Telegram: Wie die Politik einen unkooperativen Chat-Dienst regulieren will​

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und viele ihrer Kollegen wollen stärker gegen strafbare Inhalte auf Telegram vorgehen. Das ist aber nicht so einfach.

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(Bild: Justlight/Shutterstock.com)

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"Gegen Hetze, Gewalt und Hass im Netz müssen wir entschlossener vorgehen", kündigte die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kurz nach Dienstantritt mit Blick auf Telegram an. Die Sozialdemokratin will den Messenger-Dienst aufgrund seiner öffentlichen Gruppen und Kanäle dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) unterwerfen. Das in Dubai verankerte Telegram müsste dann hierzulande offensichtlich strafbare Inhalte binnen 24 Stunden löschen. Wie das erreicht werden soll, ließ Faeser zunächst offen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ist ebenfalls der Ansicht, dass Telegram unter das NetzDG fällt und sich danach richten müsse. Bei dem Dienst gebe es Funktionen, die auch für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich seien. "Insofern meinen wir, dass Telegram ein soziales Netzwerk ist", erklärte der Liberale am Montag in den Tagesthemen.

Was auf Telegram in Umlauf gebracht werde, "ist teils unanständig und oft auch kriminell", ergänzte der Minister auf Twitter. "Mein Wunsch ist, dass wir keinen deutschen Sonderweg einschlagen, sondern einen gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen schaffen, der es uns ermöglicht, gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen." Er spielte damit vor allem auf den geplanten Digital Services Act (DSA) an, der entsprechende Vorschriften in allen Mitgliedsstaaten schaffen soll.

Angesichts der auf Telegram verbreiteten Corona-Verschwörungstheorien war der Messenger auch Thema der Ministerpräsidentenkonferenz. Der Dienst müsse "angemessen" reguliert werden, betonten die Regierungschefs der Länder. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) will derweil den Druck auf die App-Store-Betreiber erhöhen. "Was in den Telegram-Gruppen und Kanälen passiert, widerspricht in jeder Hinsicht den Compliance-Regeln von Apple und Google", sagte der SPD-Politiker dem Spiegel.

Der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) drängt bereits auf das umstrittene Geoblocking von IP-Adressen von Telegram. Damit soll der Zugriff für ganz Deutschland eingeschränkt werden. Technisch dürfte das bei dem Dienst aber schwer fallen, denn seine Server sind weltweit verteilt. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor versuchte jahrelang vergeblich, Telegram mit solchen Sperren zu blockieren

SPD-Chefin Saskia Esken forderte die Sicherheitsbehörden im Deutschlandfunk auf, öffentliche Telegram-Gruppen schon jetzt nach strafbaren Inhalten zu durchsuchen und diese dann auch zu verfolgen: "Das wäre dringend notwendig, dort werden Straftaten angekündigt, die dann anschließend auch entsprechend umgesetzt werden."

Telegram hilft generell etwa Aktivisten in Hongkong oder Russland, ihre Regierungen zu kritisieren und Demonstrationen zu arrangieren. Längst ist der Gratisservice, den die Vkontakte-Macher und Brüder Nikolai und Pawel Durow gründeten und über Jahre hinweg gegen die Zensur des russischen Staats verteidigten, aber auch zum Sammelbecken etwa für Extremisten, Verschwörungstheoretiker und andere "Querdenker" geworden.

Auf dem umstrittenen Messenger können Gruppen bis zu 200.000 und auf Push-Nachrichten ausgerichtete Channels unbegrenzt viele Mitglieder haben. Bei WhatsApp liegt die Grenze bei 256 Teilnehmern. In die Debatte über gefährliche, schädliche oder in einzelnen Ländern illegale Inhalte bringen sich die Telegram-Macher so gut wie nicht ein. Lokale Gesetze, die der Meinungsfreiheit Grenzen setzen, befolgen sie ausdrücklich nicht. Auf der Webseite heißt es: Man werde niemand daran hindern, "auf friedliche Weise alternative Meinungen zum Ausdruck zu bringen".

Wohl auch auf Betreiben Russlands greift Telegram bei Bots und Kanälen durch, die etwa Propaganda für den Islamischen Staat verbreiten: Sie "werden von uns blockiert". Auch die Kanäle von Attila Hildmann, über die der Vegankoch Verschwörungserzählungen verbreitete und Politiker anfeindete, hat das Unternehmen für Android und iOS gesperrt. Dies sollen Apple und Google dem Anbieter nahe gelegt haben. Dafür spricht, dass User Hildmann über die Webversion von Telegram noch folgen können.

Das Entwickler-Team sitzt angeblich mittlerweile größtenteils in Dubai, um vor allem vom langen Arm Moskaus geschützt programmieren zu können. Ein Impressum suchen Strafverfolger und andere Justizbeamte, die einen Zustellbevollmächtigten für offizielle Schreiben bräuchten, auf der Homepage vergebens.

Das NetzDG zielt auf die großen Plattformen wie Facebook, YouTube, TikTok und Twitter. Lange war umstritten, ob es bei Telegram überhaupt greift. Es betrifft etwa nur Anbieter mit Gewinnerzielungsabsicht. Dieses Kriterium sehen Beobachter erst erfüllt, seit die Telegram-Gründer ankündigten, Werbung zu verkaufen und ein Bezahlmodell einführen zu wollen.

Das Bundesamt für Justiz hatte daher im Frühjahr zwei Anhörungsschreiben an Telegram wegen NetzDG-Verstößen gerichtet. Der Anbieter habe keinen Ansprechpartner für Behörden benannt und kein Beschwerdeverfahren für strafbare Inhalte aufgesetzt, moniert die Behörde. Das Unternehmen mit offiziellem Sitz in Dubai reagierte aber nicht, obwohl Strafen von bis zu 55 Millionen Euro drohen. Buschmann teilte dazu in der ARD nur mit, dass sein Ministerium die Firma bislang nicht erreicht habe. Inzwischen läuft ein offizielles Rechtshilfeersuchen an das Außenministerium der Emirate, das aber einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte.

"Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben, einschließlich aller Regierungen", heißt es in einer Frage-Antwort-Liste auf der Telegram-Webseite. Der Betreiber gibt dort auch an, keine Löschanfragen zu privaten Konversationen und Gruppenchats zu beantworten. Das Unternehmen verfolgt demnach explizit das Ziel, den Nutzern eine Plattform zu bieten, die nicht von Regierungen kontrolliert werden kann.

Angesichts dieser Situation empfiehlt der Stuttgarter Medienrechtler Tobias Keber, gegebenenfalls "weitere Akteure" einzubeziehen. Die Gatekeeper Apple und Google etwa könnten Telegram aus den App-Stores werfen, weil der Dienst ohne zumutbare Sicherungsmechanismen "Hate Speech & Co. eine Plattform bietet", erläuterte Keber gegenüber dem Science Media Center. Als "Ultima Ratio" wären Netzsperren denkbar. Rechtlich akzeptabel dürften solche drastischen Mittel bei Telegram "im Lichte der Kommunikationsfreiheiten" aber nicht sein.

Die von EU-Abgeordneten geforderte Interoperabilität von Messengern könnte laut dem Professor ein Mechanismus sein, "um Gegenrede von außerhalb der Plattform zu institutionalisieren und bestehende Filterblasen auf Telegram zu zerstechen". Auch der geplante DSA sei ein Schritt in die richtige Richtung. Plattformen würden damit stärker verantwortlich. Ausländische Firmen müssten sich zudem an diese europäischen Regeln halten, wenn sie ihr Angebot auf den dortigen Markt ausrichten.

Ähnlich äußerte sich der Innsbrucker Internetrechtler Matthias Kettemann. Er plädiert aber dafür, am DSA nachzuschärfen, "um auch kleinere Anbieter – nennen wir sie Giftzwerge – zu umfassen". Schon jetzt müsste Telegram mit dem Gesetz eine zentrale Kontaktstelle einrichten und einen rechtlichen Vertreter in der EU benennen, der für Verstöße haftet. Bis die Vorschriften aus dem DSA greifen, dürfte aber noch ein paar Jahre dauern.

(vbr)