Der automobile Jahresrückblick: Bewegungen im Jahr 2020

Für die Autohersteller war 2020 kein einfaches Jahr. Absatzrückgänge und der beschleunigte Strukturwandel bestimmten die Schlagzeilen. Teil 2 unseres Rückblicks

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Mini Cooper SE

2020 war ein Jahr mit nur wenigen Lichtblicken. Der Mini Cooper SE war einer davon.

(Bild: Franz)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Jahr 2020 hat in vielerlei Hinsicht tiefe Spuren hinterlassen. Im Frühjahr, zu einer der Phasen, in denen die Verkaufszahlen von Neu- und Gebrauchtwagen im Normalfall etwas anziehen, mussten die Autohäuser schließen. Zwar gab es gewisse Nachhol-Effekte, doch die Delle ließ sich im Jahresverlauf nicht vollständig ausgleichen - wer befürchten muss, seinen Job zu verlieren und/oder durch Kurzarbeit deutlich weniger Geld zur Verfügung zu haben, hat anderes zu tun als sich Gedanken um ein neues Auto zu machen. Das ließ sich übrigens auch in Google-Anfragen ablesen. Während der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr ging die Zahl derjenigen, die über die größte Suchmaschine nach Autothemen forschte, messbar zurück.

Unter den Autoherstellern gab es Unterschiede, wobei sich diese oft darauf beschränkten, wie tief der Fall war. Tesla war der Gewinner der ersten sechs Monate und der einzige Hersteller, der mehr Autos als im Vorjahr absetzen konnte. Noch eine Anomalie gab es bei den Zulassungszahlen: Der zarte Trend der vergangenen Jahre, Urlaub in einem Wohnmobil zu machen, bescherte den Anbietern einen regelrechten Boom. Schaut man sich an, was schon ein einfaches Modell kostet, bleibt nur der Schluss, dass keineswegs alle Deutschen 2020 finanzielle Sorgen hatten.

Auch bei der Elektrifizierung des Individualverkehrs hat sich einiges bewegt. Die monetäre Unterstützung beim Kauf von Hybrid- und Elektroautos durch den Steuerzahler war eigentlich schon recht großzügig, immerhin konnten ja nicht nur ein paar Tausend Euro vom Listenpreis ohne Diskussionen abgezogen werden. Hinzu kamen noch die steuerlichen Vorteile für die private Nutzung von Dienstwagen - ein nicht zu unterschätzender, teurer Hebel, der vermutlich viele dazu gebracht hat, sich intensiv mit der Frage zu beschäftigen, welchen Antrieb der nächste Dienstwagen haben soll. Immerhin muss der geldwerte Vorteil unter bestimmten Bedingungen nur mit 0,25 Prozent des Listenpreises versteuert werden. Im Rahmen des im Juni beschlossenen Konjunkturpaketes erhöhte der Staat seinen Teil des Zuschusses extrem. Die Allgemeinheit finanziert hier einen Boom, von dem nur ein Teil der Bevölkerung profitiert - der allerdings überaus heftig.

Bei Plug-in-Hybriden sind es bestenfalls nur 0,5 Prozent zu versteuern, und so durfte sich die Autoindustrie an einer regen Nachfrage erfreuen. Dass Plug-in-Hybride nicht in jedem Fall zu einer geringeren Umweltbelastung führen, hat der ADAC auch in diesem Jahr wieder vorgerechnet. Wer nun denkt, solange er in seinen Plug-in-Hybrid nur Strom füllt, tue er der Umwelt irgendwie etwas Gutes, hat mit dem Nachdenken ein wenig zu früh aufgehört. Denn solange im Strommix, der sich freilich jedes Jahr ändert, ein gewisser Anteil fossiler Energieträger steckt, ist der Wirkungsgrad nicht egal. Die PHEV-Testwagen des Jahres zeigten vor allem bei niedrigen Temperaturen Strom-Verbrauchswerte, die nachdenklich stimmen. Dazu dauert es fast immer Stunden, die kleinen Batterien zu befüllen - bei den meisten Herstellern ist bei 3,7 kW Ladeleistung das Maximum erreicht.

Automobile Nachrichten 2020 (14 Bilder)

Groß war die Aufregung, als im November die ersten Details der Abgasnorm Euro 7 durchsickerten. Nun gehört ein aufgeregtes Klappern fraglos zum Handwerk eines Industrieverbandes wie dem VDA. Schließlich bedeuten weiter verschärfte Grenzwerte höhere Kosten für die Abgasnachbehandlung. Doch es sind nicht die strengeren Grenzwerte, die den heftigen Protest des VDA auf den Plan gerufen haben, sondern die verschärften Bedingungen des RDE. Und die haben es in der Tat in sich.

Doch ganz so düster, wie es mancherorts zu lesen war, ist es schon bei schummerigem Licht nicht: Zum einen werden die neuen Grenzwerte erst 2021 festgelegt, zum anderen muss bedacht werden, dass die Grenzwerte seit der Einführung der Abgasnorm Euro 6 im Jahr 2015 fast in jedem Bereich konstant geblieben sind. Verschärft wurden nur die Rahmenbedingungen. Wenn die Abgasnorm Euro 7 im Jahr 2025 in Kraft tritt, ist es so gesehen die erste Grenzwert-Veränderung nach zehn Jahren.
(Bild: Pillau)

Den Aufwand, diese Autos zu entwickeln und herzustellen, platzieren die Hersteller hinter Preisschildern, die einen Selbstzahler zusammenzucken lassen. Ende Dezember stand ein Renault Megane PHEV auf dem Reaktionsparkplatz, für den sich der Hersteller 43.600 Euro vorstellte. Fraglos ist darin sein Anteil an der Innovationsprämie eingepreist, Fahrzeughersteller sind schließlich gewinnorientierte Unternehmen und keine idealistischen Kommunen. Kaschieren soll die hohen Preise eine üppige Systemleistung, wobei sich mancher sicher fragt, warum es in einem Auto, das die Umwelt möglichst wenig belasten soll, stets ein kräftiger Benziner sein muss. Kia und Renault steuern gegen, die Resultate lassen auf verschiedene Weise leider noch überreichlich Optimierungspotenzial erkennen.

Synthetische Kraftstoffe wurden von einigen Medienbespielern auch in diesem Jahr eine großartige Zukunft vorhergesagt. Doch sie herzustellen, kostet mehr Energie als den Strom direkt in eine Batterie im E-Auto zu packen. Und von dem Gedanken, dass die Nutzung dieser Fahrenergie irgendwie weniger teuer werden könnte, sollte man sich, so noch nicht geschehen, rasch verabschieden. Greift der Staat hier nicht massiv mit Steuerverschiebungen ein, wird ein Liter E-Fuel auf absehbare Zeit erheblich teurer bleiben als sein Pendant aus Erdöl. Trotzdem ist die Forschung nicht komplett unsinnig, bietet sie doch die Chance, den Fahrzeugbestand weniger umweltschädlich machen.

Was der Staat mit Subventionen bewegen kann, zeigt ein anderes Beispiel aus diesem Jahr. Ende November brachen die Server der Kreditanstalt für Wiederaufbau zusammen. Die Angreifer waren keine Hacker, sondern das Volk, das die Förderung von Wallboxen in Höhe von 900 Euro abgreifen wollte. Die Server waren rasch wieder aufgestellt, die Anbieter von Ladestationen für zu Hause werden jedoch noch bis weit in das Jahr 2021 überreichlich damit beschäftigt sein, alle Kundenanfragen abzuarbeiten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Preisvergleich (heise Preisvergleich) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (heise Preisvergleich) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bleiben noch zwei Dinge in diesem Rückblick. Die Wahl DES Testwagens 2020 ist weniger einfach, als es gleich zwei Porsche Taycan vielleicht vermuten lassen. Die drei Golf 8 haben uns überrascht, weil VW genau in den Bereichen spürbar nachgelassen hat, mit denen der Konzern in der Vergangenheit zuverlässig seine Kundschaft eingesammelt hat. Die selbsterklärende Funktionalität ist Geschichte, dazu passend hat die Software einen Fehlstart hingelegt. Zusätzlich schwächelt der Konzern bei der oberflächlichen Güte- dabei war VW Spitze darin, Dinge im sichtbaren Bereich hochwertig wirken zu lassen. Der neue VW-Chef Brandstätter hat schon vorsichtig und diplomatisch angedeutet, dass er hier einen gewissen Handlungsbedarf sieht. Schaut man in den erstaunlich schlichten ID.3, kann man dem nur zustimmen.

Testwagen des Jahres 2020 (9 Bilder)

Vordergründig betont BMW den Fortschritt besonders laut Bereich Infotainment, etwas leiser den im Antrieb. Bei der Unterhaltungselektronik gehört BMW zu den führenden Herstellern. Die Mildhybridisierung des Bestsellers 320d ändert an den Kernkompetenzen nichts, wie ein Testwagen im Sommer zeigte. Nebenbei pflegt der aktuelle Dreier dabei aber auch ganz traditionelle Werte der Marke: Der mit dem teuren M-Sport-Paket ausgestattete Testwagen rauschte rasant um Kurven, der Zweiliter-Diesel mit 190 PS war weit mehr als nur genug.
(Bild: Franz)

Testwagen des Jahres ist für mich der Mini Cooper SE, trotz all seiner zahlreichen Schwächen. Doch er erfüllt das mit dem Markennamen Mini verbundene Fahrspaß-Versprechen vollständig und auf eine - antriebsbedingt - neue Art und Weise. Das Auto hat das Zeug dazu, auch Kritiker der E-Mobilität zu überzeugen, einfach, weil er so quirlig fährt. Ein Peugeot 208-e (Test) oder ein Opel Corsa-e (Test) sind fraglos die vernünftigere Wahl, der Mini Cooper SE die lebensfrohere.

(mfz)