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Was war. Was wird.

Langsam stellt Hal Faber sich die Frage, ob die Wobblies in der New Economy neue Urständ feiern. Vorher aber ist unter anderem ein neues Kapitel in der Geschichte der deutschen Leitkultur zu schreiben.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** So geht sie dahin, die Ära der Dot.coms, in der mit Begriffen wie E-Commerce, B2B und einem Klacks Global in jeder dritten Zeile tolle Firmen mit superben Zukunftsplänen gegründet wurden, mindestens drei am Tag. Nicht der Große sollte in dieser Ära den Kleinen fressen, sondern der Schnelle den Langsamen. Und so endet, in Internet-Jahren gezählt, die Ära: Täglich geht ein Dutzend Firmen baden, die auf lange Traditionen blicken können, mithin schon anno 1998 gegründet worden sind. Immerhin gibt es stilvolle Abstürze und weniger stilvolle. Zu den gekonnten Abgängen zählt Pets.com, die an dieser Stelle schon einmal erwähnt wurden. Die Firma versucht derzeit, 21 Tonnen Hundefutter aus Lagerbeständen in Alaska abzuwerfen, wo mindestens 5.000 Hunde dem Hungertod nahe sind. Der Verkauf des Domain-Namens soll die Aktion finanzieren.

*** Wo die einen darben und hungern, kommt die Stunde der anderen. Im Tierreich wären das Aasgeier, im Menschenreich gibt es Bertelsmänner. Nach dem wunderbaren Schnäppchen bei Napster ist die Bertelsmann-Tochter Mediasystems bei RecordTV fündig geworden, die mit dem "virtuellen Internet-Recorder" bekannt wurde. Der zeichnete ursprünglich alle Sendungen von Kabelanstalten rund um Los Angeles auf und verschickte sie in der ganzen Welt. Wie Napster verschied RecordTV an Urheberrechtsklagen, die die Bertelsmänner mit "strategischen weltweiten Kooperationsmodellen" ganz lässig zur Seite schieben werden. Alles ist ihnen recht, um eine drohende Fernsehfirma namens Microsoft verhindern zu können. RecordTV soll nicht in den USA ausgestrahlt werden, sondern den Inhalt in Europa absetzen.

*** Aus Europa abgesetzt hat sich ein Superstar der Dot.com-Technik, Joseph de Saram, der mit seiner englischen Firma Rhodium ein revolutionär neues Sicherheitssystem entwickeln wollte. An dieser Stelle muss de Saram einfach erwähnt werden, weil er sich in sein Heimatland abgesetzt hat, um dort mit Arthur C. Clarke den Computer HAL zu bauen, der mir in meiner Jugend so schwer zu schaffen machte. Ein Mädchen küsste mich und fühlte sich schwerelos: War das wegen dem beknackten Computer? Oder wegen dem erbärmlich kalten Morgen auf Fehmarn, als Jimmy Hendrix auftreten sollte und diese blöde Filmmusik dudelte? I'm sorry Dave, aber das musste wohl einmal gesagt werden.

*** Einige Leute in den USA sind der Ansicht, dass noch ganz andere Sachen einmal gesagt werden müssen. Gewerkschaften gehörten zur grauen Vorzeit der Old Economy, die begeisterten Dot.com-Eigentlich-Mit-Firmeninhaber hatten sowas nicht nötig. Angesichts einiger sehr wenig stilvoller Abstürze mag sich manch dauerarbeitende New-Economy-Jüngling, manch eifrige Startuperin an die gute alte Zeit erinnern, als Großvater von Hobos und den Wobblies erzählte. So weit ist es noch lange nicht; aber nicht nur Jeff Bezos von Amazon zeigte sich leicht gereizt ob überraschender gewerkschaftlicher Aktivitäten. Wenn es etwas gibt, was die New von der Old Economy gelernt hat, dann, wie man mit renitenten Mitarbeitern fertig wird. Eigentlich ist es ja nichts besonders, dass Etown 28 Angestellte entließ – die Firma, Online-Shop für Unterhaltungselektronik, dümpelt genau so vor sich hin wie viele andere, die nicht gleich ihren liegen gebliebenen Müll in unzugänglichen Gegenden aus dem Flugzeug schmeißen. Dass 13 der Entlassenen aus der Kundendienstabteilung kamen, in der vor wenigen Tagen ein Antrag auf Gewerkschaftswahlen gestellt wurde, ist natürlich reiner Zufall. Und ein Schuft ist, wer Böses dabei denkt.

*** In grauester Dot.com-Vorzeit, also vor fünf Jahren, wurde übrigens die Rechtschreibreform beschlossen, die das Volk bewegt und selbst einfachste Buchstabensetzer wie mich vor wunderlichen Auseinanderschreibungen kapitulieren lässt. Hart am Rande des Rinderwahnsinns gibt es seitdem Philoso-Viehtreiber und Philosofie-Treiber und Zeitschriften wie die FAZ, die das alles niemals haben wollte. Wer wie die FAZ das Web nicht mag und die Rechtschreibrephorm ablehnt, muss wohl zwangsläufig in den Irrsinn verfallen, eine Gruppe wie Edge als Visionäre der "nächsten fünf Dezennien" zu feiern und Hubert Burda als größten deutschen Systemveränderer zu preisen, natürlich in einer Laudatio von Frank Schirrmacher. Nun warten wir nur noch, dass Edge neben den Manifestos von Lernerter und Lanier die Tagebücher von Helmut Kohl abdruckt – die Lizenz soll Herausgeber John Brockmann in der Tasche haben.

*** In noch grauerer Vorzeit, vor genau 70 Jahren, für Dot.com-Mitarbeiter, ob entlassen oder nicht, in der Prähistorie der Gesellschaft, wurde ein Mann geboren, den Frankreich feiert. Die Filme von Jean-Luc Godard kommen zwar kaum noch in die deutschen Kinos, dafür arbeitet er, gar nicht außer Atem, an den "histoire(s) du cinema". Einer seiner größten Bewunderer dagegen, Woody Allen, auch schon 65 geworden, hat gerade seinen neuen Film erfolgreich in die Lichtspieltheater gebracht – back to the roots, was nicht alle Liebhaber begeistert. Trotzdem: Ein Ereignis in den USA. Glückliche Länder, die haben was zu feiern. In Deutschland stolpern dagegen Heike Makatsch oder Benno Führmann als Superstars über die Leinwand; zur grauen Eminenz des deutschen Kinos entwickelt sich die Nazi-Propagandistin Leni Riefenstahl. Die hat zwar ihre Montage- und Schnitt-Technik auch nur von Sergej Eisenstein und ihre dräuende Ästhetik von Wagner geklaut, macht aber nichts: Nützlich ist sie trotzdem, und sei es nur für eine Gehirnwäsche, die offensichtlicht den Krakelern im Gästebuch von Sebnitz verabreicht wurde. Dass eine Dauervorführung des NSDAP-Parteitagsfilms "Triumph des Willens" gar Schreckliches auslösen kann, war mir ja schon früher klar... Man hätte den Leuten von Sebnitz den Rat geben sollen, das Gästebuch nicht zu löschen, sondern zu drucken: Als ein nettes Kapitel in der Geschichte der deutschen Leitkultur, die, so scheints, inzwischen besonders gern im Internet ihre hässliche Fratze erhebt.

*** Vielleicht hat Woody Allen also doch recht: Länger als eine halbe Stunde halte er Wagner nicht aus, er bekomme sonst das Bedürfnis, in Polen einzumarschieren. Wagner, Riefenstahl und Sebnitz hin oder her: Im Leben gibt es trotzdem Momente von einer bizarren Schönheit. Unter dem Titel "Way out of the Microsoft Maze" wollten Sun und Oracle ein so genanntes E-Seminar online stellen, das sich mit der .NET-Strategie von Microsoft befasst. Ein Fehler in der Oracle-Datenbank führte jedoch dazu, dass die Surfer zwei Tage lang einem Vortrag über Carnivore, Altivore und Echelon lauschen konnten, den ein FBI-Mitarbeiter für Oracle produziert hatte.

*** Viele Stimmen haben wir, doch es ist eine Welt, von der wir sprechen: Mit diesen Worten eröffnete der irische Nobelpreisträger Sean McBride im Jahre 1979 eine UNESCO-Konferenz über "Kommunikationsprobleme zwischen den Welten". Auf ihr meldete sich der junge NASA-Forscher Tony Rutkowski und erklärte, dass es gar kein Problem geben würde. Bald würden alle Menschen miteinander über ein Terminal kommunizieren können, behauptete Rutkowski. Nicht wenige hielten den guten Mann für plemplem. Rutkowski gründete wenig später die Internet Society. In der letzten Woche erhielt diese Society die UNESCO-Ehren als offizielle NGO (Non-Governmental Organization) und konnte gleich ihren ersten Aufruf präsentieren, ganz im Sinne von Tony Rutkowki.

Was wird.

In der nächsten Woche wird Eazel einen neuen Desktop für Linux vorstellen, eine Oberfläche, die unter dem Namen Nautilus bei Dell Linux unter den End-Anwendern verbreiten soll. Bei Eazel sind qualifizierte Leute am Werke, etwa Andy Herzfeld, der beim Mac den Desktop konstruierte, oder Bud Tribble, der den NeXT von Steve Jobs bestückte und nun Chef bei Eazel ist. "Bald wird die ganze Welt nur noch über Eazel reden", verkündete Tribble. Was aber, wenn die Welt über Gore und Bush und Kohl und Bigbrother reden will? Ich jedenfalls rede nächste Woche wieder über Bobos – weasels ripped my flesh oder so... (Hal Faber) / (jk)