Debatte über das autonome Fahren: Safety first?

Milliarden fließen in die Entwicklung von autonom fahrenden Autos. Doch die Richtung, in die es gehen soll, ist noch diffus, weil wichtige Fragen ungeklärt sind

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Autonomes Fahren: Safety first?

Ein Audi Q5 (Test) ließ sich von diesem selbstgemalten Verkehrsschild zu einer Vollbremsung verleiten.

(Bild: Martin Franz)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Martin Franz
  • mit Material der dpa
Inhaltsverzeichnis

In das Thema „autonomes Fahren“ wird noch immer reichlich Forschungsgeld investiert, obwohl man sich ihm fast überall eher behutsam nähert. Das betrifft Hersteller und Kunden gleichermaßen. Das erscheint nachvollziehbar, denn hier geht es um eine Sicherheitsfrage, die alle betrifft und daher gesellschaftlich diskutiert gehört. Amerikanische Konzerne üben Druck aus, doch die entscheidende Frage bleibt, ob ein Ausstattungsmerkmal akzeptabel erscheint, das nicht in jedem Fall wie erwartet funktioniert – inklusive aller Folgen, die sich daraus für Fahrzeuginsassen und andere ergeben.

Ein Auto fährt mit 130 km/h über die Autobahn, während der Fahrer sich zurücklehnt und Zeitung liest: So hatte BMW sein Elektroauto iNext für das Jahr 2021 angekündigt. Jetzt geht es doch ein bisschen langsamer beim automatisierten Fahren, nicht nur bei BMW. Denn es reicht nicht, wenn das Auto in 99 Prozent der Situationen selbstständig sicherer fährt als ein guter Autofahrer. Das letzte Prozent, „das ist ein Problem“, meint nicht nur Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management.

Vom vernetzten zum autonomen Auto

„Zum Beispiel ein stehendes Auto in einer Autobahnkurve bei Nebel. Oder eine Waschmaschine auf der Straße“, erklärt BMW-Sprecher Bernhard Ederer: „Solche Grenzfälle sind eine Herausforderung. Auch da muss es absolut sicher sein. Aber das ist ein dickes Brett.“ Auf einem Campus bei München arbeiten 1300 Experten von BMW, Intel, Fiat Chrysler und Mobileye am neuen Technik-Baukasten für den iNext, mit Radar, Lasersensorik, besseren Kameras und stärkeren Rechnern. Aber beim Fahren „bleibt der Mensch in der Verantwortung“, sagt Ederer.

Die Google-Firma Waymo testet das autonome Fahren seit geraumer Zeit.

(Bild: Waymo)

Beim autonomen Fahren sieht Bratzel die Google-Firma Waymo weit vorn, die autonom fahrende Taxis in Phoenix in Arizona fahren lässt. Bei Serienautos sieht Audi-Chef Markus Duesmann ein anderes US-Unternehmen an der Spitze: „Beim Thema Rechner und Software-Architektur hat Tesla sicher zwei Jahre Vorsprung, beim automatisierten Fahren auch.“

Tesla habe eine Software entwickelt und anschließend ein Auto drumherum gebaut, erklärt Bratzel. Nun kann es automatisch die Spur wechseln, von der Autobahn abfahren und Stoppschilder erkennen. Tesla vermarktet auch diesen Bereich äußerst geschickt, denn fast alle dieser Funktionen kann man auch bei einigen anderen Herstellern kaufen, zum Teil schon seit Jahren. In einem anderen Gebiet sind die Amerikaner allerdings tatsächlich weiter als andere: Nachbesserungen, Updates, neue Funktionen spielt Tesla over-the-air auf. Außerdem „trauen sie sich ein bisschen mehr“, sagt Bratzel. Mitunter auch zu viel. Das wurde zum Beispiel bei einem Unfall deutlich, als ein Tesla vom „Autopiloten“ ungebremst in einen Lastwagen gesteuert wurde.

Hier sieht Professor Mario Trapp, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Kognitive Systeme (IKS), einen großen Unterschied zwischen den deutschen Autoherstellern und den High-Tech-Konzernen in Kalifornien. Die IT-Welt und ihre Nutzer seien weniger Qualität gewohnt. „Dass Apps abstürzen und Webdienste nicht immer reibungslos funktionieren, ist quasi selbstverständlich. Mit der Übernahme der Technologie hat letztlich auch deren Qualitätsmaßstab Einzug gehalten.“ Für die traditionellen Autohersteller seien aber Qualität und Sicherheit wichtiger als die fortschrittlichen Features. Für sie sei entscheidend, „tödliche Unfälle durch Softwarefehler auszuschließen“.

Die deutschen Autohersteller kommen vom Maschinenbau und beginnen gerade, bei der Software aufzuholen. Straßenmarkierungen, Schilder, Ampeln, andere Fahrzeuge, Radfahrer und Fußgänger ließen sich nur durch Künstliche Intelligenz erkennen, sagt Trapp. „Hier besteht noch ein großer Nachholbedarf für klassische Automobilhersteller.“

Software sei die Basis für viele kommende Geschäftsmodelle. „Der Markt ist geprägt von Smartphones und Webdiensten und erwartet, dass sich auch ein Auto mindestens genauso flexibel aktualisieren und beispielsweise durch Apps erweitern lässt“, erklärt der Fraunhofer-Forscher. Die Frage sei nun, „ob es die Tech-Unternehmen schneller schaffen, ihrer hochflexiblen Software die nötige Qualität zu verleihen, oder ob es den traditionellen Unternehmen gelingt, ihrer sicheren Software schneller die nötige Flexibilität zu verleihen“.

Die große Unbekannte in diesem Wettbewerb seien die Kunden. „Sobald der Markt bereit ist, geringere, vielleicht sogar gefährliche Qualitätsmaßstäbe zugunsten toller Autopiloten zu akzeptieren, werden hier die Karten neu gemischt“, sagt Trapp. „Umgekehrt gilt dies in gleichem Maße, wenn der Markt erkennt, dass eine tolle App auf dem Smartphone etwas anderes ist, als wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen.“ Für VW, Daimler, BMW, Audi und sieben andere Autohersteller, Zulieferer und Tech-Konzerne ist die Sache klar: „Safety first for Automated Driving“ heißt ihr Abkommen, mit dem sie sich auf Standards für Entwicklung, Test und Bewertung verständigt haben. Von den heutigen Fahrerassistenz-Systemen ausgehend schreiten sie voran, „Schritt für Schritt“, wie Ederer sagt.

Dabei haben sie immer im Blick, was die Konkurrenz macht und wofür der Kunde bereit ist zu zahlen. Assistenzsysteme gegen Aufpreis seien profitabel, heißt es bei den Autokonzernen. Das Interesse sei hoch, „in allen Baureihen“, sagt Mercedes-Sprecherin Sarah Widmann. Für Kunden nützlich und für Mercedes ein Geschäft könne zum Beispiel ein hochautomatisiertes Stausystem sein. Audi-Sprecher Udo Rügheimer sagt: „Wir wollen unseren Kunden beispielsweise eine stärkere Unterstützung im städtischen Umfeld anbieten“ und in Ländern, wo das erlaubt ist, „erweiterte Hands-off-Möglichkeiten“.

Trotz Spardruck durch Corona-Krise und Rezession gebe es bei Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet keine Abstriche. Jährlich zwei Milliarden Euro investiere die Branche in Deutschland dafür, hat die Unternehmensberatung PwC ausgerechnet. Trotzdem ist mit einem autonomen Fahren auf Level 5 zumindest hierzulande so schnell nicht zu rechnen. Der deutsche Gesetzgeber hat hohe Hürden für autonomes Fahren aufgestellt, und derzeit sieht es nicht danach aus, als wenn er plane, diese voreilig zu verflachen.

Sechs Stufen des automatisierten Fahrens sind definiert. Vom höchsten Level 5 sind alle Hersteller mehr oder weniger weit entfernt.

(Bild: VDA)

Die deutsche Politik agiert hier vorsichtig und das hat seine Gründe. Die stark erhitzte Debatte um einen tödlichen Unfall, der durch einen „Autopiloten“ von Tesla verursacht wurde, mag zum Teil zu dieser Vorsicht geführt haben. Kein Politiker möchte sich fragen lassen müssen, ob er durch eine zu lasche gesetzliche Vorgabe zu einem tödlichen Unfall beigetragen hat. Hinzu kommt die Frage einer gesellschaftlichen Akzeptanz. Im vergangenen Jahr starben auf deutschen Straßen laut Statistischem Bundesamt 3059 Menschen bei Verkehrsunfällen. Eine theoretisch-ethische Frage: Akzeptieren wir, dass diese Zahl auf 500 tödlich verunglückte Menschen sinkt, diese aber auf Softwarefehler zurückzuführen ist? Das lässt sich sicher nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten.

Schlussendlich muss man diese wichtige Debatte führen, übertriebene Eile wäre dabei jedoch weder für Befürworter noch für Gegner förderlich. Entscheidet man sich für ein schnelles Abbauen von gesetzlichen Vorgaben, werden die ersten Verkehrsopfer von autonom fahrenden Autos zu einer gesellschaftlichen Empörung führen, begleitet von Schlagzeilen, die sich jeder ausmalen kann. Hält man dagegen an extremen Vorgaben starr fest, spart man sich zwar den Shit-Storm von Besorgten, doch der Rest der Welt enteilt technologisch.

Zeit für eine Debatte scheint zu sein: Bislang funktionierte in keinem Testwagen, den heise Autos in der Redaktion hatte, auch nur die Erkennung von Verkehrsschildern absolut fehlerfrei. Von logischen Verknüpfungen wie dem Abschalten des Fernlichts auf gut beleuchteten Innenstadt-Straßen ganz zu schweigen. Ungeachtet dessen, dass einige Hersteller im Bereich Assistenz inzwischen ein bemerkenswertes Niveau erreicht haben, ist hier überall noch ein steiniger Weg zu beschreiten. Ein Szenario, in dem ein Fahrer – gesetzlich legitimiert – gedanklich komplett in ein Unterhaltungsprogramm abtauchen darf, scheint zumindest kurzfristig eher unwahrscheinlich. Viel eher dürften sich die Hersteller vorerst darauf konzentrieren, das autonome Fahren in einem klar definierten Rahmen weiter zu perfektionieren, beispielsweise bei stockendem Verkehr auf der Autobahn.

(mfz)