Digitale Schule: BelWü-Abschaffung – Schwabenstreich oder Arroganz der Macht?

Eltern, Lehrkräfte und Admins kämpfen seit Monaten für die in der Pandemie geschaffene Distanzlernlösung des BelWü. Die Politik zwingt Schulen aber zum Umstieg.

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"i,Don't,Speak,,I,Don't,Listen,,I,Don't,See",-

(Bild: Eugenio Marongiu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Seit rund 20 Jahren arbeiten Schulen in Baden-Württemberg mit dem Landeshochschulnetz BelWü gut zusammen. Als während der Pandemie innerhalb kürzester Zeit der Unterricht ins digitale Klassenzimmer verlegt werden musste, spuckte die kleine Mannschaft beim BelWü in die Hände und brachte in einer Nacht- und Nebelaktion an einem durchgearbeiteten Wochenende zahlreiche Server für Schulen an den Start.

Mit dem im Ländle mit öffentlichen Mitteln fortentwickelten Open-Source-Lernmanagementsystem Moodle und dem Videoconferencing-System Big Blue Button war digitaler Unterricht fast von heute auf morgen auch für bis dahin wenig digitalisierte Schulen möglich. Kapazitätsengpässe und technische Probleme wurden nach und nach aufgearbeitet.

Für manche Schule wurde das BelWü regelrecht zum Rundum-Sorglos-Begleiter durch die Pandemie. Kompetent, freundlich, ansprechbar und immer ziemlich schnell – aus dem Kreis derjenigen, die für die Schul-IT in der schwierigen Zeit zuständig waren, gibt es praktisch nur Lob für die Kooperation – und nicht in jedem Land gab es solch ein Angebot.

Jetzt, zwei Jahre später und angesichts von Debatten über weitere Wellen und mögliche Schulschließungen, kündigt das BelWü den Schulen ihre Anschlüsse. Zum 1. August sollen laut Fahrplan die Schulen ihre Zugänge zum pädagogischen Netz und zum Verwaltungsnetz alleine organisieren. Den Applikationsbetrieb von Moodle hat das Kultusministerium gerade für ein externes Unternehmen neu ausgeschrieben.

Die Mitarbeiter des BelWü haben das nicht gewollt. Im Gegenteil, unterstützt von einer Handvoll vom Kultusministerium abgeordneten Lehrerkollegen, hatten sie sich als gutes Bindeglied zwischen öffentlicher (Netz-)Daseinsvorsorge und den Schulen gesehen – und hätten dies gerne weiter gemacht.

Die Lehrkräfte, die per Moodle unterrichtet haben, unterstützen den Weg des Kultusministeriums nicht. Dass Moodle zu kompliziert für Lehrende und Schüler und Schülerinnen sei, denkt man nur dort. Das Kultusministerium hat aber schon ein zweites Lernmanagementsystem, das proprietäre Itslearning, bereitgestellt. Das ist keinesfalls kosteneffizient.

Die Eltern sahen auch keinerlei Notwendigkeit für die Umstellung. Gemeinsam mit Verbänden und Gewerkschaften kämpfen sie vielmehr gegen den Rauswurf und regen an, die gut funktionierende Lösung mit dem BelWü zu einem Landesbildungs- oder Landesschulnetz weiterzuentwickeln. Das wäre natürlich auch viel billiger als das Konzept, die verschiedenen Dienste von öffentlichen und privaten Dienstleistern zusammenzukaufen.

Der Traum von einer souveränen Bildungsplattform mit Open-Source-Software, die von Lehrenden und vielleicht sogar von älteren Schülern genutzt und gemeinsam fortentwickelt werden könnte – würde das nicht die Idee von mehr Autonomie und Unabhängigkeit – und digitaler Nachwuchsförderung – ein Stück voranbringen?

Alle vom Wissenschaftsministerium – das für das BelWü zuständig ist – und vom Kultusministerium in der Debatte angeführten Argumente wirken demgegenüber vorgeschoben. Der Rechnungshof lasse die Betreuung der Schulen durch das subventionierte Wissenschaftsnetz nicht zu – falsch. Und warum sollte der Umzug zum teureren kommunalen Netzanbieter Komm.ONE besser sein?

Das Wissenschaftsnetz müsse sich auf seine Dienstleistungen für die wissenschaftlichen Einrichtungen im Land konzentrieren? Mit acht zusätzlichen Stellen, die jetzt alleine für den Moodlebetrieb extern ausgeschrieben werden, könnte beim BelWü wohl eine eigene Abteilung Schule ins Leben gerufen werden, die dann gleich noch Mail-, Domain- und Webdienste mit übernehmen könnte.

Ein Kommentar von Monika Ermert

Monika Ermert ist freie Journalistin und ausgebildete Sinologin. Seit mehr als 20 Jahren berichtet sie für den heise Verlag über Regeln, Standards und Gesetze fürs Internet und die Prozesse, in denen diese entwickelt werden. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

Darüber murren die gerade den Umzugsterminen hinterher laufenden IT-Lehrer und Eltern am meisten – warum sollten wir uns beeilen, um schlechteren Support für mehr Geld einzukaufen? Und noch weiß niemand, wie lange es dauern wird, bis auch kleine digitale Klassenzimmer wieder laufen. "Danke für nix", schreiben die für die IT verantwortlichen Lehrkräfte derzeit oft. Das ist kein Schwabenstreich mehr, sondern ein Versagen des Staats.

Doch abgesehen von der Unbill für die digitale Schule im Bundesland, für Lehrende und Schüler, und diejenigen, die beim BelWü ihren Job verlieren: die Art und Weise, wie drei Grünen-Politikerinnen, Kultusministerin Theresa Schopper, ihre Staatssekretärin Sandra Boser und die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, mit den massiven Protesten umgehen, ist kein Lehrbeispiel für demokratisches Miteinander.

Wenn man Protestbriefe als Serienbriefe abtut, die Beantwortung der Fragen von Betroffenen einfach liegen lässt und durch Ausschreibungen derweil Fakten schafft, ist das ein Paradebeispiel für die Arroganz der Macht.

Wenn schließlich ein Landtag öffentliche Petitionen nicht publiziert, sondern unter dem Vorwand des Datenschutzes der Petenten bis zum Abschluss des Verfahrens geheim hält, ist das ein Skandal.

Auch wenn die Kultusministerkonferenz nun meint, dass man auf weiteren Distanzunterricht verzichten möchte, das digitale Klassenzimmer könnte schon bald wieder gebraucht werden. Wenn man meint, dass extern angeheuerte Moodle- oder Itslearning-Betreuer oder Support-Mitarbeiter bei privaten Netzbetreibern dann Nächte und Wochenenden durcharbeiten, hat man sich mit Sicherheit geschnitten.

Es gibt Dinge, die kann man nicht mit Geld bezahlen. Das Engagement und der Enthusiasmus einer Community, die IT, Schule und Wissenschaft zusammenbindet, gehört dazu; und auch die Bereitschaft, sich für ein Gemeinwesen einzusetzen, in dem man gehört wird.

Artikelserie "Schule digital II"

Wie sollte die Digitalisierung in unseren Schulen umgesetzt werden? Wie beeinflusst die Coronavirus-Pandemie das Geschehen? Was wurde im Schuljahr 2020/2021 erreicht - wie ging es 2021/2022 weiter? Das möchte unsere Artikelserie beleuchten.

(kbe)