Das neue Bild der Erde

Satelliten, Sensoren, Drohnen und Smartphones – sie alle zeichnen permanent Informationen auf. Die Vielzahl der Daten bringt Unsichtbares zum Vorschein.

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Von
  • Denis Dilba
Inhaltsverzeichnis

Die Korrektur war für Rohstoffanalysten ein Schock: Mindestens 87 Millionen Tonnen Erdöl betrage die strategische Ölreserve Chinas für 2016. Dabei war sich die Expertenriege weltweit eigentlich weitgehend einig gewesen, dass es lediglich 56 Millionen Tonnen seien. Das Zahlenspiel klingt wie ein unbedeutender Nebenschauplatz der Weltwirtschaft, doch es ist für den Rohölhandel von besonderer Bedeutung. Aus der strategischen Reserve kann man grob ablesen, wann das bevölkerungsreichste Land der Erde Öleinkäufe mit großen Volumen tätigen wird. Und das verschiebt wiederum den Ölpreis, der Milliarden Dollar hin- und herbewegt.

8/2017

Zutage brachte diesen gewaltigen Unterschied das kalifornische Start-up Orbital Insight. Das Unternehmen um den ehemaligen Google-Manager James Crawford setzte dabei nicht wie bei Analysten üblich auf Umfragen und öffentlich zugängliche Zahlen und Statistiken, sondern auf Fakten aus dem All: Da die oberirdischen Tanks auf dem Öl schwimmende Dächer haben, verrät der auf Satellitenbildern sichtbare Schattenwurf den Füllstand. Dabei gilt: Je größer der Schatten, desto leerer der Tank. Die Information war Milliarden wert – und raubte China seinen strategischen Vorteil im Erdölhandel.

Crawford kann aus Satellitenbildern aber noch weit mehr ablesen: globale Schiffsbewegungen, aktuelle Fortschritte auf Großbaustellen, den Reifegrad von Maisfeldern. Einige seiner Kunden, dem Vernehmen nach große Hedgefonds, lassen Parkplätze vor Einkaufszentren beobachten, um möglichst frühzeitig Informationen über die Umsatzentwicklung von Kaufhäusern zu bekommen – um dann vor allen anderen überlegen zu können, was sie mit ihren Unternehmensanteilen anstellen.

Möglich macht diese detaillierten Einblicke die Kombination aus intelligenter Analysesoftware und technischen Fortschritten in der künstlichen Intelligenz, der Elektronik, der Materialforschung und der Sensorik. Alles zusammen führt dazu, dass Bau und Transfer von Satelliten ins All immer günstiger werden. Nicht nur Weltraumbehörden wie die Nasa oder die Esa, sondern auch private Unternehmen senden daher immer häufiger Erdbeobachtungssatelliten in den Orbit, eine stetig wachsende Flotte, die uns ein zunehmend genaueres Bild von den Vorgängen auf unserem Planeten verschafft.

Und immer wieder unerwartete Ergebnisse liefert. Als eine Forschergruppe um Jean-Francois Bastin von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hochauflösende Google-Earth-Bilder auswertete, stieß sie auf eine überraschend gute Nachricht: Auf der Erde gibt es rund zehn Prozent mehr Waldfläche als angenommen. Der Grund für die erhebliche Abweichung ist der bisher unterschätzte Bestand an Trockenwäldern. Da diese Gehölze auf herkömmlichen Satellitenbildern nicht sattgrün erscheinen, sondern eher gräulich, sind sie nicht immer auf Anhieb zu erkennen. Bastin und seine Kollegen wussten aber, wo sie die Trockenwälder suchen mussten.

Derartige Überraschungen dürften zunehmen, wenn künftig noch deutlich mehr Sensorplattformen Erde sowie All besiedeln und Datensätze von bisher nicht gekannter Auflösung und Informationstiefe zur Verfügung stellen. Bereits Realität sind leistungsfähige erdbasierte Messnetze und das allgegenwärtige Smartphone. Künftig werden diese Maschen deutlich dichter. Geplant sind zudem Drohnen, die in der Stratosphäre ihre Kreise drehen.

Mit der neuen Fülle an Sensoren entstehen Datenreihen, die Entwicklungen in Gesellschaft, Umwelt und Gesundheit in neuem Licht zeigen. Aus den digitalen Informationen lässt sich etwa ableiten, wie sich Virusinfektionen über den Globus ausbreiten, ob ein Seebeben bedrohliche Monsterwellen nach sich ziehen wird oder wie gut sich Autofahrer gerade auf den Verkehr konzentrieren.

Dániel Kondor vom SENSEable City Laboratory des Massachusetts Institute of Technology etwa hat vor knapp zwei Jahren ein Online-Werkzeug präsentiert, das mithilfe von Telefondaten menschliche Aktivität in Städten überall auf der Welt visualisiert. Dazu sammelte er mit seinen Kollegen Informationen von Mobiltelefon-Basisstationen in Los Angeles, New York, London und Hongkong, darunter die Zahl der getätigten Anrufe, die der verschickten Textnachrichten sowie Umfang und Häufigkeit der Datenabrufe, jeweils in 15-Minuten-Intervallen. Aus den Informationen lassen sich eindeutige Tages- und Wochenmuster ablesen und Vergleiche zwischen den Städten ziehen.

Es zeigte sich etwa, dass in Hongkong die meisten Textnachrichten morgens verschickt werden, in New York abends und in London am Mittag. Über die Information, wie aktiv das Smartphone genutzt wird, war es möglich, Wohn- und Gewerbegebiete in den Städten zu unterscheiden. Der weltweite Vergleich ergab zudem, dass die Smartphone-Aktivität in verschiedenen Gewerbegebieten ähnlich, in Wohngebieten aber sehr unterschiedlich ist. Die Gründe dafür sind bislang unklar.