Elon Musk kauft Twitter – Was nun?

Der reichste Mann der Welt kauft eine zentrale Kommunikationsplattform. Viele Nutzer finden die Aussicht wenig verlockend. Wie die Gegenwehr aussehen könnte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 504 Kommentare lesen
Twitter

(Bild: Wachiwit/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Es ist einer dieser Momente, in denen popkulturell Gelehrten die Zeile aus Star Wars einfällt: "Ich spürte eine große Erschütterung der Macht. Als ob Millionen in panischer Angst aufschrien und plötzlich verstummten." Elon Musk scheint nun endgültig Twitter zu übernehmen. Der Deal ist zwar noch nicht in trockenen Tüchern, eine Kehrtwende erscheint aber unwahrscheinlich.

Der reichste Mann der Welt hat zwar weltweit Millionen Fans, polarisiert mit seinem Verhalten aber auch. Es ist deshalb für viele unvorstellbar, dass ausgerechnet Musk, der gerne Meme-Kämpfe auf Twitter führt, nun den ganzen Informationsraum verantworten soll.

Man kann viel über Twitter lästern und dabei Recht behalten: Es ist eine Echokammer, es ist eine Blase, ein Durchlauferhitzer für Empörung. Aber niemand kann sagen: Twitter wäre nicht einflussreich. Und für viele ist es ein Teil ihres Lebens, hier werden Freundschaften gepflegt, Fachinformationen ausgetauscht und sogar neue Jobs gefunden.

Twitter hat nicht nur das Internet geprägt. Wie sollte man sich die Präsidentschaft von Donald Trump ohne Twitter vorstellen? Trump zog seine Macht nicht nur von Fox News und CNN: Über seine täglichen Twitter-Attacken bestimmte er die Agenda des politischen Washington genauso wie die der Massenmedien.

Seit er nach dem Putschversuch vom 6. Januar 2021 von der Plattform verbannt wurde, scheint Trumps Stimme plötzlich deutlich leiser. Zwar kann er mit Interviews immer noch für Aufregung sorgen, aber er bestimmt nicht mehr den politischen Diskurs. Trump ist kein Einzelfall. Populisten wie der brasilianische Präsident Jair Bolsanaro schätzten den ungefilterten Kontakt zu den eigenen Anhängern, Autokraten wie Wladimir Putin manipulierten den Diskurs von außen.

Elon Musks unüberlegt erscheinende libertäre Positionen zur freien Rede scheinen für viele vor allem eins zu bedeuten: Donald Trump und seine Unterstützer kehren zurück. Das würde dem Populisten in Mar-a-Lago gerade passen: Seine vermeintliche alternative Plattform Truth Social ist bisher eine Enttäuschung – zu einer Zeit in der Trump Massenwirksamkeit braucht, um eine erneute Kandidatur vorzubereiten. Zwar hat der Politiker bereits erklärt, nicht auf Twitter zurückkehren zu wollen. Doch Trump ist für Stimmungsumschwünge bekannt und wartet wahrscheinlich gerade auf ein Angebot Musks.

Gerade jetzt benötigt er alle möglichen Einflussmöglichkeiten, um seine Kandidaten zu unterstützen und den erneuten Einzug ins Weiße Haus vorzubereiten. Viele Twitter-Nutzer insbesondere außerhalb der USA haben jedoch angesichts der Pandemie keine Lust mehr darauf, dass sich Twitter wieder in eine Plattform zum "Doomscrolling" verwandelt. Sie überlegen nun: Sollen sie bleiben? Sollen sie gehen? Kann die Plattform, die für viele ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Alltags und ihres Berufs geworden ist, plötzlich aus ihrem Leben geschnitten werden?

Der erste Reflex vieler: Wenn Twitter nicht mehr gefällt, kann man sich einfach eine andere Plattform suchen. Dies geschah in der Geschichte des Internets immer wieder: Von MySpace oder StudiVZ bis zu Tumblr und Google Plus. Die erste Wahl landete gleich nach der Bekanntgabe der Übernahme ganz oben in den Twitter-Trends: Mastodon ist eine freie Alternative zu Twitter und bereits seit Jahren in Betrieb. Was fehlte, war vor allem der Netzwerkeffekt, der Plattformen wie Twitter, Facebook, Instagram oder TikTok groß machte.

Der Datenschutz der Plattform macht es schwer, seine alten Freundschaften nach Mastodon zu übertragen. Man kann nicht einfach sein Adressbuch mit einem zentralen Server abgleichen, um seinen Twitter-Freundeskreis wiederzufinden, sondern man muss sie die Kontakte einen nach dem anderen zusammensuchen. Müsste Mastodon plötzlich Millionen Twitter-Nutzer aufnehmen, wären schnell Wachstumsschmerzen spürbar. Die Mastodon-Server werden derzeit fast nur von Freiwilligen betrieben, die nicht nur die Bandbreite der Server bezahlen und die Software aktuell halten müssen.

Sie sind auch dafür verantwortlich, die Inhalte zu moderieren. Das Netzwerk ist werbefrei und damit kein großes Geschäft. Wenn Mastodon nun zur Twitter-Alternative würde, wäre die Plattform auch schnell das Ziel von Spammern, von Hassrede und Betrügern. Bei den Tausenden von angeschlossenen Servern lässt sich so schnell kein gemeinsamer Nenner finden: Die Gefahr besteht, dass Mastodon von Unsinn und Hass geflutet wird oder das Netzwerk gar auseinanderfällt: Server, die strenge Moderationskriterien durchsetzen, müssten sich von anderen abkoppeln, die den Nachrichtenraum mit Hass und Spam fluten. Hier tragfähige Lösungen zu finden, wird eine große Herausforderung für die Community.

Netzwerke wie WhatsApp zeigen, dass selbst akutes Unwohlsein viele Nutzer nicht davon abhält, eine Kommunikationsplattform zu nutzen, wenn sie genug Nutzen daraus ziehen. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass Twitter keinen unmittelbaren Massen-Exodus fürchten muss. Die Plattform wird sich nicht von heute auf morgen ändern. Auch als reichster Mann der Welt ist Elon Musk auf die Hilfe von Banken angewiesen, um die 44 Milliarden US-Dollar aufzutreiben, die Twitter kosten würde. Würde er seine Tesla-Aktien verkaufen, ginge nicht nur ihr Kurs in den Keller, er müsste auch Steuern auf seine Erträge bezahlen.

Also muss Musk zumindest zu einem gewissen Teil nach den Regeln der Banken spielen und die Firma profitabler machen, als sie heute ist. Natürlich könnte Musk mit seinem Vermögen Geschäftspläne ignorieren und dem Telegram-Gründer Pawel Durow nacheifern, der seinen Dienst in den ersten Jahren aus Prinzip und eigener Tasche finanzierte. Doch Elon Musk ist nicht bekannt dafür, auf persönlichen Wohlstand zu verzichten. Sein Talent liegt eher darin, gänzlich unvernünftige Produkte wie einen Flammenwerfer zu einem kommerziellen Erfolg zu machen – dank einer Fangemeinde, die jeden seiner Schritte in den Himmel lobt.

Doch der wichtigste Einkunftszweig Twitters ist nach wie vor Werbung. Die größten Werbekunden sind es aber leid, mit einem Medium assoziiert zu werden, das in der Öffentlichkeit überwiegend mit Shitstorms und schlechten Nachrichten assoziiert wird. Sicher könnte Musks neues Paradigma der unbedingten Meinungsfreiheit für neue Reichweite sorgen - doch es dürfte schwer fallen, diese Reichweite in entsprechende Umsätze zu verwandeln. Die Konkurrenz hat dies schon erfahren, als die Tiraden des Comedians Joe Rogan eine Kündigungswelle bei Spotify auslöste und die Erfolgsgeschichte des Unternehmens in Zweifel zogen.

Will Elon Musk Twitters Einkünfte nicht riskieren, ist er also darauf angewiesen, das jetzige Niveau der Inhalte-Moderation im Wesentlichen aufrechtzuerhalten. Hinzu kommen neue gesetzliche Bestimmungen wie der Digital Services Act in Europa, die den Betreibern von Kommunikationsplattformen wie Twitter strenge Vorgaben machen. Bis diese praxisrelevant werden, wird es noch einige Jahre dauern. Elon Musk wäre aber schlecht beraten, sich nicht frühzeitig darauf vorzubereiten.

Eine soziale Plattform ist immer auch ein Vertrag mit den Nutzern. Wenn die Nutzer die grundsätzliche Ausrichtung der Plattform nicht unterstützen, ist das Management zuweilen machtlos. Twitter ist verwundbar: Nutzer können gezielt Inhalte posten, die Twitter juristische oder politische Probleme bereiten, sie können die Beschwerdekanäle fluten oder die Plattform generell für andere Nutzer unausstehlich machen. Auch eine neue Art von Werbeblocker wäre ein Schuss ins Kontor für Musk.

Solche gezielten Trollereien sorgen schon bei durchweg kommerziell orientierten Firmen immer wieder zu schweren Verwerfungen. Mit Elon Musk am Steuer sind sie jedoch vorprogrammiert. Die Hoffnung ist, dass sich die neue Führung imstande sieht, mit den verbliebenen Nutzern eine Art neuen Sozialvertrag, eine neue Übereinkunft zu finden, die die Zukunft Twitters zumindest mittelfristig sichert. Dazu gehört aber mehr als der so oft gewünschte Edit-Button für Tweets.

Es ist sogar wahrscheinlich, dass alle oben genannten Szenarien gleichzeitig eintreten: Ein paar Nutzer wechseln auf Mastodon, einige verstehen sich als neue Anti-Bewegung zu Elon Musk, die große Breite macht weiter wie bisher. Da Twitter aber nie eine Gelddruckmaschine war, könnte dies schon ausreichen, einen zunächst langsamen und dann immer schnelleren Niedergang der Plattform auszulösen, wie dies viele Plattformen vorher erlebt haben.

Sollte das geschehen, müssen sich Nutzer auf schnelle Kurswechsel gefasst machen. Es ist also nicht die schlechteste Idee, sich jetzt eine Sicherungskopie seiner bisherigen Tweets herunterzuladen.

(tkn)