Geänderte Zuständigkeit

Fahrbericht: Audi e-tron quattro

Der Audi e-tron quattro soll ab nächstem Jahr Tesla Model X und Jaguar i-Pace die Stirn bieten. Beide gibt es mit 4WD, dennoch hat Audi als Alleinstellung den Allradantrieb ausersehen. Genauer: die Art, wie er das Fahrverhalten unterstützen und damit Einfluss auf den ganzen Charakter nehmen soll

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Fahrbericht: Audi E-Tron 19 Bilder
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Wolfgang Gomoll

Der Audi e-tron quattro sortiert sich zwischen den SUV-Modellen Audi Q5 (Test) und Audi Q7 ein, will BMW X5-Fahrern eine batterieelektrische Alternative bieten und ab dem nächsten Jahr dem Tesla Model X (Test) und dem Jaguar i-Pace (Test) die Stirn bieten. Beide gibt es mit 4WD, dennoch hat Audi als Alleinstellung für sein neues Batterie-SUV den Allradantrieb ausersehen. Genauer: die Art, wie er das Fahrverhalten unterstützen und damit Einfluss auf den ganzen Charakter nehmen soll. Der erste vollelektrische Quattroantrieb kommt zunächst ohne Sperrdifferenzial an der Hinterachse aus, denn das wird wohl einer späteren RS-Version vorbehalten sein.

Neuordnung der Zuständigkeit

Die Agilität des Audi wird mit einer Antriebskraftverteilung, dem so genannten Torque Vectoring und gezielten Bremseingriffen an einzelnen Rädern erreicht. So weit nichts Neues. Der Kniff des elektrischen Allradantriebs ist eine neue Zuordnung der Zuständigkeit von Steuergeräten und Software.

So werden die Bremseingriffe nicht mehr über das ESP, sondern über die Software der Allradsteuerung eingeleitet, was den Antrieb geschmeidiger reagieren lassen soll als bisher. Zudem regelt die Leistungselektronik die Schlupfregelung deutlich schneller: Vom Erkennen der Situation bis zum Agieren des Systems vergehen nur rund 30 Millisekunden, das ist um ein Vielfaches fixer als bei einem mechanischen Allradantrieb. Schließlich schießt beim e-tron Strom durch die Leitungen, während beim herkömmlichen Quattro eine mechanische Kupplung betätigt werden muss – ein Geschwindigkeitsvorteil.

Die Arbeitsverteilung ist eindeutig und sie ist der Agilität untergeordnet. Das ESP muss nicht mehr den Alleskönner geben, sondern ist hauptsächlich für die ursprüngliche Kernkompetenz des Systems verantwortlich – der Stabilisierung des Fahrzeugs.

Bei den Testfahrten auf einem Salzsee, dessen Oberfläche einen ähnlichen Reibwert wie Schnee hat, durften wir das ausprobieren. Im Fahrmodus „Dynamik” gestattet die Elektronik bereits variable Heckschwenks. Allerdings wachen ESP & Co. noch über die Querbeschleunigung und fangen das 2,5-Tonnen-Trumm ruckzuck ein, bevor es gefährlich werden kann.

Bei ausgeschaltetem ESP bedeutet „aus” wirklich „aus”. Gefährlich wird es dennoch nie. Das elektrische SUV stellt sich dank der heckbetonten Momentenverteilung ziemlich quer, bleibt aber immer beherrschbar. Auch wenn man bereits aus dem Seitenfenster in Fahrtrichtung blickt, reicht ein kurzes Gasgeben sowie Gegenlenken und das Fahrzeug beruhigt sich wieder.

Übergreifen fast nie nötig

Dank Progressivlenkung, deren Übersetzung größer wird, je weiter man das Volant dreht, erspart einem fast immer ein Übergreifen. Bei den Fahrten auf dem glatten Untergrund fanden wir die Lenkung noch zu leichtgängig.

So etwas kann man noch ganz einfach über die Steuersoftware abstimmen. Das Gewicht allerdings spürt man in engen, schnell genommenen Kurven und das kann man nun nicht mehr ändern. Hier dürfte der ähnlich motorisierte Jaguar I-Pace allein durch sein Mindergewicht von weit über 200 Kilogramm einen spürbaren Vorteil behalten. Anders herum könnte man auf den gehässigen Gedanken kommen, dass der Audi sein raffiniertes, elektrisches Torque Vectoring schon braucht, um mit dem I-Pace mithalten zu können.

Gleichwohl sind Leichtfüßigkeit und Berechenbarkeit, mit denen der e-tron quattro um die Ecken fährt, beeindruckend. Audi erklärt das auch mit der Torsionssteifigkeit der Karosserie, die aufgrund der verschraubten Batterie im Unterboden um etwa 65 Prozent höher ist, als bei konventionellen SUVs und der symmetrischen Achslastverteilung von 50:50.

Fahrten abseits befestigter Straßen werden für den e-tron nicht zum Alltag gehören. Dank der variablen Kraftverteilung mit 165 kW hinten und 135 kW vorn ist das BEV-SUV für Straßen bestens gerüstet. Die Nominalleistung beträgt 265 kW und sogar 300 kW für rund acht Sekunden zur Verfügung. Dank der Kühlung, die auch den Rotor des Elektromotors einschließt, waren auch mehrere Sprints hintereinander möglich: In 5,7 Sekunden soll der e-tron Landstraßentempo erreichen und bis zu 200 km/h schnell sein. Bei der Reichweite verspricht Audi mehr als 400 Kilometer, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 200 km/h. Der Preis für den serienmäßig luftgefederten e-tron quattro: 79.900 Euro. (imp)