etwa die Love Parade oder der Wissenschaftssommer 2006. Das Sommerloch kann warten. Und bis zum Jahresende freuen sich die Berliner, dass ihr Turm am Alexanderplatz noch so hübsch als Fußball verkleidet ist.

*** Das mit dem Feiern – entspannter Deutscher hin oder her – funktioniert freilich nur, wenn man den richtigen Ticker liest, den mit den lustigen Meldungen, nicht den mit der Chronik der Abgelenkten. Denn sonst ist die Stimmung schnell dahin in einem Land, in dem die Unternehmen nicht genug entlastet werden und die Unternommenen nur noch weltmeisterliche DNA-Massentestrekorde feiern können. Nach und nach wird der Kreis erweitert, der kein Kreis mehr ist, sondern die Grenzen der BRD nachzeichnet. Wie überhaupt in deutschen Erweiterungen immer Zumutungen stecken. Nehmen wir nur das Terrorbekämpfungsergänzungsgesetz und die Erläuterungen zu den Erfolgen mit dem alten, unerweiterten "Otto-Katalog". Denn der war nur Gürtel, Hosenträger und ein Fallschirm. Gebraucht werden Hosen, Jacke, Kampfstiefel, Halfter mit Gewehr und eine ordentliche Datenbank anstelle des Gehirns.

*** Auf ihre Art und Weise stellten Gürtel, Hosenträger und Fallschirm trotzdem sicher, dass alle Sachbearbeiter, die mit A2LL das Arbeitslosengeld II berechnen, sicherheitsüberprüft wurden. Nicht auszudenken, hier würden Hassprediger an den Schreibtischen der Bundesagentur für Arbeit sitzen und Hass mit falschen Bescheiden säend den Sozialfrieden sabotieren! Gut, dass das Ergänzungsgesetz die Inlandsaufklärung ausweitet und den Sabotagegedanken ausbaut. Seien wir ehrlich: Wer kann es schon verantworten, wenn die Mautdaten nur zum Zwecke der Mauterhebung erhoben werden und nur 10 Prozent der Mautbrücken aktiv sind. Hier ist eine PPP, eine Police Private Partnership vonnöten, die dumme Zweckbindung aufzuheben: Terroristen können Tankzüge voller Chemie durch die Gegend karren! Wenn es knallt, muss man unbedingt wissen, ob die Maut ordnungsgemäß entrichtet wurde.

*** Bleiben die lustigen Nachrichten. Wir können beispielsweise mit Microsoft feiern: Beim Zwangsgeld von 280 Millionen Dollar hat die EU nicht mit 2, sondern nur mit 1,5 Millionen Dollar Tagesgeld gerechnet. Das darum, weil Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes die Kooperationsbereitschaft und konstruktive Haltung des Unternehmens honorierte. Zum 24. Juli, wenn die Tagesstrafe auf 3 Millionen erhöht werden soll, sind sicher konstruktive Rabatte möglich: Die vollständigen und genauen Schnittstellendefinitionen von Windows sind offenbar mehr wert als die Zwangsgelder, gegen die ohnehin geklagt wird. Viele IT-Nachrichten sind darum so lustig, weil die wahren wirtschaftlichen Interessen gerne ausgeblendet werden. Sehr schön ist dies bei der Diskussion der Softwarepatente zu sehen, die diese Woche wieder ein schwer umkämpftes Gebiet waren. Da geht es zu wie im Libanon vor zwanzig Jahren. Wenn aber Firmen wie Palm und Xerox nach hartem Kampf einen Nichtangriffspakt schließen, wenn – um mal ein nicht aktuelles Beispiel zu nehmen – Samsung und Sony sich austauschen, sichern sich Konzerne Wettbewerbsvorteile, die ihr gutes Geld wert sind, aber nicht einmal versteuert werden müssen.

*** Schließlich sind IT-Nachrichten kurzlebig. Die Zahl derer, die meine Wochenendkommentare für einen ausgemachten Blödsinn halten und mich für einen Idioten, ist groß. Aber das macht nichts. Montag ist alles vorbei im Forum. Nach 36 Stunden haben selbst die schäumendsten WWWW-Leser das WWWW wieder vergessen und schauen am nächsten Wochenende vorbei, um sich ein neues Schäumchen zu holen. Bei den schweren Fällen dieser Art müsste ich eigentlich anbieten, mich an das Bett des Patienten zu setzen, was leider unmöglich ist. Wer die Spesenabrechnung des kleinen Verlages in der norddeutschen Tiefebene kennt, der weiß, dass alles außer Radeln geschäftsschädigend ist. Eigentlich müsste es eine Heisetour wie eine Wikitour geben.
Aber
auch
dort
fährt
niemand
mit.

*** Ich bin übrigens nicht lernresistent. Vor einiger Zeit gab es ein WWWW, in dem ich über den Fänger im Roggen lästerte. Das Buch über einen gewissen Holden Caulfield trieb mich in meiner Schulzeit aus dem Leistungskurs Deutsch in einen Leistungskurs, der damals Boolesche Algebra hieß: Informatik wäre zu obszön gewesen. Ein heftiger Protest war die Folge. Ich lernte eine lesbare Version und danach das Original kennen und darf mich nun revanchieren: Heute vor 55 Jahren erschien eben dieser Fänger im Roggen, ein Roman mit einer reichlich seltsamen Rezeption im deutschen Sprachraum. Das nerdige Lieblingsbuch von Bill Gates (leider nicht online, aber zitierfähig: "One of my favorite books from childhood is The Catcher in the Rye by J.D. Salinger. I have read it so many times that I can quote large portions of it from memory.") entstand, nachdem Salinger seine Holden-Caulfield-Geschichten im Jahr 1941 erfolgreich an The New Yorker verkauft hatte, der sie zu Weihnachten veröffentlichen wollte. Dann bombardierte die japanische Luftwaffe Pearl Harbour und die "harmlosen Geschichten" wurden gestrichen. Salinger meldete sich zum Militärdienst und wurde bei der Landung in der Normandie und bei der Ardennenoffensive eingesetzt. Seine Familie fand ihn später in der Psychiatrie der US-Armee in Nürnberg. "Ich werde mich zwingen zu glauben, dass alle Menschen nur Monster aus 'Doom' sind" ist vielleicht ein Bisschen das Gegenteil zu dem verzweifelten Fänger, der ausreißen will, von seiner Schwester begleitet. Oder ist der Fänger ein Bruder?

Was wird.

Pa, und das soll entspannt sein? ENTSPANNT? PAA! Genau, PAA, es ist an der Zeit, den Personal Art Assistant kennenzulernen! In der kommenden Woche wird in der Kunsthalle der Bundesrepublik Deutschland zu Bonn "The Guggenheim Collection" eröffnet, komplett mit dem Personal Art Assistant der deutschen Telekom, ein interaktives multimediales Museumserlebnis, mit dem jeder Besucher die Kunstwerke "abfotografieren" und annotieren kann. Warum in der Ankündigung der Supershow das Abknippsen in Gänsefüßchen steht, wird sich zeigen – noch ist der Personal Art Assitent hochgeheim. Mal eben Kunst mit einem Klick auf die geflickrten dunklen und düsteren Seiten des Web 2.0 zu stellen, kann nicht im Sinne der Ausstellungsmacher liegen. Schließlich sollen viele, viele Guggenheims in aller Welt entstehen, als Wal-Mart der Art. Mit authentischer Kunst, die es nirgends sonst gibt. Wo kämen wir sonst hin mit den Kunstwerken im Zeitalter des Digital Rights Management?

Das bringt mich zum Sommerrätsel im Sommerloch. Im vergangenen Jahr kam die Rätselei sehr gut an, trotz einiger technischer Mistigkeiten. Wer nicht in Muße an einem Baggersee eines der vielen "WM-2006-Bücher" lesen will, ist hier im WWWW gut aufgehoben. Und die Auflösung gibt es innerhalb von 36 Stunden, ehe jeder vergessen hat, was denn zum Teufel ein WWWW ist.
Zum Warmlaufen die kleine Frage: Wie heißt dieses kleine Tierchen, das das Bild rechts zeigt (ein Klick fördert eine vergrößerte Ansicht zu Tage), denn im Original und was kann es? (Hal Faber) / (jk)