NetzDG-Prüfinstanz: Rote Karte für "alte Nazisau", gelbe für Arthurs "NWO"​

Die Freiwillige Selbstkontrolle Medien hat ihren ersten Tätigkeitsbericht zu schwierigen NetzDG-Fällen vorgelegt, die nicht "offensichtlich rechtswidrig" waren.

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(Bild: dpa, Yui Mok/PA Wire/dpa)

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"Rechtsfragen aus der Mitte der Gesellschaft" bestimmten nach Angaben der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) die Arbeit des Prüfausschusses nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im vorigen Jahr, der bei der Organisation seit März 2020 angesiedelt ist. Die dabei "kontrovers diskutierten juristischen Fragestellungen" seien "nicht zuletzt auch durch die fortdauernde Corona-Pandemie bestimmt" worden.

Insgesamt übermittelten soziale Netzwerke wie Facebook und YouTube im vergangenen Jahr 23 Fälle an das externe Expertengremium. Acht der insgesamt 23 Beschwerden bewerten die Ausschussmitglieder als rechtswidrig, geht aus dem am Freitag veröffentlichten ersten Tätigkeitsbericht der FSM hervor. Die betroffenen Anbieter entfernten daraufhin in diesen acht Fällen vereinbarungsgemäß die bewerteten Inhalte.

Nach dem NetzDG müssen Betreiber größerer Plattformen für nutzergenerierte Inhalte offensichtlich strafbare Beiträge innerhalb von 24 Stunden löschen. Die Entscheidung über komplexe Fälle, bei denen die mögliche Rechtswidrigkeit von Äußerungen juristisch schwer zu bewerten ist, können Anbieter seit einem guten Jahr aber auch zunächst an die FSM weiterleiten. Das Prüfgremium besteht derzeit aus einem Pool von 46 Juristen, die in Prüfausschüssen jeweils zu dritt über die vorgelegten Fälle entscheiden und die Bewertung dann veröffentlichen.

Das Bundesamt für Justiz hatte den Verein damals als erste und bislang einzige Einrichtung der "regulierten Selbstregulierung" nach dem NetzDG anerkannt. Der Bundestag hatte die Option 2017 in letzter Minute noch eingebaut. Zuvor und danach gab es heftige Kritik an den Folgen der Initiative, da private Firmen damit verstärkt in die Rolle von Richtern über Inhalte gedrängt würden und so die Meinungsfreiheit leiden könnte.

Bei den Streitfällen 2020 ging es dem Bericht zufolge vor allem um die Frage, ob der mögliche Straftatbestand der Beleidigung aus Paragraf 185 Strafgesetzbuch (StGB) greift, der Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen vorsieht. Ob die Bedingungen erfüllt waren, mussten die Prüfer in 13 Fällen entscheiden. Sieben Auseinandersetzungen bezogen sich auf Paragraf 111 StGB, in dem es um Anstiftung zu einer Straftat geht.

Eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs von Ordnungshütern, Demonstranten und anderen Beteiligten durch Bildaufnahmen auf sogenannten Querdenker-Demos und deren Veröffentlichung mit dem Verweis auf Polizeigewalt sahen die Prüfer nicht als gegeben an. Ebenfalls als nicht rechtswidrig stuften sie ein Video auf dem Kanal "Arthurs Tagebuch" ein, in dem sie Gedankengut ausmachten, das dem Reichsbürgermilieu zugeordnet werden könnte.

In dem gemeldeten Beitrag ging es um die "Neue Weltordnung", mit der Verschwörungstheoretiker das angebliche Ziel von Eliten und Geheimgesellschaften bezeichnen, eine supranationale Weltregierung zu errichten. Für den Fall hatte der Videomacher seine Zuschauer "zum bewaffneten Widerstand" aufgerufen. Ohne weitere Hinweise auf Zeit, Ort und Opfer hielten die Sachverständigen das nicht für ausreichend, um ein Löschen wegen Verstoß gegen 111 StGB gerechtfertigt zu sehen.

Bei einer Beschimpfung von Pressevertretern als "alte Nazisau" erachtete das Gremium den Straftatbestand der Beleidigung dagegen als gegeben. Wenngleich "satirische Elemente" wie eine Versform und grafische Darstellung winkender Kinder "im Kontrast zur scharfen Aussage" verwendet würden, sehe die Sache nicht anders aus. Derlei Beleidigungen seien nicht durch den Schutz der Meinungsfreiheit gerechtfertigt.

Den Tatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach Paragraf 86a StGB sahen die Sachverständigen bei ihrer letzten Entscheidung im vorigen Jahr erfüllt. Zur Debatte stand eine Grafik mit einem schwarzen Hakenkreuz in einem weißen Kreis auf rotem Grund, bei dem in die vier Schenkel jeweils die Logos von Google, Twitter, Facebook und YouTube eingebunden waren. Laut der FSM-Entscheidung kommt es nicht darauf an, ob etwa für den Nationalsozialismus tatsächlich geworben werde.

In diesem Jahr hatte der Ausschuss bereits zehn Fälle zu beraten. Gleich die erste Ansage zeigt dabei, dass er den bereits entwickelten Kriterien weitgehend treu bleibt. So wertete er darin die Verunglimpfung von zwei hochrangigen deutschen Politikern aus Bayern und vom Bund als "Wixer" und "Stasi Sau", die "endlich daschossn" gehörten, als rechtswidrig.

(vbr)