Der Digital Services Act kommt, das NetzDG geht

Das neue EU-Online-Gesetz steht; Google, Facebook & Co. werden künftig europaweit kontrolliert. Das hat Auswirkungen auf deutsche Medienanstalten und Behörden.

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(Bild: metamorworks / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Falk Steiner

Es ist vollbracht: Der mitunter als "Internet-Grundgesetz" überhöhte Digital Services Act (DSA) ist final niedergeschrieben. Die neue EU-Verordnung wartet jetzt auf die Übersetzung in alle Sprachen der Mitgliedsländer, dann kann sie offiziell vom EU-Parlament angenommen werden.

Der DSA ist das zweite digitalpolitische Großvorhaben der EU und folgt direkt dem Gesetz über digitale Märkte (DMA), das das Wettbewerbsrecht fit für die Online-Gegenwart machen soll. Wie stark der DSA digitale Angebote in der EU verändern wird, ist umstritten. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton rief bereits "das Ende des Wilden Westens" aus.

Auf der Zielgeraden fiel eher Bretons Heimatstaat mit Wildwestmethoden auf: Anfang Juni präsentierte die französische Regierung, die aufgrund ihrer Ratspräsidentschaft für die Mitgliedstaaten mit dem Parlament verhandelte, die Schlussfassung. Darin fanden die EU-Parlamentarier zwei nicht vereinbarte Änderungen am eigentlich ausverhandelten DSA: Glücksspiel und Wettangebote sollten plötzlich von der Regulierung ausgenommen sein – laut Verhandlungskreisen auf Betreiben Maltas.

Auch beim Umgang mit Inhalten fand sich im Text eine Überraschung. Eine Passage hätte als sogenannte Stay-Down-Verpflichtung gelesen werden können: Anbieter hätten einmal gemeldete illegale Inhalte dauerhaft unterdrücken müssen – was im Ergebnis wohl auf den nicht gewollten Einsatz von Upload-Filtern hinausgelaufen wäre. Nach Protest aus fast allen Parlamentsfraktionen wurden beide Änderungen entschärft.

Anbieter, EU-Kommission und Mitgliedsstaaten können sich nun auf die Umsetzung vorbereiten. Der DSA wird Anfang 2024 wirksam werden und vom kleinen Anbieter bis zu den besonders großen US-Plattformen und Suchmaschinen Anpassungen erfordern. 20 Jahre nach der E-Commerce-Richtlinie werden erstmals wieder neue Pflichten für Online-Unternehmen in der EU definiert. Und zum ersten Mal schreibt ein direkt geltendes, EU-weites Gesetz unter anderem großen Social-Media-Plattformen den Umgang mit mutmaßlichen Strafrechtsverstößen vor.

Grundsätzlich begrüßt der europäische Verbraucherverband BEUC die DSA-Regelungen. Sie führten einen systematischen Ansatz ein, wie mit illegalen Inhalten umgegangen werden soll, sagte Cláudio Teixeira von BEUC. Verpasst hätte der Gesetzgeber aber etwa "die Chance, Onlinemarktplätze stärker in die Pflicht zu nehmen, wenn illegale oder unsichere Produkte angeboten werden." Betreiber müssen künftig lediglich stichprobenhaft ihre Anbieter prüfen.

Die dänische Sozialdemokratin Christel Schaldemose freute sich über das Verhandlungsergebnis. Es fehle nur noch die Schlussabstimmung im Plenum des Parlaments im Juli. "Dann zähmen wir den Technologiesektor und schaffen ein sichereres Internet" twitterte Schaldemose, die die sogenannten Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission für das Parlament verantwortet hatte.

"Riesenerfolge sind die Verbote personalisierter Werbung für Minderjährige sowie das Verbot, sensible Daten zu verwenden, auch wenn ein komplettes Verbot personalisierter Werbung wünschenswert wäre", freute sich auch Martin Schirdewan, Europaabgeordneter der Linken. Und auch irreführende Bedienoberflächengestaltung, "Dark Patterns" genannt, wird mit dem DSA ab 2024 verboten.

Doch wie die Dark Patterns bereiten viele der im DSA adressierten Probleme schon heute Ärger. Die EU-Kommission präsentierte nun auch deshalb eine aktualisierte Selbstverpflichtung gegen Desinformation, die alle großen Plattformbetreiber und auch Teile der Werbewirtschaft unterzeichnet haben. Einzig Telegram fehlt als größerer Plattformanbieter in der EU.

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton stellte am 16. Juni den aktualisierten Kodex gegen Desinformation vor, an den sich Plattformbetreiber halten sollen.

(Bild: EC/Audiovisual Service)

Vor allem die Werbefinanzierung von Falschinformationen soll der Kodex unterbinden. Zugleich soll die Transparenz bei politischen Anzeigen erhöht und der Zugang für Forscher zu gesammelten Daten der Anbieter verbessert werden. Das ist für besonders große Anbieter auch im DSA vorgesehen – doch eben erst ab 2024.

Bis dahin muss auch die Bundesrepublik ihre Hausaufgaben erledigen. Eine offene Frage dabei: Wie kann die Zukunft des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) aussehen? Das 2017 in Kraft getretene Regelwerk enthält bislang Verfahrensvorschriften für die Anbieter von Plattformen. Sie legen fest, wie im Verdachtsfall mit mutmaßlich illegalen Inhalten umzugehen ist – und sie würden vom DSA weitgehend ersetzt. Welche Rolle das Bundesamt für Justiz (BfJ), bei dem 37 Mitarbeiter für die Einhaltung des NetzDG zuständig sind, künftig spielen kann und soll, ist derzeit noch ungeklärt.

Neben Fragen der Inhaltemoderation reguliert der Digital Services Act eine Vielzahl anderer Rechtsbereiche, etwa solche der Rechtsdurchsetzung durch Behörden und Gerichte. In manchen Bereichen gibt es auch Überschneidungen mit der Datenschutzaufsicht. Es entsteht großer Abstimmungsbedarf – in jedem einzelnen Mitgliedstaat.

Der DSA verlangt deshalb von jedem Staat, eine Behörde als nationale Koordinationsstelle zu benennen. Diese soll mit den Behörden anderer Staaten und der EU-Kommission zusammenarbeiten und muss gewisse Kriterien erfüllen, etwa, weitgehend von der Politik unabhängig zu sein. "Für Deutschland stellt sich die dringende Frage, wer diese Rolle einnehmen kann und wie geeignete Aufsichtsstrukturen für Plattformen geschaffen werden können", betonte Julian Jaursch, der für den Berliner Think Tank Stiftung Neue Verantwortung die Entstehung des DSA beobachtet.

Die Landesmedienanstalten verweisen auf ihre Erfahrung bei der Inhalteregulierung und ihre im Landesrecht festgelegte Unabhängigkeit – sie würden als Koordinatoren bereitstehen. Auch die Bundesnetzagentur hebt die Hand: Deren neuer Chef Klaus Müller, vormals Verbraucherschützer, verweist unter anderem darauf, dass Netzwerke und Plattformen ökonomisch ähnlich funktionierten, Expertise sei also reichlich vorhanden. Unabhängiger muss die Bundesnetzagentur in Folge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zudem ohnehin werden. Die Entscheidung über den deutschen Chefaufseher muss die Bundesregierung treffen, in der Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Umsetzung des DSA verantwortet.

Für die Googles, Microsofts, TikToks und Instagrams dieser Welt ist die Zuständigkeit anders geregelt: Die größten Plattformanbieter fallen in die Kontrollzuständigkeit der EU-Kommission. Damit sollen lange Zuständigkeitsstreitigkeiten und Unterausstattung durch die Mitgliedsstaaten wie bei der Datenschutzaufsicht vermieden werden. Die Mitgliedsstaaten hatten die teilweise Entmachtung ihrer eigenen Behörden selbst vorgeschlagen.

"Dieser zweistufige Ansatz dürfte gegen Engpässe hilfreich sein", bestätigte Cláudio Teixeira vom Verbraucherverband BEUC. Doch die EU-Kommission ist zumindest bislang nicht für die Kontrolle solch großer Akteure aufgestellt. Der DSA legt fest, dass die großen Plattformen mit einem vergleichsweise geringen Jahressalär zur Finanzierung der EU-Kontrollbehörde beitragen. Bis sich die Kommission schlagkräftig aufgestellt hat, werden trotzdem noch Jahre vergehen.

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(hob)