Geese gegen Google: Die EU gegen die mächtigste Suchmaschine der Welt

Der in der EU beschlossene Digital Services Act ist nun das wichtigste Internetgesetz der Welt. Aber wie genau entstehen Gesetze auf EU-Ebene eigentlich?

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, Foto: Andreas Endermann

(Bild: Andreas Endermann)

Lesezeit: 23 Min.
Von
  • Jan Vollmer
Inhaltsverzeichnis

Der fensterlose Saal des EU-Parlaments in Straßburg ist fast leer. Über den blauen Sitzen, den 27 Fahnen und über den Köpfen der Anwesenden spricht eine griechische Abgeordnete, remote, überlebensgroß, vor einer Leinwand. Gelegentlich schaut sie von ihrem Blatt auf in die Kamera, ihre Stimme hallt durch den Saal.

Das Thema der Debatte ist Cyber-Violence – digitale Gewalt gegen Frauen im Internet. Eigentlich geht es nur um einen Report, eine Bestandsaufnahme zum Thema, zu dem die EU dann auch Vorschläge macht. Um 18:19 Uhr aber tritt die Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese für ihre 60-Sekunden-Rede ans Mikrofon, eine hochgewachsene Frau mit braunen Haaren, weißem Rollkragenpullover und dunkelgrauem Jacket: "Einer besonders perfiden Form von sexueller Gewalt im Internet können wir schon heute Abend ein Ende setzen, nämlich dem Hochladen von Nacktbildern auf Pornoplattformen gegen den Willen des Opfers", sagt Geese. "Wir stimmen nämlich heute Abend im IMCO-Ausschuss über einen Kompromiss ab, mit dem wir dieser unsäglichen Form von Gewalt im Internet mit dem Digital Services Act entgegentreten können."


Diese Reportage enstand im Januar 2022 und wurde veröffentlicht in der Ausgabe 03/2022 von MIT Technology Review.


Dieser Text stammt aus: Technology Review 3/2022

(Bild: 

Technology Review 3/2022 im heise shop

)

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IMCO ist die Abkürzung für den Binnenmarktausschuss. Eigentlich geht es gerade nicht um den IMCO-Ausschuss und den Digital Services Act. Aber Geese nutzt die Gelegenheit und will Nägel mit Köpfen machen: Sie versucht so, in der Debatte über den Cyber-Violence-Bericht für ein verwandtes, aber anderes Thema zu werben: ihre Anträge im Digital Services Act. Ein ungewöhnlicher Schritt im bürokratischen Straßburg. Genervte Blicke und Kopfschütteln im Plenum. Einige männliche Abgeordnete wie Nicolaus Fest – früher bei der Bild-Zeitung, heute bei der AfD – finden schon den EU-Report zu Cyber-Violence "gefährlich" und neue Regeln "überflüssig".

Wenn Geese sich aber mit ihrer Änderung zu Artikel 24b im Digital Services Act durchsetzt, müssen Nutzerinnen und Nutzer auf Pornoplattformen eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer angeben, bevor sie Material hochladen. Laut einer Studie der Nichtregierungsorganisation Hate Aid fürchten 30 Prozent der 2.000 befragten Frauen, dass echtes oder gefälschtes Bildmaterial von ihnen im Netz landet. Eine Untersuchung fand allein in Großbritannien 18.700 Fälle innerhalb von drei Jahren. Einen gewissen Prozentsatz der Täter dürfte Artikel 24b abschrecken.

Alexandra Geese geht es aber um mehr als digitale Gewalt gegen Frauen. Sie ist Schatten-Berichterstatterin für den Digital Services Act und organisiert die Änderungsanträge ihrer Fraktion zu diesem Gesetzesvorhaben. Geese will das beenden, was auch Überwachungskapitalismus genannt wird: Ein Internet, in dem die großen Plattformen mit den persönlichen Daten der Nutzer Milliarden verdienen.

Weil die EU maßgeblich Gesetze für 27 Staaten macht, ist sie auch eine der größten Regulatorinnen der Welt. Mehr als 20 Jahre nach dem letzten großen Digital-Gesetz, der E-Commerce-Richtlinie von 2000, will die Staatengemeinschaft jetzt die mächtigsten Konzerne des Internets regulieren. Allen voran: Google und Meta mit ihren Werbeimperien, mit ihren Plattformen YouTube, Facebook, WhatsApp und Instagram. Meta hat mit all seinen Netzwerken, mit Facebook, Instagram und WhatsApp, Strukturen geschaffen, über die monatlich 3,6 Milliarden Menschen miteinander kommunizieren. Googles Algorithmen bestimmen die Ergebnisse von rund 90 Prozent der Suchanfragen im Internet. Wenn die EU Big Tech regulieren will, ist es, als würden Wolkenfronten aufeinandertreffen: groß, undurchschaubar, aber das Wetter betrifft uns alle.