Baden-Württemberg: Pionierregion für autonomes Fahren

Das Land Baden-Württemberg möchte ein Testfeld für das autonome Fahren fördern. Karlsruhe, Stuttgart und Ulm haben sich als Pilotregionen beworben. Noch in diesem Monat soll die Entscheidung für einen Bewerber fallen.

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Verkehr, Autos
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Der selbstfahrende Lastwagen war schon testweise auf der A8 unterwegs, doch funktioniert ein fahrerloser Bus oder ein von Geisterhand betriebenes Reinigungsfahrzeug auch im dichten Stadtverkehr, wo Kinder und Radfahrer die Fahrbahnen queren? Karlsruhes Rathauschef Frank Mentrup (SPD) ist überzeugt: "Das automatisierte Fahren wird kommen." Auch in der Stadt.

Baden-Württemberg hat im Januar 2016 für die entsprechende Forschungsarbeit zwei Fördermaßnahmen in Aussicht gestellt: Zur Konzeption, Planung und den Auf­bau eines Testfelds stellt das Wirtschafts- und Finanzministerium 2,5 Millionen Eu­ro zur Verfügung. Das Wissenschaftsministerium will das Testfeld dann noch mit einem Programm zur Forschungsförderung im Bereich "Smart Mobility" im Umfang von 2,5 Millionen Euro flankieren.

Drei Großräume haben sich als Pionierregion beworben: Karlsruhe/Bruchsal/Heilbronn, Stuttgart/Ludwigsburg sowie Ulm. Welche Region am Ende den Zuschlag für das Pilotprojekt bekommt, soll bis Ende des Monats bekannt werden, heißt es im Wirtschaftsministerium in Stuttgart.

Vom vernetzten zum autonomen Auto

Konzepte zu neuen Mobilitätsformen und Fahrerassistenzsystemen gibt es im Ländle viele. Im "Testfeld zum vernetzten und automatisierten Fahren" sollen diese erstmals im "Reallabor" erprobt werden, erläutert Professor Eric Sax vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Unabhängig vom Interesse einzelner Unternehmen. Es geht ums große Ganze, um neue Geschäftsmodelle, in denen das Ministerium einen Milliardenmarkt sieht.

Und es geht für die Wirtschaft und Wissenschaft darum, nicht den Anschluss zu verpassen – die Konkurrenz im US-Raum und Asien schläft nicht. Testfelder für automatisiertes Fahren entstehen nach Angaben des Fahrzeugtechnik-Professors Hermann Winner von der TU Darmstadt seit etwa zwei Jahren "fast überall auf der Welt". In Europa sei das bekannteste das DriveMe-Projekt in Göteborg. Dort sollen von Ende nächsten Jahres an 100 Fahrzeuge auf einem Stadtring vollautomatisch fahren – allerdings ohne Gegenverkehr, Fußgänger und Radfahrer. In Deutschland testen Autobauer etwa auf der A9 Prototypen.

Mit der Einbeziehung des Stadtverkehrs ist das baden-württembergische Testfeld nach Einschätzung von Winner für Deutschland "schon etwas Besonderes", sagt der Experte für Autonomes Fahren. Die beteiligten Städte erhoffen sich neben einem besseren Verkehrsfluss auch Imagegewinn: "Wir sehen es als Riesenchance für die Region", sagt Stefan Huber von der Regionalen Wirtschaftsförderung Bruchsal. "So etwas gibt es sonst nicht in Deutschland." Schließlich hat das Karlsruher Konzept unter der Leitung des FZI Forschungszentrums Informatik die Wohnstraße genauso im Blick wie die viel befahrene Kreuzung, den Tunnel, die Durchfahrt zum Bruchsaler Schloss oder ganze Autobahnabschnitte bei Stuttgart und Heilbronn. Sensoren sollen jede erdenkliche Verkehrssituation erfassen.

In anderen Bundesländern wurde das Potential des autonomen Fahrens aber ebenfalls erkannt. So wird es in Wuppertal in Nordrhein-Westfalen 2017 eine Teststrecke auf einer Landstraße geben, die auch viele unterschiedliche Verkehrssituationen bieten soll: Schnellstraße, Kreisverkehr, Ampeln und Fußgängerwege. Dort will das Unternehmen Delphi das automatisierte Fahren weiterentwickeln. Im benachbarten Ausland gibt es ebenfalls Testregionen, die das autonome Fahren im Stadtverkehr erproben. In der Schweizer Stadt Sitten können Bürger und Besucher seit diesem Donnerstag mit autonomen Bussen fahren. Das Pilotprojekt ist zunächst bis Herbst 2017 befristet.

Autonome Busse in Sitten (Sion) (12 Bilder)

(Bild: Postbus)

Etwa ein halbes Dutzend Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und dem kommunalen Bereich gehören zum Karlsruher Konsortium. Beteiligen wollen sich an dem Projekt mit geplanten sechs Millionen Euro aber sehr viel mehr, darunter die Stadt Mannheim. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Systeme zu erproben.

Doch als Zentrum für Mobilität und Innovation sehen sich mit ihrem geballten Know-how ebenso die Mitbewerber: Auch Stuttgart will diesen "Strukturwandel in der Mobilität" gestalten, wie Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sagt. Die Landeshauptstadt würde mit Ludwigsburg die Infrastruktur für den Test bereitstellen. Mit dabei sind hier unter anderem die Universität und das Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren.

Forschungsfahrzeug für autonomes Fahren Mercedes F 015 (7 Bilder)

Kommunikation mit Fußgängern

Ein mittlaufender blauer Lichtbalken an der Front signalisiert, dass das autonom fahrende Auto den Fußgänger erkannt hat. Der darf jetzt sicher sein, nicht überfahren zu werden.
(Bild: Mercedes-Benz)

Um den Titel Testregion und das Fördergeld des Landes bewirbt sich zudem Ulm. Die Stadt will sich als Wissenschaftsstandort weiterentwickeln – unter Federführung der Universität und einer nicht näher genannten "namhaften Großforschungseinrichtung". Eine halbe Million Euro in fünf Jahren will allein die Stadt dafür zur Verfügung stellen.

Noch ist nicht durchgesickert, wer das Rennen um die Zukunft des autonomen Fahrens macht. Würde Karlsruhe den Zuschlag bekommen, könnte das Projekt schon im Herbst starten. Was sich an neuer Technik am Ende durchsetzt, kann aber dauern – und es ist nicht am "grünen Tisch" zu planen, weiß Winner: "Die Entwicklung des automatisierten Fahrens benötigt viel Praxiserfahrung – dafür kann es gar nicht genug Testfelder geben."

Waymos autonome Fahrzeuge (14 Bilder)

Alphabets eigenentwickeltes Auto kurvt autonom durch Mountain View in Kalifornien.
(Bild: Google.)

(kbe)