Statt Vorratsdaten: Justizminister will "Sicherungsanordnung" für Nutzerspuren

Die bei Providern aus Betriebsgründen vorhandenen und anfallenden Verkehrsdaten sollen gesichert werden dürfen. Koalitionsstreit droht.

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Einzelnes Auge, darum herum Flammen

(Bild: Gerhard Gellinger, gemeinfrei)

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Auf das Quick-Freeze-Verfahren als Alternative zu anlassloser Vorratsdatenspeicherung setzt Bundesjustizminister Marco Buschmann. Der FDP-Politiker hat am Dienstag den Referentenentwurf für ein Gesetz "zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung" an andere Ressorts geschickt. Buschmann will die Menge der zu speichernden Verbindungs- und Standortdaten "auf das notwendige Maß begrenzen".

Laut dem vom Portal Netzpolitik.org veröffentlichten Papier sollen fortan nur noch – in der Regel nach einer richterlichen Anordnung – die bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten aus geschäftlichen Gründen ohnehin bereits vorhandenen und künftig anfallenden Verkehrsdaten gesichert werden dürfen ("Einfrieren"). Ferner müssen die aufzubewahrenden Nutzerspuren "für die weiteren Ermittlungen zumindest von Bedeutung sein können", heißt es in der Gesetzesbegründung.

Diese Daten sollen den Strafverfolgungsbehörden dann für begrenzte Zeit, nämlich nach der ersten Anordnung maximal für einen Monat, für spätere Erhebung und Auswertung zur Verfügung stehen. Der konkrete Zugriff erforderte allerdings eine erneute richterliche Anordnung zum "Auftauen" der Daten.

Konkret will das Justizministerium Paragraf 100g Strafprozessordnung (StPO) neu fassen. Verkehrsdaten Beschuldigter sollen bei Verdacht auf Ausführung oder Vorbereitung einer Straftat "von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung" eingefroren werden. Ebenfalls gesichert werden sollen Verkehrsdaten von Personen, bei denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie von Beschuldigten Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder gemeinsam Anschlüsse oder IT-Systeme nutzen.

Zugang zu den Informationen sollen Ermittler unter vergleichbaren Bedingungen erhalten. Auch bei "mittels Telekommunikation" begangener Straftaten soll die Polizei die Nutzerspuren auslesen und analysieren können.

Eine Einschränkung ist für bereits angefallene Standortdaten vorgesehen. Hier müssen dem Plan nach bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer ein Vergehen nach dem Katalog aus Paragraf 100a Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) durchgeführt, zu begehen versucht oder vorbereitet hat. Eingeschlossen sind etwa Raub, Erpressung, Computerbetrug, Steuerhinterziehung oder Drogendelikte, aber auch "Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften". Für die Genehmigung der Erhebung von Standortdaten in Echtzeit sowie für die Zukunft gilt diese Einschränkung aber nicht.

Generell ist laut Begründung zu beachten, dass spätere Erhebung und Auswertung gesicherter Verkehrsdaten nur in Bezug auf Personen in Betracht kommt, gegen die sich aufgrund anderweitigen Ermittlungen ein konkreter Tatverdacht ergeben hat oder die als Nachrichtenmittler anzusehen sind.

Eine weitere Befugnis zum Erheben von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten wie Facebook, WhatsApp, Google, Twitter, Flirt-Communities oder Webshops soll spiegelbildlich zu den Regeln für den Zugang zu Verkehrsdaten gefasst werden. Ergänzender Vorschriften zur Einführung einer sogenannten Login-Falle, also zum Speichern einer aktuellen IP-Adresse bei der nächsten Nutzung eines einschlägigen Angebots zum Zwecke der Identifizierung des Nutzers, bedarf es laut Justizressort daher nicht. Auch im Kampf gegen Hasskommentare und Cybercrime könnten bereits IP-Adressen erhoben werden, "wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos wäre".

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die aktuellen deutschen gesetzlichen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für unvereinbar mit den in der EU verbrieften Grundrechten erklärt. Deutsche Verwaltungsgerichte haben das Ermittlungsinstrument bereits vor Jahren ausgesetzt, im Lichte der ständigen Rechtsprechung der Luxemburger Richter. Das Justizministerium will jetzt die verdachtsunabhängige Speicherung von Nutzerspuren aus den einschlägigen Gesetzen streichen.

Mit dem Entwurf stellt sich Buschmann gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die sich nach dem EuGH-Urteil für eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen ausgesprochen hat und weiter für ihre Linie kämpfen will. Strafverfolger brauchen ihr zufolge einen Spielraum von "wenigen Wochen, damit wir die Täter noch ermitteln können". Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt Faesers Kurs, in der SPD-Fraktion ist er umstritten.

Buschmann argumentiert nun: "Aus empirischer Sicht kann festgestellt werden, dass trotz fehlender Vorratsdatenspeicherung in einer Vielzahl von Verfahren Verkehrsdaten erhoben werden können." Gerichte sähen zwar teils von Anfragen ab, "wenn für sie auf der Hand liegt, dass die benötigten Daten schon zu alt sind". Gleichwohl sei es den Strafverfolgungsbehörden laut Polizeilicher Kriminalstatistik für das Jahr 2021 – also auch ohne Vorratsdatenspeicherung – gelungen, 90,8 Prozent der bekannt gewordenen Fälle der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte aufzuklären.

Der EuGH hat dem Justizministerium zufolge mehrfach präzisiert, dass "mit einer anlassbezogenen Sicherung von Verkehrsdaten, die einer wirksamen richterlichen Kontrolle unterliegt, ein grundrechtsschonenderes und effektives Ermittlungsinstrument vorhanden ist". Die Neuregelung führe gegenüber dem "seit zwölf Jahren unbefriedigenden Status quo" letztlich zu verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten, ohne tief in das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung einzugreifen. Die Polizei erhalte ein Instrument, dass es ihr – zeitlich begrenzt – ermögliche, zunächst weitere Ermittlungen durchzuführen, ohne den Verlust relevanter, aber flüchtiger Verkehrsdaten befürchten zu müssen.

Das Ampel-Bündnis hat dies in seinem Koalitionsvertrag vereinbart: Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit und sicherheitspolitischer Herausforderungen "werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können".

(ds)