Neuer Protest gegen ISO-Zertifizierung von Microsofts OOXML

Regierungsvertreter aus Brasilien, Ecuador, Kuba, Südafrika und Venezuela haben der Genfer Normierungsorganisation in einer offenen Erklärung einmal mehr das Beugen der eigenen Regeln beim Absegnen des Dokumentenformats vorgeworfen.

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Regierungsvertreter aus Brasilien, Ecuador, Kuba, Südafrika und Venezuela haben gegenüber der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und ihrer Schwesterorganisation IEC (Internationale elektrotechnische Kommission) in einer offenen Erklärung einmal mehr ihren Unmut über das umstrittene Verfahren zur Normierung von Office Open XML (OOXML) zum Ausdruck gebracht. Die beiden Gremien hätten ihre eigenen Regeln "gebeugt", heißt es in einer im Rahmen des Congresso Internacional Sociedade e Governo Eletronico (CONSEGI) in Brasilien verabschiedeten Protestnote. Die empörten Schwellenländer gehen so weit, dass sie den künftigen Einsatz von ISO-Normen in ihren Verwaltungen in Frage stellen.

Ende Mai hatten Brasilien, Indien, Südafrika und Venezuela offiziell Einspruch gegen die Zertifizierung des umfangreichen Dokumentenformats von Microsoft eingelegt. Sie monierten vor allem, dass bei der Einspruchberatung Ende Februar in Genf nach dem vorläufigen Scheitern der OOXML-Normierung in der ersten Runde im September 2007 kein Konsens über notwendige Änderungen an der Spezifikation erzielt worden sei. Zuvor hatte es viele Berichte über Unregelmäßigkeiten bei dem Normierungsverfahren gegeben. In den zuständigen technischen Aufsichtsgremien von ISO und IEC fanden die Eingaben der vier Länder aber nicht die erforderlichen Mehrheiten.

Die Unterzeichner des Schreibens an die Genfer Einrichtungen zeigen sich nun besonders besorgt, dass der ISO-Standard für OOXML mit der bereits 2006 in Genf zertifizierten offenen Dokumentennorm Open Document Format (ODF) in Konflikt geraten und es Überlappungen geben könne. "Viele unserer Länder haben bereits enormen Aufwand für den Einsatz von ISO/IEC 26300 betrieben", monieren sie unter Verwendung der offiziellen Bezeichnung der ISO-Norm für ODF. Die breite Implementierung eines Standards für Dokumentenformate sei eine lange und teure Übung im Zusammenspiel mit jahrelangen Projekten in allen Unterzeichnernationen. Viel Zeit und Ressourcen seien bereits in diese Bemühungen eingeflossen. Allein in Brasilien habe die Übersetzung des Normentexts ins Portugiesische ein Jahr benötigt.

Das OOXML-Normierungsprozedere habe zudem prinzipiell Fragen aufgeworfen, geben die fünf Länder weiter zu bedenken. Man stehe nun an einer Weggabelung. Ziehe man dabei in Betracht, dass die Genfer Einrichtugnen ihren eigenen Regeln nicht folgen könnten, habe man starke Zweifel daran, ob die ISO den Ansprüchen an eine Normierungsorganisation für "offene und herstellerunabhängige Standards" gerecht werden könne. Man werde auf jeden Fall eine neue Einschätzung der Genfer Normen vor allem auf die Verträglichkeit mit den bestehenden eigenen nationalen Rahmenwerken für Interoperabilität vornehmen müssen. Formell auseinandersetzen muss sich die ISO mit den Vorwürfen aber nicht mehr.

Siehe zu den Dokumentenformaten und ihrer Standardisierung auch:

(Stefan Krempl) / (jk)