Kommentar: Glasgow gibt dem weltweiten Emissionshandel eine zweite Chance

Dem internationalen Handel mit CO2-Kompensationen haftete bisher ein Schmuddelimage an. Der Klimagipfel hat das Verfahren nun ein Stück weit seriöser gemacht.

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Kraftwerk, Umweltschutz, Klimawandel, Kritische Infrastrukturen

(Bild: Steve Buissinne, gemeinfrei)

Lesezeit: 3 Min.

Der Emissionshandel wird ja gerne abfällig als "Ablasshandel" verunglimpft. Das ist unfair, zumindest was den innereuropäischen Handel mit CO2-Zertifikaten (ETS) betrifft. Denn anders als etwa eine Steuer bietet dieses Instrument die Möglichkeit, eine feste Obergrenze für Treibhausgase festzulegen und schrittweise abzusenken.

Anders sieht es bei der schmuddeligen Schwester des ETS aus, dem internationalen Handel mit Kompensationen. Für jede ausgestoßene Tonne CO2 soll dabei irgendwo auf der Welt ein Projekt finanziert werden, das die entsprechende Menge wieder einspart, etwa durch Aufforstungen. Der Gedanken dahinter: Das Geld soll dahin fließen, wo es den größten Nutzen bringt. Idealerweise würden dadurch auch die Lebensbedingungen der Einheimischen verbessert. So zumindest die Theorie. In der Praxis lässt sich das allerdings schlecht überprüfen.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Solche Vorhaben werden von verschiedenen Organisationen zertifiziert. Die größte davon ist der Clean Development Mechanism (CDM) der UN. Dessen Zertifikate waren bis 2013 auch im Rahmen des EU-Emissionshandel handelbar. Danach verloren sie an Bedeutung, weil es Zweifel an ihrer Seriosität gab, sie sich schlecht mit der Idee einer festen Emissionsobergrenze vertrugen und ein Überangebot die Preise kaputt machte.

In den vergangenen Jahren kamen sie allerdings erneut ins Gespräch, weil die Luftfahrtbranche im Rahmen ihres "Corsia"-Programms stark auf solche Kompensationen setzt. Dabei war allerdings bislang ungeklärt, wie sich vermeiden lässt, dass die CO2-Einsparungen eines Projekts doppelt angerechnet werden – einmal für die Minderungsziele des jeweiligen Landes im Rahmen des Pariser Abkommens, einmal etwa durch den Verkauf von Zertifikaten im Rahmen von Corsia.

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Zumindest dieses Problem scheinen die Länder jetzt auf der Klimakonferenz von Glasgow gelöst zu haben. "Ein sehr wichtiges Ziel konnte erreicht werden: Alle Länder müssen ohne Ausnahme eine Doppelzählung von Emissionsminderungen vermeiden", sagte Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik am Öko-Institut, gegenüber dem Science Media Center. "Genau dagegen hatte sich Brasilien in den vergangenen Jahren mit Händen und Füßen gewehrt. In Glasgow hat sich Brasilien bewegt und konstruktiv eingebracht."

Mit dem neuen Regelwerk müssen alle übertragenen Emissionszertifikate bilanziert werden, ähnlich wie bei einem Bankkonto, so Schneider. "Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, musste aber hart erkämpft werden: Es gab jede Menge kreative Vorschläge für Bilanzierungstricks."

Allerdings sei der Kompromiss damit erkauft worden, dass auch alte Zertifikate aus dem Kyoto-Protokoll anerkannt werden. Das könne Berechnungen zufolge "im schlimmsten Fall die Bemühungen zum Klimaschutz um mehrere Milliarden Tonnen CO2 untergraben".

"Insgesamt schaffen die neuen Regeln von Glasgow zum internationalen Emissionshandel gute Grundlagen, aber sie haben auch zahlreiche Schlupflöcher", bilanziert Schneider. "Die Regeln können ganz klar missbraucht werden. Sie setzen aber auch einen Mindeststandard, der verhindert, dass jedes Land sich einfach selbst nach seinen eigenen Regeln die Klimabilanz schönrechnet."

(grh)