Hintergrund: Brokat -- ein Stern der Internet-Ökonomie verglüht

Der tiefe Fall des einstigen Vorzeigeunternehmens der Internet-Ökonomie und Stars am Neuen Markt hatte sich bereits seit dem Sommer abgezeichnet.

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  • dpa

Das seit längerem angeschlagene Softwareunternehmen Brokat hat am heutigen Freitag Insolvenz beantragt. Nun muss das Amtsgericht Stuttgart über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheiden. Hatte die Brokat-Aktie zu ihren besten Zeiten noch um die 200 Euro gekostet, wurde das Papier am Freitagmittag mit 0,53 Euro gehandelt -- damit legte es sogar um knapp 2 Prozent zu, die Insolvenz war vom Markt erwartet worden.

Die verbliebenen 150 Arbeitsplätze des einstigen Börsenstars sollen möglichst gerettet werden. Noch im Mai hatte Brokat 1.450 Mitarbeiter. Das operative Geschäft von Brokat soll aus der Brokat eFinance Technologies GmbH & Co. KG heraus weiter geführt werden. Diese Tochtergesellschaft soll auch die Kundenbeziehungen aufrecht erhalten. Brokat suche nach wie vor einen Investor, um dem verbliebenen Geschäftsbereich eFinance neues Kapital zuzuführen, erklärte die Firma.

Brokat hatte es nicht geholfen, dass noch am vergangenen Dienstag der zunächst gestoppte Verkauf des Geschäftsbereichs Mobile Business an die amerikanische eOne Global für 28,25 Millionen Euro bekannt gegeben worden war. Brokat blieb überschuldet und hätte noch bis zum 30. November Zeit gehabt, seine Probleme zu lösen. Dann hätte spätestens die Insolvenz angemeldet werden müssen.

Dieser weitere tiefe Fall eines verglühten Sterns am Neuen Markt hatte sich bereits ab dem Sommer abgezeichnet. Im Juni wurden bekannt, dass das Grundkapital zur Hälfte aufgebraucht war, die Kleinaktionäre waren auf der Hauptversammlung tief verärgert. Im Juli meldete Brokat einen Quartalsverlust von 824 Millionen Euro und begann, mit den Gläubigern der hochverzinslichen Anleihe über 125 Millionen Euro zu verhandeln. Die Milliarden teuren Übernahmen in den USA im Jahr zuvor hatte das 1994 von ein paar jungen Absolventen der Universität Tübingen gegründete Unternehmen, das sich auf elektronisches Bezahlen und Internet-Payment-Systeme spezialisiert hatte und einige große Banken zu seinen Kunden zählte, nicht verkraftet.

Der Sanierungsplan, über den die außerordentliche Hauptversammlung am 12. November abstimmte, sah einen Kapitalschnitt, einen anschließende Kapitalaufstockung und die Auflösung der Anleihe vor. Die Halter der Anleihe sollten im Gegenzug neben Bargeld auch die Mehrheit der Aktien von Brokat erhalten. Doch schon vor der Hauptversammlung meldetet Brokat am Morgen des 12. November die Überschuldung an. Denn die Verhandlungen mit den Bondholdern waren gescheitert und das dritte Quartal hatte einen Nettoverlust von 71 Millionen Euro gebracht, während der Umsatz eingebrochen war und bei 5,7 Millionen Euro vor sich hindümpelte. Zwar stimmten die Aktionäre dem letzten rettenden Strohhalm zu, doch die Halter der mit 11,5 Prozent zu verzinsenden Anleihe blieben bis zur Insolvenzanmeldung bei ihrem Nein.

Chronologie: Aufstieg und Fall eines ehemaligen Vorzeigeunternehmens

September 1994: Fünf Partner gründen das Unternehmen in Böblingen.

September 1998: Börsengang an den Neuen Markt.

Mai 1999: Der Vorstand wird von den Wirtschaftsprüfern Ernst & Young mit dem Preis "Entrepreneur des Jahres" ausgezeichnet.

November 1999: Intel beteiligt sich mit rund 20 Millionen Mark an Brokat.

März 2000: Brokat platziert eine Anleihe über 125 Millionen Euro. Die jährliche Verzinsung liegt bei 11,5 Prozent. Brokat bezeichnet sich als Weltmarktführer bei Software für das Internet-Banking.

Juni 2000: Brokat übernimmt die US-Software-Unternehmen GemStone und Blaze für insgesamt 1,7 Milliarden Mark in Aktien.

Oktober 2000: Siemens beteiligt sich mit rund 141 Millionen Mark an Brokat.

Februar 2001: Brokat erhält ein Patent für das elektronische Unterschreiben per Handy. Ende des Jahres sollen schwarze Zahlen geschrieben werden.

Februar 2001: Mit einem Verlust von 53,5 Millionen Euro für das Geschäftsjahr 2000 schockiert Brokat die Anleger, verspricht aber für Ende 2001 schwarze Zahlen.

April 2001: Auf Grund der Absatzkrise in der Software-Branche korrigiert der Vorstand die Umsatzprognose nach unten.

Juni 2001: Brokat baut ein Fünftel seiner 1450 Stellen ab, schließt Standorte und sucht nach Investoren. Die Hälfte des Grundkapitals ist aufgebraucht. Wütende Aktionäre toben auf der Hauptversammlung.

Juli 2001: Brokat vermeldet einen Quartalsverlust in Höhe von 824 Millionen Euro und verhandelt mit den Anleihegläubigern über eine Auflösung des Rentenpapiers.

August 2001: Der Sanierungsexperte Dirk Pfeil wird in den Aufsichtsrat von Brokat berufen.

August 2001: Brokat verkauft die teuer erworbenen US-Firmen wieder für 23,8 Millionen Euro. Vorstandschef Stefan Röver kündigt seinen Rückzug an.

September 2001: Die Aktie des einstigen Börsenstars mit Höchstkursen um 200 Euro rutscht unter einen Euro und wird damit zur Penny Stock.

November 2001: Brokat ist überschuldet. Mit den Anleihegläubigern wird keine Einigung erzielt.

23. November 2001: Brokat meldet Insolvenz an. (dpa) / (jk)